Das Logo der Leipziger Buchmesse auf einem Banner.
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Nach Leipzig-Absage

Literaturszene mit kräftigem Lebenszeichen

Die Leipziger Buchmesse ist pandemiebedingt zum dritten Mal ausgefallen, was engagierte Verlage nicht länger einfach hinnehmen wollten. Die alternativen Lesefeste, die ab Freitag starten, können sich in Reichhaltigkeit und hochkarätiger Besetzung sehen lassen – darunter auch Österreichs erste Präsentation für den Gastlandauftritt 2023. Vom ursprünglichen Programm sind nur die Buchpreisverleihungen geblieben: Nach der Vergabe des Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Karl-Markus Gauß folgten Donnerstagnachmittag die zentralen Messepreise.

Der in Israel geborene Autor Tomer Gardi gewann den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 in der Kategorie Belletristik. Er wurde am Donnerstag für seinen Künstler- und Reiseroman „Eine runde Sache“ ausgezeichnet. Der Buchpreis-Gewinn ist mit 15.000 Euro dotiert. Dabei galt Gardis Buch eigentlich als Überraschung auf der Nominiertenliste.

In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde Uljana Wolf mit dem Buch „Etymologischer Gossip: Essays und Reden“ ausgezeichnet. Wolf setzt sich darin mit Sprache, Ethik und Poetik auseinander. Bei den Übersetzerinnen und Übersetzern wurde Anne Weber für „Nevermore“ von Cecile Wajsbrot geehrt. Alle Siegerinnen und Sieger erhalten jeweils 15.000 Euro Preisgeld. Die Preise sind trotz der erneuten Absage der Leipziger Buchmesse live in der Glashalle der Leipziger Messe vergeben worden.

Von „Buchmesse Pop Up“ bis zum „Blauen Sofa“

Wer anschließend weiterfeiern will, der muss sich heuer an die alternativen Festivals halten, die dieser Tage trotz Messeabsage für ein höchst vitales Bild der Literaturszene in Leipzig sorgen. Im Vorfeld war unter den Hashtags #leipzigliesttrotzdem und #leipzigliestweiter im Internet getrommelt worden, nun läuft von 18. bis 20. März eine Bandbreite an Programmen an.

Autor Karl-Markus Gauß
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Der Salzburger Autor und Publizist Karl-Markus Gauß wurde am Mittwochabend mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet.

Beim zweitägigen Lesefest „Buchmesse Pop Up“ in der alten Leipziger Fabrikshalle WERK 2 stellen sich mehr als 60 Verlage aus sieben Ländern vor, beim Parallelfestival „weiter:lesen“ im Felsenkeller treten 60 Autorinnen und Autoren auf.

Gelesen wird auch im Literaturhaus Leipzig, wo sich nicht zuletzt Portugal, das Gastland 2022, das am Ende ohne Buchmesse bleiben wird, vorstellt. Und das berühmte Autorenforum „Das Blaue Sofa“ kommt in die Stadt und begrüßt 45 Autorinnen und Autoren, darunter den Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, Nino Haratischwili und Marica Bodrozic.

„Wildes Österreich“ als Vorgeschmack für 2023

Und auch Österreich mischt dieser Tage – selbst abseits dieser Events – kräftig in Leipzig mit. „Wildes Österreich“ nennt sich ein literarisch-musikalischer Vorgeschmack, der auf den Gastlandauftritt von 2023 mit starken Namen neugierig machen soll. Auf der Schaubühne Lindenfels kündigte sich die in Wien lebende ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk an. Auch dabei sind Fiston Mwanza Mujila, der gerade mit „Tanz der Teufel“ seinen zweiten fulminanten Roman vorgelegt hat, Teresa Präauer („Mädchen“) und Daniel Wisser, der in der Doppelrolle als Autor („Die erfundene Frau“) und Heimorgelorchester-Musiker auftreten wird.

Schon am Mittwoch gab es einen starken Auftakt mit Karl-Markus Gauß, der den 15.000 Euro dotierten Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2022 verliehen bekam. Bei seiner Dankesrede, die er in der Nikolaikirche Leipzig hielt, übte Gauß einmal mehr Kritik am Boykottaufruf gegen russische Literaten und strich hervor, dass der „Angriffskrieg auch als militärische Sonderoperation gegen die Sprache angelegt“ ist.

Heftige Debatten zur Messeabsage

„Keine Energie in die Suche nach Schuldigen verschwenden, sondern loslegen. Die Energie umlenken in etwas Positives“, meinte „Buchmesse Pop Up“-Initiator Leif Greinus vom Verlag Voland & Quist jüngst in einem Interview mit dem „Börsenblatt“ zum reichhaltigen Alternativprogramm. „Es gibt einfach einen großen Bedarf. Die Frühjahrsbücher sind fertig und suchen ihr Publikum“, zeigte sich auch die „weiter:lesen“-Sprecherin Susanne Tenzler-Heusler gegenüber der dpa pragmatisch nach vorne blickend.

So betont entspannt sich die alternativen Festivalorganisatoren in Interviews gaben, so heftig waren die Debatten jedoch nach der Absage der Leipziger Buchmesse ausgefallen. Nachdem große westdeutsche Verlagsgruppen abgesprungen waren, wurde das de facto erzwungene Aus – so beklagten es Autorinnen und Autoren wie Simone Buchholz, Anke Stelling und Bov Bjerg in einer Petition – doch vor allem als Stinkefinger Richtung Ostdeutschland gewertet.

Messehalle in Leipzig
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Die Leipziger Buchmesse ist zum dritten Mal nacheinander und hauptsächlich wegen des Rückzugs großer Verlage abgesagt

Die Verlage beeilten sich zwar zu versichern, dass allein der Gesundheitsschutz im Vordergrund gestanden sei und man auch in Zukunft auf die Leipziger Buchmesse setze. Aber der Schaden war bereits angerichtet, Argumente schnell angezweifelt: Mit der Absage sparen sich die Verlage ein kräftezehrendes Pendeln zum parallel laufenden Kölner Lesefest „lit.Cologne“, das sich großer Beliebtheit erfreut – und heuer stattfindet.

Das Frühjahrstreffen der Branche in Leipzig hat seit jeher den Ruf, bedeutungsarm für das Geschäft, für die Verlage jedoch sehr teuer zu sein. Bestsellerverträge schließt man eher auf den Messen in Frankfurt und London ab, Leipzig punktet dagegen als Lesefest mit Atmosphäre und brancheninternem Austausch.

Starke Resonanz in der Literaturszene

Atmosphäre und Austausch, wenn auch in weit kleinerem Format und in intimerem Raum, erhofft man sich nun beim „Buchmesse Pop Up“, das in der alten Leipziger Fabrikshalle WERK 2 stattfindet. „Wir haben innerhalb von wenigen Stunden über 120 Anfragen von Verlagen erhalten“, so Initiator Greinus zur starken Resonanz in der Szene. Am Freitag liest mit Gardi auch der neue Buchpreisträger. Ursula Krechel präsentiert „Gehen. Träumen. Sehen. Unter Bäumen“, Vladimir Vertlib „Zebra im Krieg“.

Einen Eindruck kann man sich zudem von Fatma Aydemirs Migrationsroman „Dschinns“ verschaffen, der im deutschen Feuilleton aktuell höchst kontroversiell diskutiert wird. Während die „Zeit“ etwa nur einen aalglatten Roman einer „makellosen Gesinnung“ erkennen konnte, war er für andere „so gut, dass man das Buch kaum weglegen kann“ („Spiegel“).

Und spätestens am Samstag wird es hochpolitisch, wenn Marjana Gaponenko (Ukraine), Michail Schischkin (Russland), Volha Hapeyeva (Belarus) und Karl Schlögel über „Nein zu Putins Krieg – Was kann Literatur leisten?“ diskutieren. Und mit Katarina Poladjan findet sich übrigens eine Buchpreis-Nominierte beim kleineren „weiter:lesen“-Festival ein: Die in Russland geborene deutsche Autorin liest aus „Zukunftsmusik“, einem in Sibirien spielenden Vier-Generationen-Roman.

Optimismus für 2023

Für den Direktor der abgesagten Leipziger Buchmesse, Oliver Zille, sind die zahlreichen Veranstaltungen ein wichtiges Signal, dass die Buch- und Medienbranche ein Literaturtreffen in Leipzig braucht und will. „All die Initiativen hätte man ja auch an anderen Orten stattfinden lassen können“, sagte Zille. Er sei dankbar, dass die verschiedenen Netzwerke die Literatur dieses Jahr dezentral unterstützen. Für 2023 gibt er sich optimistisch, dass es das große Branchentreffen wieder geben wird.