Ein Haftentlassener spaziert über eine Brücke.
ORF
Junge Haftentlassene

Schwerer Start zurück ins Leben

Fast die Hälfte der Haftentlassenen in Österreich wird wieder rückfällig. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene sind gefährdet, nach einem Gefängnisaufenthalt erneut straffällig zu werden. Entscheidend ist die individuelle Nachbetreuung. Auch Alternativen zur Haftstrafe sind erfolgsversprechend. Zwei Betroffene erzählen im Gespräch mit ORF.at ihre Geschichte.

Sich nach einer Haftstrafe wieder im Leben zurechtzufinden, ist keine leichte Aufgabe. Sie reicht von der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche über die Wiedereingliederung im eigenen sozialen Umfeld bis hin zur Verarbeitung der Straftat. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene unter 21 Jahren sind damit oft überfordert. Sie bekommen in vielen Fällen Bewährungshilfe über den Verein Neustart.

Mit rund 16 Prozent ist der Anteil von straffälligen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Kriminalstatistik der Statistik Austria gering. Doch in Bezug auf Wiederverurteilungen gelten junge Menschen als Risikogruppe. Besonders hoch ist die Rückfallrate bei Jugendlichen, die zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurden – sie liegt bei über zwei Dritteln. Zu beachten ist jedoch, dass es sich hierbei nur um kleine Gruppengrößen handelt.

Darauf verweist auch Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck. Da die Statistik Austria die Daten aus dem Strafregister bezieht, fallen hier nur die Jugendlichen hinein, die auch tatsächlich zweimal verurteilt worden sind. Das sind wenige, aber schwere Fälle mit hohem Rückfallrisiko.

Bewährungshilfe hilft

Wer in Österreich bedingt entlassen wird, bekommt in der Regel Bewährungshilfe. Dafür ist der Verein Neustart flächendeckend zuständig. Laut eigenen Angaben verringert die Betreuung durch den Verein die Rückfallrate – etwa ein Drittel wird wieder straffällig. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt die Rate mit rund 40 Prozent allerdings höher, wie Thomas Marecek von Neustart betont. Das sei darauf zurückzuführen, dass das junge Alter per se ein Risikofaktor für Straffälligkeit darstelle.

Der klassische Neustart-Klient ist jung und männlich. Risikofaktoren wie Suchtmittelkonsum, ein instabiles soziales Umfeld und ein allgemein kriminelles Selbstbild könnten Rückfälle begünstigen, so Marecek. Die Bewährungshilfe habe bei den Jugendlichen aber großes Potenzial, weil sich Einstellungen und Verhaltensmuster noch nicht so manifestiert hätten, wie es bei Erwachsenen oft der Fall sei.

Ziele für die Zukunft setzen

Zu Beginn jeder Betreuung führt Neustart eine Risikobewertung durch, um die individuelle Betreuungsintensität zu planen. Soziale Angelegenheiten wie die Wohnsituation werden geklärt.
Im Fokus steht dann die Deliktverarbeitung. In ein bis drei Treffen pro Monat werden die Ursachen für die Straffälligkeit ergründet. Die übliche Betreuungsdauer beträgt drei Jahre. Fallweise werden Sozialnetzkonferenzen abgehalten, bei denen alle Bezugspersonen des oder der Jugendlichen an einen Tisch geholt werden, um mit ihm oder ihr gemeinsam Ziele festzulegen. Im Fall von Leo ist dieses Ziel der Lehrabschluss. Um diesen erreichen zu können, wurde der 18-Jährige sogar früher aus der Haft entlassen.

Nur nicht zurück

Leo hat einen anderen jungen Mann geschlagen, immer wieder, und saß deshalb eine Gefängnisstrafe ab. Warum er nie dorthin zurückwill, erzählt er im Gespräch mit ORF.at.

Individuelles Vorgehen und Vernetzung

Die Ausrichtung auf die individuelle Situation des Betroffenen trägt maßgeblich dazu bei, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls zu mindern. Doch dafür fehlen oft die Ressourcen. Von Seiten des Justizministeriums heißt es, dass derzeit an einer umfassenden Strafvollzugsreform gearbeitet werde. Der Fokus soll dabei immerhin auf der Nachbetreuung von Haftentlassenen liegen. Wann die Reform kommt, ist nicht bekannt.

Die lückenlose Nachbetreuung setzt eine funktionierende Vernetzung von diversen Stellen voraus, etwa des Sozialdienstes in den Justizanstalten, der Bewährungshilfe sowie sozialen Einrichtungen, die Menschen nach ihrer Entlassung bei sich aufnehmen. Ein Beispiel dafür ist die „Weiberwirtschaft“ in Niederösterreich. Dort können Frauen wie Alina S. für einige Monate wohnen. Für sie war es unmöglich, in ihr altes Umfeld zurückzukehren. Mit Unterstützung ihrer Bewährungshelferin und der Sozialarbeiterin in der betreuten Wohngemeinschaft will sie eine eigenständige Existenz aufbauen.

Sich selbst verzeihen können

Alina saß wegen Betrugs im Gefängnis. Nun kämpft sie um das Sorgerecht für ihre Tochter. Wichtig in der Nachbearbeitung der Tat ist es nicht zuletzt, sich selbst verzeihen zu können.

Bessere Rückfallraten bei außergerichtlichen Sanktionen

Bei „leichteren“ Delikten können außergerichtliche Sanktionen eine wirksame Maßnahme für junge Straffällige sein – etwa der Tatausgleich, bei dem Täter bzw. Täterinnen und Opfer den Konflikt mi Hhilfe einer Mediation bereinigen. Eine Studie des IRKS stellte fest, dass die Rückfallsraten nach einem Tatausgleich bei jungen Menschen weniger als halb so hoch sind als nach einer Haftstrafe. Die Ergebnisse zeigen, dass die außergerichtliche Konfliktregelung in bestimmten Fällen erfolgreich sein kann, so Hofinger.

Tatausgleich

Beim Tatausgleich kommt es zu einer außergerichtlichen Konfliktregelung zwischen Täterin bzw. Täter und Opfer. Voraussetzung ist ein Geständnis und dass das Opfer einverstanden ist. Die Konfliktparteien einigen sich auf eine Form des Ausgleichs. Das kann zum Beispiel eine Geldzahlung sein. Bei Delikten wie Mord und Totschlag kann der Tatausgleich nicht angewendet werden.

Der internationale Vergleich

In der Fachsprache wird nicht von Rückfall, sondern von Wiederverurteilung gesprochen. In die Wiederverurteilungsstatistik fallen alle Personen, die innerhalb von vier Jahren nach der Ausgangsverurteilung oder Entlassung erneut rechtskräftig verurteilt worden sind. Dabei muss es sich nicht ausschließlich um Freiheitsstrafen handeln. Auch Geldstrafen werden mit einberechnet.

Im internationalen Vergleich gelten skandinavische Länder als Vorreiter. Die norwegische Rückfallquote liegt bei rund 20 Prozent. Der Strafvollzugsexperte Ragnar Kristoffersen weist allerdings darauf hin, dass in Norwegen Verkehrsdelikte wie Raserei strenger sanktioniert werden. Nimmt man diese Delikte aus der Statistik, steigt die Rückfallquote um etwa fünf Prozent, erklärt Kristoffersen. Junge Menschen gelten darüber hinaus auch in Norwegen mit einer erhöhten Rückfallrate von bis zu 50 Prozent als Risiko.

Internationale Vergleiche von Wiederverurteilungsstatistiken seien überdies problematisch, da unterschiedliche Faktoren der Gerichtsbarkeit, des Strafvollzugs und der Bewährungshilfe zusammenfließen, so Kristoffersen, der im Jahr 2005 eine solche Vergleichsstudie von nordeuropäischen Ländern durchgeführt hat.

Der Empfangsraum in der Gesellschaft

„Man sperrt Menschen ein und erwartet sich davon, dass sie nie wieder straffällig werden. Doch das ist Wunschdenken. Die Haft ist eine so einschneidende negative Erfahrung. Menschen müssen nach der Haft ihren Selbstwert wieder finden und dazu braucht es Menschen, die an einen glauben“, so Kriminalsoziologin Hofinger.

Nicht zu vergessen ist: Menschen, die Betroffenen die Rückkehr ins Leben erleichtern, können auch künftige Arbeitgeberinnen, Arbeitgeber oder Nachbarinnen bzw. Nachbarn sein. Statt Vorurteilen braucht es Aufgeschlossenheit in der Gesellschaft, denn letztlich kann auch sie einen Teil dazu beitragen, Rückfälle zu vermeiden.