Das Gebäude der WKSTA
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Causa „Ibiza“

WKStA entzieht „SoKo Tape“ Ermittlungen

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat im „Ibiza“-Verfahren einen drastischen Schritt gesetzt und der „SoKo Tape“ sämtliche Ermittlungsaufträge entzogen. Das geht aus einem Schreiben von WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda hervor, über das die Tageszeitung „Kurier“ (Onlineausgabe) berichtete. Die WKStA bestätigte gegenüber ORF.at den Schritt.

Laut einem Sprecher gehe es nun darum, dass die „SoKo Tape“ alle Ergebnisse übermittelt. Nicht mehr benötigte Datenkopien könnten hingegen gelöscht werden. Allerdings habe es keinen Auftrag gegeben, Ermittlungsergebnisse zu vernichten.

Das Schreiben der WKStA-Leiterin richtet sich laut „Kurier“ an die SoKo-Leitung. Darin beklagt sich Vrabl-Sanda über die „systematische Torpedierung des Ermittlungsverfahrens“ und wiederholte Versuche, „die zuständigen Oberstaatsanwält*innen durch die unrichtigen Unterstellungen dienstrechtlich oder auch strafrechtlich relevanter Handlungen persönlich zu diffamieren“.

WKStA: Von Pilnacek, Fuchs „initiiert oder veranlasst“

Aufgrund der jüngst bekanntgewordenen Chats könne davon ausgegangen werden, dass die inkriminierten Vorgänge vom mittlerweile suspendierten Justizministerium-Sektionschef Christian Pilnacek und dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Johann Fuchs, „initiiert oder veranlasst wurden“.

Eindrücke vom BVT-Untersuchungsausschuss
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WKStA-Leiterin Vrabl-Sanda: „Systematische Torpedierung des Ermittlungsverfahrens“

Vrabl-Sandas Kritik richtet sich auch gegen den ehemaligen Leiter der „SoKo Tape“ und nunmehrigen Bundeskriminalamtschef Andreas Holzer. Dessen „Sachstandsbericht“ zeige eine „deutliche“ Intention, „nämlich die bloße Verunglimpfung der WKStA“, insbesondere jener für den „Ibiza“-Verfahrenskomplex zuständigen Oberstaatsanwälte.

Die Chats, auf die sich Vrabl-Sanda bezieht, sind mittlerweile bekannt, etwa dass Pilnacek auf der Suche nach einer undichten Stelle einen WKStA-Ermittler observieren lassen wollte. Pilnacek setzte sich zu Beginn der Causa „Ibiza“ bei Holzer auch dafür ein, dass nicht die WKStA ermitteln soll. Fuchs zog in der Folge Holzer hinzu und bat um verdeckte Hilfestellung, denn Pilnacek schrieb: „StA Wien+BK sollen da aktiv werden“.

„Begleitendes Risikomanagement“

Holzer antwortete an Fuchs: „Hallo Hans, das wäre natürlich möglich. Wenn wir aber in Richtung 310 gehen wäre das BAK zuständig (…) vorerst begleitend kann ich das natürlich machen lassen.“ Und Fuchs an Holzer: „Lieber Andi, ich sehe das aktuell eher als Maßnahme des begleitenden Risikomanagements und weniger als Ermittlung (…)“ Holzer bestätigte Fuchs schließlich, aktiv zu werden.

Im Mai 2020 stellte die SoKo das „Ibiza-Video“ sicher, ohne die Korruptionsermittler darüber zu informieren. Die SoKo wollte den Ermittlungserfolg der Öffentlichkeit präsentieren. Pilnacek an Holzer: „Ist Medienarbeit zum derzeitigen Zeitpunkt kriminaltechnisch sinnvoll? HG.“ Die Antwort: „Ja. (…) Der Erfolg der Sicherstellung des Videos kann endlich einmal exklusiv von uns präsentiert werden.“

Zusammenarbeit vom Start weg nicht friktionsfrei

Die WKStA sah nun offenbar keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mehr. Die „SoKo Tape“ wird keine Ermittlungen mehr für die WKStA in den „Ibiza“-Verfahren durchführen dürfen. Unberührt davon bleiben etwaige Ermittlungen im Zusammenhang mit der Herstellung des „Ibiza-Videos“. Bei diesem Ermittlungsstrang ist die StA Wien federführend.

Die Zusammenarbeit zwischen der WKStA auf der einen Seite und der „SoKo Tape“ und der OStA Wien auf der anderen Seite hatte sich von Anfang an nicht gerade friktionsfrei gestaltet. Verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der WKStA klagten etwa im „Ibiza“-U-Ausschuss über Querschüsse, Aktenleaks und Behinderung der Ermittlungen. Zuletzt hatte Vrabl-Sanda Konsequenzen gefordert. Sie verlangte eine „sichtbare rigorose Aufarbeitung“. Die Justiz könne und dürfe hier nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

WKStA entzieht „SoKo Tape“ Ermittlungen

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat die Ermittler der Causa „Ibiza“ von ihren Aufgaben entbunden. Hintergrund sind heikle Chats. Die SoKo muss nun alle Beweise an die WKStA übermitteln und etwaige Kopien löschen.

Hessenthalers Anwälte für Enthaftung

Für die Verteidiger des mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian Hessenthaler – gegen den derzeit ein Prozess wegen Drogenhandel läuft –, war der Schritt der WKStA am Freitag Anlass dafür, die Enthaftung ihres seit 15 Monaten in U-Haft sitzenden Mandaten zu verlangen. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien als Oberbehörde möge „aufgrund der gegenständlichen Neuerungen unverzüglich“ einen solchen Antrag stellen, verlangten die Anwälte Oliver Scherbaum und Wolfgang Auer in einer Pressemitteilung.

Justiz- und Innenministerium zeigten sich in einer auf APA-Anfrage übermittelten gemeinsamen Stellungnahme bemüht, die „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden“ zu unterstreichen. Diese sei „ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie und somit des demokratischen Rechtsstaates. Dies stellt für uns eine Selbstverständlichkeit dar und beide Ressorts wissen um ihre Verantwortung und werden diese bestmöglich und umfassend erfüllen“, erklärten der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, und die Sektionschefin im Justizministerium, Barbara Göth-Flemmich, in der schriftlichen Mitteilung.

Ruf weist Vorwürfe gegen Ermittler zurück

In einem Schreiben an Vrabl-Sanda hat Ruf allerdings entschieden die Vorwürfe gegen die Ermittler zurückgewiesen: „Zu keinem Zeitpunkt seit Bestehen der SoKo Tape wurden seitens der Mitarbeiter Ermittlungen oder Geheimermittlungen gegen Angehörige des staatsanwaltschaftlichen Teams angedacht oder geführt“, schrieb er laut „Kurier“. Auch wies Ruf scharf zurück, dass sich die „SoKo Tape“ von „Dritten vor den Karren spannen“ lasse. Abschließend fordert er die WKStA-Chefin auf, dass sie gemeinsam daran arbeiten müssten, damit die Behörden „nicht gespalten werden“.

FPÖ fordert Suspendierung von Holzer und Fuchs

Die FPÖ ortet im Schritt der WKStA einen „Knalleffekt“ und forderte per Aussendung die Suspendierung von Holzer und OStA-Chef Fuchs. Hier seien Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) gefordert, so Christian Hafenecker, FPÖ-Fraktionsführer im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss: „Die Vorgänge im Bundeskriminalamt und der OStA Wien stinken mittlerweile meilenweit zum Himmel.“

NEOS-Fraktionsführerin Stephanie Krisper sieht mit den „drastischen Schritten“ belegt, dass großer Handlungsbedarf in Sachen Ermittlungen bestehe. Personelle Konsequenzen seien „überfällig“. Zudem sei umgehend eine nachhaltige Neuaufstellung für eine ordentliche Korruptionsbekämpfung geboten – von der Reform des zuständigen Bundesamts (BAK) bis hin zur Einführung eines unabhängigen Bundesstaatsanwaltes.