Journalistin Marina Owsjannikowa
APA/AFP
Protest in Staats-TV

Russische TV-Mitarbeiterin verurteilt

Nach ihrem aufsehenerregenden Protest im russischen Staatsfernsehen gegen den Krieg in der Ukraine ist die Journalistin von Kanal 1 nun vor Gericht gestellt und zu einer – möglicherweise nur ersten – Strafe verurteilt worden. Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow postete ein Foto von Marina Owsjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude auf Telegram. Zuvor hatte es stundenlang keine Spur von ihr gegeben.

Russische Medien berichteten, dass die TV-Mitarbeiterin wegen der Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion belangt werde. Sie wurde zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro) verurteilt. Zunächst war befürchtet worden, die Redakteurin könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz – das etwa die Bezeichnung „Krieg“ oder „Invasion“ für den Ukraine-Krieg verbietet – wegen Diffamierung der russischen Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Abzuwarten bleibt, ob weitere Ermittlungen und Anklagen – mit weitreichenderem Strafrahmen – folgen. Die jetzige Verurteilung bezieht sich auf die Verbreitung eines Videos in sozialen Netzwerken, in dem sie ihren Protest erklärt und die Bevölkerung ebenfalls zu Protesten aufruft.

14 Stunden verhört

In einem ersten Kommentar nach der Gerichtsverhandlung betonte Owsjannikowa, sie sei 14 Stunden verhört worden, man habe ihr lange die Beiziehung eines Anwalts verweigert. Sie werde am Mittwoch, wenn sie geschlafen habe, mehr sagen, kündigte sie an. Dass sie nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, sei nicht überraschend, so Owsjannikowa am Ende auf Englisch, da sie zwei Kinder habe.

Die Redakteurin des ersten Kanals des russischen Staatsfernsehens hatte am Montagabend in den Hauptnachrichten ein Protestplakat gegen den Krieg in der Ukraine in die Kamera gehalten. Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschauer „hier belogen“ werden. Owsjannikowa bezeichnete den russischen Angriff auf die Ukraine zudem in einem Video als Verbrechen.

Anwalt befürchtet harte Bestrafung

Zuvor hatten mehrere Anwälte versucht, Owsjannikowa zu finden und teils alle möglichen Polizeistationen abgeklappert. Der Anwalt Daniil Berman warnte, die Behörden könnten versuchen, an der Redakteurin ein Exempel zu statuieren, „um andere Protestierende zum Schweigen zu bringen“. Eine andere Anwältin, Anastasia Kostanowa, hatte gegenüber der BBC betont, sie habe die ganze Nacht nach Owsjannikowa gesucht. Die Behörden würden sie vor ihren Anwälten verstecken und „versuchen offensichtlich, sie ihres Rechts auf Rechtsbeistand zu berauben und eine möglichst strenge Verfolgung vorzubereiten“.

Für Kreml „Rowdytum“

Das Anfang März erlassene Zensurgesetz verbietet es unter anderem, den russischen Krieg in der Ukraine als „Krieg“ oder „Invasion“ zu bezeichnen. Laut Tschikow kann die Polizei Owsjannikowa eigentlich nur zwecks Erstellens eines Protokolls nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder beim Verdacht auf eine Straftat, nicht aber bei einem Verwaltungsdelikt länger als drei Stunden festhalten.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach am Dienstag von „Rowdytum“. Der TV-Sender müsse die Umstände, wie es dazu kommen konnte, genau untersuchen, so Peskow weiter. Das könnte darauf hindeuten, dass sie nicht wegen einer Straftat verfolgt werden soll. Allerdings nannte Peskow die Tatsache, dass sie während einer Live-TV-Sendung protestierte, einen „erschwerenden Umstand“. Damit ist offen, wie der Kreml mit Owsjannikowa verfahren wird.

Macron will mit Putin reden

Frankreichs Präsident Emmanuel Macro bot Owsjannikowa Hilfe an. Paris werde diplomatische Schritte unternehmen. Macron kündigte zudem an, auch Putin beim nächsten Telefonat auf Owsjannikowa ansprechen zu wollen. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete die Aktion von Owsjannikowa als „mutig“.

Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf rief Moskau dazu auf, sicherzustellen, dass Owsjannikowa wegen ihrer Aktion, mit der sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen habe, nicht bestraft wird.

Chef des Senders Kanal 1 ist seit 1999 – als auch Putin an die Macht kam – Konstantin Ernst. Für ihn und andere im Staatssender könnte die Aktion jedenfalls auch unangenehm werden. Das umso mehr, als sich Owsjannikowa während ihrer Arbeit eigentlich nie politisch geäußert haben soll. Das berichtet die Journalistin Farida Rustamowa unter Berufung auf Kolleginnen von Owsjannikowa. Das dürfte den Kreml nicht gerade beruhigen.

Voraufgezeichnete Videobotschaft

Owsjannikowa hatte vor ihrem aufsehenerregenden Protest auch ein Video aufgenommen, in dem sie ihre politische Position erklärt. „Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen – und dieser Mensch ist Wladimir Putin.“

Ihr Vater sei Ukrainer, ihre Mutter Russin, und sie seien nie Feinde gewesen. In den vergangenen Jahren „habe ich leider beim Kanal 1 gearbeitet und mich mit Kreml-Propaganda beschäftigt. Ich schäme mich jetzt sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.“

2014, als alles anfing, habe die russische Bevölkerung geschwiegen. Jetzt habe sich die ganze Welt von Russland abgewandt. „Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren! Fürchtet nichts! Sie können uns nicht alle einsperren.“

Russische Moderatorin verlässt Land

Unterdessen berichten mehrere Medien, darunter die BBC, dass die russische Moderatorin Lilia Gildejewa ihren Job als Nachrichtensprecherin bei einem der wichtigsten TV-Sender Russlands gekündigt und das Land verlassen hat.

„Ich habe (Russland) zuerst verlassen, weil ich Angst hatte, dass sie mich nicht einfach so gehen lassen würden, und dann meine Kündigung eingereicht“, so die NTW-Moderatorin gegenüber dem prominenten Blogger Ilja Warlamow. Gildejewa moderierte die abendliche Nachrichtensendung „Segodnja“ (Heute) des Senders NTW. NTW gilt als drittbeliebtester Fernsehsender Russlands. Der Sender befindet sich im Besitz von Gasprom und ist regierungsnahe.