NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
In Osteuropa

NATO will dauerhafte Truppenaufstockung

Am Mittwoch haben die NATO-Verteidigungsminister bei einem Sondertreffen in Brüssel erneut über die Konsequenzen des Ukraine-Kriegs beraten. Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte einen „Reset“ und eine Aufrüstung der derzeitigen Verteidigungspolitik an – so soll es etwa zu einer dauerhaften Aufstockung der Truppen im östlichen Bündnisgebiet kommen.

„Wir stehen vor einer neuen Realität für unsere Sicherheit, also müssen wir unsere kollektive Verteidigung neu ausrichten“, sagte Stoltenberg bei der Pressekonferenz nach dem Sondertreffen. Es brauche eine Verstärkung sowohl an Land als auch in der Luft, auf See, im Weltall und im Cyberbereich.

Am Boden brauche es vor allem „erheblich mehr Truppen im östlichen Teil der Allianz mit höherer Bereitschaft“. Wie viele zusätzliche NATO-Truppen im östlichen Bündnisgebiet stationiert werden könnten, ließ Stoltenberg offen. In der Luft bedarf es indes eine Verstärkung integrierter Luft- und Raketenabwehrsysteme. „Diese außerordentliche Aufstockung unserer Verteidigung wird umfangreiche Investitionen erfordern, die Verbündeten müssen mindestens zwei Prozent des BIP investieren“, sagte Stoltenberg.

NATO-Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel
Reuters/Johanna Geron
NATO-Sondertreffen in Brüssel

Vertragsbruch?

Nach Stoltenbergs Worten beauftragten die NATO-Staaten die Militärführung mit der Ausarbeitung konkreter Pläne. Sein Ziel sei es, die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten beim Gipfel Ende Juni in Madrid über die dann vorliegenden Optionen entscheiden zu lassen, sagte Stoltenberg. Das müsse eine politische Entscheidung sein, betonte er.

Wie mehrere Diplomaten der dpa bestätigten, würden die Vorschläge aus russischer Sicht vermutlich gegen die NATO-Russland-Grundakte verstoßen. Über sie hat sich die NATO unter anderem verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung „substanzieller Kampftruppen“ im östlichen Bündnisgebiet zu verzichten.

Stoltenberg meinte dazu: „Wir werden tun, was nötig ist.“ Die Grundakte habe einen klaren Bezug zum Sicherheitsumfeld im Jahr 1997, als man Russland noch als strategischen Partner gesehen habe. Heute befinde man sich in einem völlig anderen Sicherheitsumfeld. Die Grundakte werde kein Hindernis für die notwendigen Entscheidungen darstellen, sagte Stoltenberg.

„Helfen der Ukraine, sich selbst zu verteidigen“

Stoltenberg verwies erneut darauf, dass in Reaktion auf den Krieg mittlerweile mehrere hunderttausend Soldaten aus den Bündnisstaaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wurden. Darunter seien 100.000 US-Soldaten in Europa und rund 40.000 Soldaten unter direktem NATO-Kommando. Unterstützt würden die Truppen von Luft- und Seestreitkräften, sagte Stoltenberg.

Stoltenberg lobte die Courage der ukrainischen Streitkräfte, Führung und Bevölkerung. Die NATO habe das Land bereits seit vielen Jahren mit Ausrüstung und Ausbildung unterstützt und werde das auch weiterhin tun. „Wir helfen der Ukraine, sich selbst zu verteidigen und leisten auch weiterhin erhebliche Unterstützung, einschließlich finanzieller Hilfe, humanitärer Hilfe und militärischer Ausrüstung“, so Stoltenberg. Denn je stärker die Ukraine auf dem Schlachtfeld sei, umso stärker sei sie auch am Verhandlungstisch.

Keine „Friedensmission“

Den polnischen Vorstoß für eine „Friedensmission“ der NATO in der Ukraine lehnten die Mitgliedsländer nach Angaben Stoltenbergs jedoch ab. „Die Verbündeten sind sich einig, dass die NATO keine Land- oder Luftstreitkräfte in die Ukraine entsenden sollte“, sagte Stoltenberg.

Man habe die Verantwortung dafür, dass der Krieg nicht über die Grenzen der Ukraine hinaus eskaliert. „Wir sehen bereits tödliche Zerstörungen, aber es könnte noch schlimmer werden, wenn die NATO Maßnahmen ergreift, die zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland führen“, sagte Stoltenberg.

Der russische Präsident Vladimir Putin
Reuters/Sputnik
Putin müsse den Krieg sofort beenden, forderte Stoltenberg

Appell, Russland nicht zu unterschätzen

Klar sei aber auch, dass die NATO keinen Angriff auf verbündete Staaten zulassen werde. Ein Angriff auf einen Verbündeten werde eine Reaktion aller auslösen. Und: „Wir werden tun, was notwendig ist, damit in Moskau kein Raum für Missverständnisse über unser Engagement und unsere Bereitschaft bleibt“, sagte Stoltenberg dazu. Damit wolle man keinen Konflikt provozieren, sondern im Gegenteil verhindern.

An den russischen Präsidenten Wladimir Putin appellierte er, den Krieg sofort zu beenden, die Truppen abzuziehen und sich auf diplomatische Gespräche einzulassen. Obwohl Putins „Blitzkrieg“ auf Kiew am 21. Tag des Kriegs wohl als gescheitert betrachtet werden könne, dürfe man die militärische Macht Russlands nicht unterschätzen, so Stoltenberg. Auf die Frage, ob Russland diesen Krieg gewinnen werde, antworte der Generalsekretär: „Es ist zu früh, um über den Ausgang zu spekulieren.“

Auch kommende Woche soll es ein NATO-Sondertreffen geben. Zu diesem wird auch US-Präsident Joe Biden erwartet. Laut Pentagon-Chef Austin will Biden dabei den „eisernen Beistand“ der USA für die europäischen Bündnispartner deutlich machen.