Rauchsäule über zerstörtem Theater in Mariupol
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Mariupol

Überlebende nach Angriff auf Theater

Nach der verheerenden Bombardierung eines Theaters in der schwer umkämpften südostukrainischen Stadt Mariupol versuchen Rettungskräfte zu Überlebenden unter den Trümmern vorzudringen. 1.000 Schutzsuchende sollen sich zum Zeitpunkt des Angriffs in einem Luftschutzkeller unter dem Theater befunden haben. Nach übereinstimmenden Berichten örtlicher Vertreter haben Menschen überlebt – laut der Abgeordneten Olga Stefanyschyna wurden bereits etwa 130 Personen gerettet.

„Gute Nachrichten, die wir so dringend brauchen: Der Luftschutzkeller unter dem Theater von Mariupol hat standgehalten“, schrieb Stefanyschyna am Donnerstag auf Facebook. Helfer seien damit beschäftigt, Trümmer zu entfernen und weitere Menschen zu befreien. „Es ist ein Wunder“, schrieb Stefanyschyna. Auch der Abgeordnete Dmytro Gurin machte ähnliche Angaben: Man wisse nicht, „ob es Tote oder Verletzte gibt, aber wie es aussieht, haben die meisten überlebt und sind okay“.

Dass der Luftschutzkeller der Bombardierung standgehalten habe, berichtete auch Petro Andruschtschenko, ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol, in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters. Auch Serhij Taruta, ebenfalls Abgeordneter, schrieb auf Facebook von Menschen, die „lebend herauskommen“. „Nach einer schrecklichen Nacht der Ungewissheit am Morgen des 22. Kriegstages endlich gute Nachrichten aus Mariupol!“, schrieb Taruta.

„Kinder“ in großen Lettern auf Vorplätze geschrieben

Der Angriff hatte weltweit für Entsetzen gesorgt. Laut dem Stadtrat von Mariupol befanden sich zum Zeitpunkt des Angriffs mehr als 1.000 Frauen und Kinder im Luftschutzbunker des Gebäudes. Das Theater war offenbar als zivile Schutzeinrichtung markiert gewesen. Auf Satellitenbildern des privaten US-Unternehmens Maxar vom Montag ist zu sehen, dass an Vorder- und Rückseite des Gebäudes in großen Buchstaben das Wort „Kinder“ auf Russisch auf den Boden geschrieben worden war.

Satellitenbild des Theaters in Mariupol: Auf dem Boden stehen die Wörter „Kinder“ auf russisch geschrieben.
Grafik: ORF.at; Bild: Maxar

Russland bestreitet Verantwortung

Dennoch soll das russische Militär das Gebäude angegriffen haben, was Moskau allerdings bestreitet. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete die Vorwürfe als Lüge. Russlands Streitkräfte bombardierten keine Städte, gab sie an. Ukrainischen Angaben zufolge war das Gebäude von russischen Truppen angegriffen und weitgehend zerstört worden. Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenski hatte „Hunderte“ Opfer vermutet.

„Genozid“

Die Organisation Human Rights Watch sagte, es sei nicht auszuschließen, dass sich in der Nähe des Theaters ein ukrainisches Militärziel befunden habe. Mariupols Bürgermeister Wadym Boitschenko sagte in einem Telegram-Video: „Das einzige Wort, das beschreibt, was (…) geschehen ist, ist Genozid.“ Das Verbrechen sei unfassbar, „wir wollen unsere Augen schließen und den Alptraum vergessen, der (…) geschehen ist“, schrieb er am Mittwoch.

Mariupol im Südosten des Landes ist aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage besonders hart umkämpft. Vor dem Angriff auf das Theater hatten die Behörden bereits von mehr als 2.000 Todesopfern in der Stadt gesprochen. Die Versorgungslage für die eingeschlossenen Menschen ist katastrophal, es fehlt an Wasser, Nahrung und Strom. Und ein Entkommen ist kaum möglich. Jene, die flüchten konnten, seien unter Beschuss aus der Stadt gefahren, hieß es von ukrainischer Seite.

Tausende Privatautos konnten Stadt verlassen

Laut Bürgermeister Boitschenko wurden zuletzt Privatautos aus der Stadt gelassen. Insgesamt hätten in den vergangenen zwei Tagen rund 6.500 Autos Mariupol verlassen können, teilte Boitschenko in der Nacht auf Donnerstag über Telegram mit. Allerdings habe es keine Feuerpause gegeben. Auch er sagte, die russische Armee habe den Beschuss nicht eingestellt. Selenski zufolge seien binnen 24 Stunden mehr als 6.000 Bewohner entkommen, darunter 2.000 Kinder.

Ukrainischer Soldat vor einem zerstörten Wohnhaus
AP/Mstyslav Chernov
Ein ukrainischer Soldat in Mariupol – die Stadt ist weitgehend zerstört

Die ukrainische Seite sei zu Evakuierungen bereit, könne die Menschen aber nicht einem Beschuss auf der Straße aussetzen. Bewohnerinnen und Bewohner von Mariupol, denen es trotz allem gelungen sei, in die mehr als 70 Kilometer westlich gelegene Stadt Berdjansk zu kommen, bringe man weiter nach Saporischschja. Doch auch dort sind die Menschen nicht sicher – so wurden am Mittwoch russische Angriffe auf die Flüchtlingsstadt gemeldet.

Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden. Die Regierungen in Kiew und Moskau geben einander immer wieder die Schuld an gescheiterten Evakuierungsversuchen und nicht eingehaltenen Feuerpausen.

EU: „Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht“

Unterdessen wertet die EU die Belagerung und Bombardierung der Stadt durch russische Truppen als „ernsthaften und schwerwiegenden Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. „Diese Belagerung ist unmenschlich“, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Donnerstag in Brüssel. Die Belagerung müsse aufgehoben sowie die Bombardierung und die Angriffe auf Zivilisten gestoppt werden.

EU verurteilt Angriff auf Theater in Mariupol

Die Europäische Kommission hat den russischen Angriff auf ein Theater, in dem mehr als 1.000 Menschen Schutz gesucht hatten, in der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol aufs Schärfste verurteilt. Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, bezeichnete die russische Belagerung und die Bombardierung der Hafenstadt als „unmenschlich“ und „verwerflich“.

Das humanitäre Völkerrecht sieht zum Beispiel vor, dass in bewaffneten Konflikten immer zwischen Zivilbevölkerung und Kämpfenden zu unterscheiden ist. Weder die Zivilbevölkerung als Ganzes noch einzelne Zivilistinnen und Zivilisten dürfen angegriffen werden. Angriffe dürfen ausschließlich militärischen Zielen gelten.