Windräder
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Österreich

Gaskrise als klimapolitische Weichenstellung

Der Ukraine-Krieg legt die Schwächen in der österreichischen Energieversorgung schonungslos offen: Die Abhängigkeit von Russland ist groß, der Wille für radikale, nachhaltige Alternativen fehlt mitunter. Experten fordern vor dem Hintergrund der Krise ein sofortiges Umdenken – nur so könnten die Klimaziele noch erreicht werden. Ein Ausstieg aus russischem Gas sei auch kurzfristig möglich, heißt es.

Die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl müsse beendet werden – darüber ist man sich in Österreich und generell innerhalb der Europäischen Union spätestens seit der russischen Invasion in die Ukraine einig. In welchem Zeitrahmen das erreicht werden soll und welche umsetzbaren Alternativen es gibt, dürfte dabei die Gretchenfrage in der angestrebten Energiewende sein.

Die EU-Kommission möchte bis Mitte Mai einen Vorschlag vorlegen, um die Abhängigkeit von russischen Gasimporten bis zum Jahr 2027 abzubauen. Die neue Energiepolitik der EU, REPowerEU, sieht bereits vor, russische Gasimporte bis Ende des Jahres um knapp zwei Drittel zu reduzieren und teilweise durch Flüssigerdgas (LNG) nicht russischer Anbieter zu ersetzen.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte die Vorschläge der EU-Kommission, nicht zuletzt wegen des Einsatzes erneuerbarer Energien. Bis 2040 wird in Österreich Klimaneutralität angestrebt, bis 2030 soll Strom in Österreich zur Gänze aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Der schrittweise Ausstieg aus Gas bei den Haushalten für die Raumwärme ist bereits im Regierungsprogramm verankert, von heute auf morgen könne die Abhängigkeit von russischem Erdgas in Österreich aber nicht beendet werden, heißt es.

Rechnungshof: Österreich verfehlt Klimaziele

Es ist also einiges in Bewegung, und dennoch geht es manchen nicht schnell und effizient genug. 2021 kritisierte etwa der Rechnungshof (RH), dass sich die Treibhausgasemissionen in Österreich von 1990 bis 2017 um fünf Prozent erhöhten, während sie sich im EU-Schnitt um nahezu ein Viertel reduzierten. Österreich würde dem Bericht zufolge auf Basis der bisher verbindlich umgesetzten Maßnahmen die Klimaziele 2030 und 2050 „deutlich verfehlen“, so die Bilanz.

Und während die einen die aktuell hohen Rohstoffpreise und einen möglichen Boykott von russischem Erdgas als Chance sehen, endgültig aus fossilen Energieträgern auszusteigen, befürchten andere mit Blick nach Deutschland, in dem bereits geschlossene Kohlekraftwerke wieder aktiviert werden, dass die Gaskrise auch in Österreich ein Abrücken von der Energiewende bedeuten könnte.

Energiepaket der Regierung sorgt für Kritik

Aber auch hierzulande stieß das am Wochenende von der Regierung vorgestellte Energiepaket, das vor allem eine Entlastung für Autofahrer und Wirtschaft bringt, bei Umweltschützern für Kritik. Man beende einerseits die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas nicht, gleichzeitig verliere man bei der Diskussion über Rohstoffpreise auch die Klimaschutzziele aus den Augen, so die Klimaschutzorganisation „Fridays For Future“.

Wenn erneuerbare Energien immer günstiger würden und sich fossile Energien aufgrund horrender Rohstoffpreise selbst aus dem Markt drängten, sehe man es zudem „nicht als Aufgabe der Regierung, jede Preissteigerung am Markt flächendeckend zu kompensieren“ und dieser Selektion damit entgegenzuwirken.

Mit acht Punkten gegen die Gas- und Klimakrise

Dieser Kritik schließt sich der österreichische Umweltdachverband an. „Das Paket ist ein klimapolitischer Rückschritt“, so Umweltdachverband-Präsident Franz Maier im Gespräch mit ORF.at. „Jetzt ist eine ganz entscheidende Phase, die nicht durch falsche Weichenstellungen konterkariert werden darf.“

Aus diesem Grund hat der Verband ein Achtpunkteprogramm erarbeitet, das den Weg in eine unabhängige Energiezukunft Österreichs vorgeben soll. Wesentliche Forderungen darin sind etwa ein Sofortprogramm zur massiven Förderung von Biogas, die Steigerung der Sanierungsquote in Gebäudebeständen und die Priorisierung von Photovoltaik.

Photovoltaikanlage
ORF.at/Christian Öser
Der Umweltdachverband fordert eine sofortige Aufstockung von Auf-Dach-Anlagen und zusätzliche Förderprogramme. Auch eine Photovoltaikpflicht soll in den Bauordnungen der Länder für Neubau und Sanierungen festgeschrieben werden.

Kritik am Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz

Es liege mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) zwar bereits der notwendige Rechtsrahmen für den Umbau des österreichischen Stromsystems vor, die entscheidenden Durchführungsbestimmungen würden allerdings nach wie vor fehlen. „Wenn das Tempo nicht extrem beschleunigt wird, dann vergeht ein halbes Jahr, ohne dass aus dem EAG irgendetwas finanziert wird“, kritisiert Maier.

Das EAG

Im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) sind für den Ausbau von Wind, Wasser, Photovoltaik und Biomasse Programme bis zum Jahr 2030 gesetzlich und fördertechnisch verankert. Die öffentliche Begutachtung lief bis 24. Februar 2022, aktuell werden die Rückmeldungen geprüft. Der genaue Startzeitpunkt für den ersten Förderdurchgang ist noch nicht fixiert.

Deswegen dränge der Verband auf Sofortmaßnahmen und schlage etwa vor, für bereits genehmigte und baureife Windkraftwerke schleunigst ein Finanzierungsprogramm auf die Beine zu stellen, ehe deren Technologie überholt werde.

Auch bei der Geothermie müsse man, nach dem Vorbild der Stadt Wien, ausbauen. „GeoTief“ gilt als Pilotvorhaben im Osten Österreichs. Bis 2040 möchte die Bundeshauptstadt raus aus Gas, in Simmering entsteht gerade die größte Großwärmepumpe Europas.

Kraftwerk Simmering
Wien Energie/Ian Ehm
Die Stadt Wien möchte bis Herbst 2023 bis zu 56.000 Haushalte durch eine Großwärmepumpe versorgen

Verbrauch: Weniger ist mehr

Ein eigener Punkt in dem Programm widmet sich der sofortigen Umsetzung eines Energieeffizienzgesetzes, welches das alte, mit 2020 ausgelaufene Gesetz ersetzen soll. „Jede Kilowattstunde, die ich gar nicht produziere, ist die naturverträglichste“, ist Maier überzeugt. Eine aktuelle Studie aus Berlin zeige zudem, dass Energieeinsparungen in einem Ausmaß von 40 bis 80 Prozent möglich sind, ohne dass die Lebensqualität oder die gesellschaftliche Entwicklung beeinträchtigt werden.

Eine zusätzliche finanzielle Belastung durch die Umstellung auf nachhaltige Alternativen sieht Maier im Gespräch mit ORF.at nicht gegeben. „Man sieht, dass immer noch vollkommen gegen jede klimapolitische Zielsetzung fossile Energieträger massiv indirekt und direkt subventioniert und finanziert werden“, so Maier auch in Hinblick auf das aktuelle Energiepaket der Regierung.

Experte: Können Ziele nach wie vor erreichen

Aber selbst wenn Programme wie dieses sofort umgesetzt würden – könnte die Wende dann innerhalb der gesteckten Ziele überhaupt noch erreicht werden? Und kann Österreich sich überhaupt so rasch von russischem Gas unabhängig machen?

Ja, ist Günter Getzinger, stellvertretender Vorsitzender des Nachhaltigkeitsbeirats der TU Graz, überzeugt – wenn die entsprechenden politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen rasch vorangebracht werden. „Wenn jetzt alle aktiv werden, können wir das 2030-Ziel mit Nettonull bei der Stromerzeugung mit Biegen und Brechen erreichen“, so die Einschätzung des Experten. „Wir haben nur noch acht Jahre, aber es ist noch immer machbar. Im Moment sehe ich es nur noch nicht.“

Der Ausstieg aus Erdöl werde durch den von der EU forcierten Umstieg auf Elektroautos auch in Österreich bereits erfolgreich vorangetrieben. Bei dem Ausstieg aus Erdgas sehe er, mit Ausnahme der Stadt Wien, allerdings wenig Bewegung. „Wir müssen jetzt wirklich eine substanzielle Wärmewende zusammenbringen. Heizen mit Erdgas ist so ziemlich das Dümmste und Gefährlichste, was man jetzt unter den gegebenen Bedingungen machen kann.“ Das sei machbar, da es mit beispielsweise Wärmepumpen bereits gute und auch relativ kostengünstige Alternativen gebe.

Innovationen bei Stromerzeugung notwendig

Anders sieht die Lage in der Industrie aus, wo Erdgas sowohl stofflich, etwa bei der Gewinnung von Wasserstoff, als auch energetisch eingesetzt wird. „Das wird wohl bis 2040 brauchen“, so Getzinger. „Es ist möglich, dass wir manche dieser Prozesse auf elektrischen Strom umstellen, aber das setzt voraus, dass wir diesen selbst produzieren.“

Hier gebe es mit Sonne und Wind in Österreich zwar gute Voraussetzungen, es sei jedoch ein massiver Ausbau und Innovation notwendig. „Es gibt ein hohes Maß an Strukturkonservativität, begünstigt durch den Vorsprung, den Österreich ursprünglich bei der Wasserkraft hatte“, so die Einschätzung Getzingers. „Wir haben uns bisher nicht ernsthaft mit Photovoltaik und Windenergie auseinandergesetzt, es gibt abgesehen vom Burgenland keine systematische Ausbaustrategie.“

Starker politischer Wille entscheidend

Die Erdgasabhängigkeit von Russland müsse man aktuell als Chance sehen, um wieder den Gedanken der Autonomie zu stärken und vermehrt auf Eigenproduktion von Strom zu setzen. Der Weg in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren sei klar – was es brauche, sei vor allem ein politischer Wille in Richtung Green New Deal, ein Klimaschutzgesetz und eine Energiestrategie, die das Pariser Abkommen ernst nähme.

Dazu gehört auch eine Forcierung des EAG, ein gesteigerter Mitteleinsatz beim Ausbau der Erneuerbaren und eine gesetzliche Grundlage bei der Wärme. „All diese Rahmenbedingungen müssten jetzt vor dem Hintergrund der Krise redefiniert und mit Zähnen versehen werden“, so Getzinger. „Klimaneutralität muss einfach ganz schnell zur Selbstverständlichkeit werden.“