Frau mit einem „No War“-Banner hinter einer Moderatorin
EBU/RUC1R
Protestaktion in Russland

TV-Mitarbeiterin sorgt für Aufsehen

Eine TV-Mitarbeiterin, die am Montag mit einem Protest gegen Russlands Krieg in der Ukraine die Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens unterbrochen hat, hat weltweit für Aufsehen gesorgt und eine Welle der Anerkennung ausgelöst.

Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde am Dienstag vielfach unter anderem auf Twitter geteilt. „Was Mut wirklich bedeutet“, schrieb etwa der Pianist Igor Levit dazu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski bedankte sich bei ihr. Er sei jenen Russen dankbar, „die nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen“, so Selenski in Richtung der TV-Mitarbeiterin, aber auch unter Verweis auf Antikriegsproteste in Russland.

Zugleich hätten Anwälte der Bürgerrechtsorganisation IWD-Info die Frau auch mehr als zehn Stunden nach der Protestaktion nicht kontaktieren können, schrieb der Ex-Chefredakteur des geschlossenen Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, auf Twitter. Laut der Nachrichtenagentur TASS könnte die junge Frau wegen „Diskreditierung des Einsatzes der russischen Streitkräfte“ strafrechtlich verfolgt werden.

Schild mit „Stoppt den Krieg“

Die Frau sprang Montagabend während der Liveübertragung hinter der Nachrichtensprecherin ins Bild und hielt ein Schild mit den Worten „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“. Dazu rief sie mehrmals laut: „Nein zum Krieg!“ Der Sender schaltete nach wenigen Sekunden zu einem Videobeitrag. Der Sender erklärte später, man führe eine interne Überprüfung des Vorfalls durch.

Das Staatsfernsehen ist die Hauptnachrichtenquelle für viele Millionen Russinnen und Russen und hält sich eng an die Kreml-Linie. Laut russischen Medienberichten, Journalisten und NGOs heißt die Frau Marina Owsjannikowa und ist eine Mitarbeiterin des Staatssenders.

Im Netz verbreitete sich ein zuvor aufgenommenes Video, in dem sie sagt, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. Sie trägt darin eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine und nimmt unter anderem Bezug auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014 sowie die Vergiftung des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny.

Die Videobotschaft im Wortlaut

Der Wortlaut des im Netz verbreiteten Videos in einer dpa-Übersetzung: „Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen – und dieser Mensch ist Wladimir Putin. Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin – und sie waren nie Feinde. Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können.“

„In den vergangenen Jahren habe ich leider beim Ersten Kanal gearbeitet und mich mit Kreml-Propaganda beschäftigt. Ich schäme mich jetzt sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.“

„Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles anfing. Wir sind nicht für Demonstrationen rausgekommen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach nur stillschweigend beobachtet. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und noch zehn Generationen unserer Nachfahren werden sich von der Schande dieses Brudermord-Krieges nicht reinwaschen können. Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren! Fürchtet nichts! Sie können uns nicht alle einsperren.“

Nawalny-Lager will Frau unterstützen

Nawalny begrüßte die Aktion. Seine Sprecherin Kira Jarmisch schrieb auf Twitter: „Wow, das Mädchen ist cool.“ Jarmisch lud das Video hoch, das sich in kürzester Zeit mehr als 2,6 Millionen Menschen ansahen, wie es Montagabend hieß. Nawalny ist der prominenteste Gegner Putins in Russland.

Das Lager von Nawalny will die Frau unterstützen. Man wolle die Strafen übernehmen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Organisation FBK am Dienstag auf Twitter. Moskau will jedwede Opposition ersticken: In Russland drohen hohe Strafen für angebliche Falschinformationen über die russischen Streitkräfte bis hin zu 15 Jahren Gefängnis. Der Krieg in der Ukraine wird in den Staatsmedien als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet.