Der österreichische Regisseur Michael Haneke.
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80. Geburtstag

Michael Haneke und die Präzision der Bilder

Dass Michael Haneke in der österreichischen wie internationalen Kinolandschaft mehr als nur Spuren hinterlassen hat, steht außer Zweifel. Der erfolgreiche Regisseur, der auch an der Wiener Filmakademie als Lehrender die junge Regiegarde prägt, feiert am Mittwoch seinen 80. Geburtstag. Dass sein Werk polarisiert, liegt an der Arbeitsweise Hanekes.

Eigentlich hatte es ihm ja die Musik angetan, doch der Weg zum Pianisten klappte ebenso wenig wie die Aufnahme an die Schauspielschule. Der 1942 in München geborene und in Wiener Neustadt aufgewachsene Sohn der Schauspielerin Beatrix von Degenschild und des Regisseurs Fritz Haneke fand sein Glück beim Film, nachdem er zuvor bei Theaterinszenierungen und beim Fernsehen Erfahrungen gesammelt hatte.

Diese Lehrjahre lassen ihn bis heute die Arbeit mit dem Schauspielensemble hoch schätzen, so hoch, dass er sich am liebsten darauf konzentriert denn auf die beim Film nötige Technik. Für Haneke ist diese Herangehensweise kein Erfolgshindernis: Auf der imposanten Liste der Ehrungen finden sich zwei Goldene Palmen („Cache“ und „Amour“) und Golden Globes („Das weiße Band“) sowie der Auslandsoscar („Amour“).

„Konzept Haneke“

Ein filmisches Schlüsselerlebnis für den noch sehr jungen Haneke war ein kurzer Moment in „Tom Jones“ von Tony Richardson. Der Film läuft schon über eine Stunde, da blickt der Protagonist plötzlich direkt in die Kamera, spricht zum Publikum und bricht somit das Gesetz der „vierten Wand“. Heute meint Haneke, dass er von diesem Zeitpunkt an wusste, wie manipulierbar man als Zuschauer ist.

Haneke achtet akribisch darauf, die volle Kontrolle bei seinen Projekten zu behalten. Er verfilmt seine eigenen Drehbücher, geht klassisch in der Definition des Autorenfilms vor. Im Rahmen der Kinoarbeiten festigt sich das „Konzept Haneke“: Durch die entfernte Kameraposition in den für ihn heute typischen Einstellungen distanziert er die Zuschauerinnen und Zuschauer vom Geschehen und lässt sie vermeintlich objektiver darauf blicken.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Der österreichische Regisseur Michael Haneke.
Österreichisches Filmmuseum
Hanekes Regiearbeit steht für die vollkommene künstlerische Kontrolle seiner Arbeit und äußerste Präzision
Szene aus dem Film „Die Klavierspielerin“ von Michael Haneke
Österreichisches Filmmuseum
Hanekes Verfilmung von Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“ (2001) mit Isabelle Huppert schlug hohe Wellen
Szene aus dem Film „Cache“ von Michael Haneke
Österreichisches Filmmuseum
Ein Dauerthema bei Haneke ist der Umgang mit Medien und wie leicht Bilder manipulieren können: Szene aus „Chache“
Szene aus „Das weiße Band“ von Michael Haneke
Österreichisches Filmmuseum
In „Das weiße Band“ (2009) untersucht Haneke den Ursprung von Gewalt in gefühlskalter Erziehung vor dem Ersten Weltkrieg
Szene aus dem Film „Liebe“ von Michael Haneke
Österreichisches Filmmuseum
Für das berührende Kammerspiel „Amour“ erhielt Haneke 2012 den Auslandsoscar

Dadurch wird auch die immer wieder monierte voyeuristische Haltung hervorgerufen, die Haneke seiner Auffassung nach eben anprangern möchte. Wer sich den von Rezensentenseite erhobenen Vorwürfen eines „Sadismus, der sich in Form von Kritik verkauft“ anschließt, hat aber nur eine Seite der Hanekschen Methode beleuchtet.

Inszenierungen hinterfragen

Der Regisseur hält es mit Nietzsche: „Es bringt nichts, zwischen Optimismus und Pessimismus zu unterscheiden. Ich bin Realist.“ Hanekes Bestreben, die Zuschauerinnen und Zuschauer wachzurütteln, sie zu einem kritischen Umgang mit Gewalt und den Medien zu drängen, bleibt immer aktuell: Sind Bilder, die aus Russland und dem Ukraine-Krieg stammen, echt oder ein Fake? Wie viele Menschen waren tatsächlich bei Donald Trumps Angelobung?

Hinweise zum Jubiläum

  • Flimmit ehrt den Jubilar mit einer Kollektion, darin sind auch frühe und selten gezeigte Filme wie „Wer war Edgar Allen?“ und „Lemminge“ zu sehen.
  • Das Filmmuseum zeigt noch bis 2. Mai eine umfangreiche Haneke-Retrospektive
  • „Cache“ ist noch fünf Tage in der tvthek verfügbar (aus Gründen des Jugendschutzes immer zwischen 22.00 und 6.00 Uhr) – als Teil des ORF-Programmschwerpunkts zum Geburtstag – mehr dazu in tv.ORF.at

Zur Überprüfung der Echtheit beim Inszenieren rät Haneke: „Wenn man wissen will, ob eine Szene stimmt, schließt man am besten die Augen.“ Nicht, dass er das Spiel seines Casts ungern sieht, aber der Ton, der in einer Szene angeschlagen wird, entlarve Unechtes viel schneller als das Bild. „Über das Ohr hat man einen direkteren Zugang zum Herzen als über das Auge. Es berührt mich einfach mehr. Vielleicht, weil ich als Kind Musiker werden wollte.“

Suspense „upside-down“

Als exemplarisches Gegenstück zu Feelgood-Movies wurde viel über Hanekes „Unwohlfühl-Filme“ geschrieben und diskutiert. Die „Kälte“ der Figuren und der unsentimentale, ungeschönte, keinesfalls ästhetisierte Handlungsablauf können allein schon als Erklärung reichen, warum seine Filme für die meisten nicht in die Feierabendkinogestaltung passen.

Bei näherer Betrachtung kann man von „umgekehrtem Suspense“ sprechen, den sich Haneke zu eigen gemacht hat. Denn in der klassischen Definition von „Suspense“ wissen Zuschauerin und Zuschauer mehr als der Protagonist – denkt man etwa an das vielzitierte Beispiel einer Bombe, die unter einem Tisch versteckt ist: Man erlebt das Näherkommen des Protagonisten, der keine Ahnung von der Gefahr hat, und fiebert mit.

Szene aus dem Film „Funny Games“ von Michael Haneke
Österreichisches Filmmuseum
Die Spannung in Hanekes Filmen rührt oft daher, was er den Zusehern vorenthält, etwa in „Funny Games“ (1997)

Haneke jedoch lässt in seinen Kameraeinstellungen auch oft Wesentliches für das Publikum beiseite oder beschränkt dessen Wahrnehmung auf die Tonebene. Das Unwohlsein entspringt so vielmehr der Tatsache, dass der Protagonist mehr weiß als die Zuschauerinnen und Zuschauer und deren Wunsch nicht erfüllt wird, auf denselben Wissensstand zu gelangen.

Wie etwa bei den endlos erscheinenden Momenten der Stille in „Funny Games“, nachdem der Sohn erschossen wurde. Während die gefesselte Mutter (Susanne Lothar) zu ihrem verletzten Mann (Ulrich Mühe) blickt, sieht sie (und weiß) damit mehr als das Publikum. Das selbst in dieser Situation abgeklärte Spiel Lothars und die totale Kameraeinstellung tragen dazu bei, dass vielen die Szene unerträglich wird.

Frauenregisseur und Genauigkeit

Haneke meint, dass ihn sein Aufwachsen ohne Vater, dafür aber mit dem Dreigespann Großmutter-Tante-Mutter, dahin geprägt hat, mit Frauen besser umgehen zu können als mit Männern. Das findet auch in seinen Filmen bis heute Niederschlag, weil er nach eigener Aussage Frauen die interessanteren Rollen im wahren Sinne des Wortes zuschreibt.

Den Inhalt seiner Arbeiten sieht er zweitrangig: Wie bei jedem guten Kunstwerk kommt es ihm auf die Form an, der Inhalt ist für ihn austauschbar. „Ohne Form jedoch gibt es keine Kunst. Die wahre Schönheit ist die Genauigkeit.“

Der Haneke-Code

Filmhistoriker Alexander Horwath, Autor Philippe Rouyer, Isabelle Huppert u. a. sprechen im Film von Marie-Eve de Grave über ihre Erfahrungen mit dem Ausnahmeregisseur Michael Haneke. Sein Werk ist enthüllend, humanistisch und zugleich von Düsterkeit und Anmut geprägt.

Professor Haneke

Legendär ist Hanekes selbstauferlegte Disziplin, die auch dem Institut für Film und Fernsehen an der Universität für Musik und darstellende Kunst zugutekommt. An dieser renommierten – umgangssprachlich kurz Filmakademie Wien genannten – Einrichtung unterrichtet Haneke seit 2002. Von ehemaligen Studierenden ist zu erfahren, dass der Haneke-Unterricht keineswegs darunter litt, wenn der Meister außerhalb zu tun hatte.

Heute würde das im Rahmen von Pandemie und ökologischem Fußabdruck wohl anders gesehen werden, damals aber beeindruckte es, dass Haneke Vorlesungen und Seminare nicht ausfallen ließ, sondern in der Phase der Postproduktion eines Filmes etwa extra aus Paris anreiste – um unmittelbar nach dem Unterricht wieder zurückzufliegen.

Die Vision bedingt den Ton

Seine „Ausbrüche“ bzw. der etwas „rauere Ton“ am Set ist von ihm keineswegs beabsichtigt, diese Umgangsweise entsteht einfach, weil er alles daran setzt, seine Vision verwirklicht zu sehen. „Und Gott sei Dank ist das ja am nächsten Tag vergessen.“ Die Wortwahl gestaltet sich beim Unterrichten nicht weniger rau als am Set. Verstärkt durch den meist heftigen Dialekt mussten so manche Studierenden erfahren, dass Hanekes Arbeitshaltung nichts für Zartbesaitete ist.

Den prominenten Darstellern Juliette Binoche und Daniel Auteuil ging es nicht anders: Eine Zeit lang kursierte ein Making-of-Video zu „Cache“ im Internet, in dem Binoche und Auteuil schweigend zu Boden blicken, während Haneke seine Crew mit einem Wutanfall überschüttet. Grund dafür war, dass eine lang geplante Kamerafahrt als nicht möglich erachtet wurde. Haneke befreit sich schreiend von der Frustration darüber: „Seit vierzehn Tagen sag ich euch, dass das die wichtigste Szene im Film ist. Jetzt sagt ihr mir, dass das nicht geht! Das geht nicht, dass das nicht geht!“

Jean-Louis Trintignant, der mit Haneke sowohl bei „Amour“ als auch in „Happy End“ zusammengearbeitet hat, meint: „Am Set hat nur er Freude, alle anderen nicht.“ Lothar, leider schon verstorbene mehrfache Schauspielerin in Hanekes Filmen, lobte dessen Direktheit. Sie findet besagten Umgangston viel angenehmer, als wenn „Verzuckerung“ verwendet wird, aber: „Er ist kein Diplomat.“

Wie viel Zeit braucht der Mensch?

Haneke lässt den Figuren in seinen Filmen die Zeit, die sie brauchen, um sich etablieren zu können. Das mag für viele im Publikum anstrengend sein, wenn beispielsweise in „71 Fragmente der Chronologie eines Zufalls“ der Protagonist in einer einzigen Einstellung volle drei Minuten lang an der Tischtennisballmaschine den Vorhandschlag übt.

Aus dem Gesicht des Darstellers lassen sich nicht nur sportliche Anstrengung und Konzentration lesen, sondern auch der Kampf gegen die Monotonie, gegen immer gleiche Vorgänge im Leben, die schließlich mitverantwortlich für den Amoklauf im Film sind.

Prinzipiell keine Kommentare zum eigenen Werk

Autor und Regisseur Haneke möchte seine Arbeiten auf keinen Fall erklären müssen. Eine Ausnahme bildet dabei die in seinen Filmen eingesetzte Musik, damit überraschte er letzten Samstag in der Ö1-Sendung „Klassik-Treffpunkt“: Bereitwillig gab er Auskunft, welche Musik in seinen Filmen wann eingesetzt wurde und aus welchem Grund. Wirklich überraschend war aber, dass er dazu erklärte, wie der Musikeinsatz zu verstehen ist.

Denn prinzipiell verweigert er Eigenkommentare zu seinen Arbeiten und hält fest: Es gibt keine falsche Interpretation seiner Filme, jeder soll für sich selbst daraus Schlüsse ziehen und eine Aussage erkennen. Dass ihm das Anbieten von Lösungen in seinen Werken verhasst ist, stößt einerseits auf programmierten Widerstand, andererseits auf große Zustimmung. Bezüglich geplanter Projekte hält sich Haneke bedeckt. Aber dass der (laut Eigendefinition) „Workaholic“ in Pension geht, daran glaubt wohl niemand. Seine bisher letzte Kinoarbeit „Happy End“ war 2017 zu bewundern. Es bleibt spannend.