Zerstörtes russisches Militärfahrzeug
APA/AFP/Sergey Bobok
9.861 tote Soldaten

Aufregung über Bericht in russischer Zeitung

9.861 Gefallene und 16.153 Verwundete: Mit diesen Angaben hat die kremlnahe Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ am Montag für einiges Aufsehen gesorgt – wäre es doch das erste Eingeständnis hoher Verluste der russischen Streitkräfte im mittlerweile fast vier Wochen tobenden Ukraine-Krieg gewesen. Die Zeitung sprach am Dienstag von einem Hackerangriff – womit die vom Verteidigungsministerium am 2. März bekanntgegebenen 498 Toten die letzte offizielle russische Angabe über gefallene russische Soldaten bleiben.

Die russische Armee hat im Krieg gegen die Ukraine bisher erhebliche Verluste erlitten, das scheint außer Frage zu stehen. Wie viele Soldaten getötet wurden, ist schwer einzuschätzen. Von verschiedenen Seiten gibt es dazu Angaben, unabhängig überprüfen lassen sie sich nicht. Es sollen aber bereits Tausende sein.

US-Schätzungen gingen laut „New York Times“ zuletzt davon aus, dass mindestens 7.000 Soldaten aus Russland in der Ukraine getötet wurden. Deutlich höher sind die ukrainischen Angaben über russische Verluste – konkret nannte das ukrainische Verteidigungsministerium am Dienstag 15.300 russische Soldaten.

Screenshot zeigt „http://web.archive.org/web/20220321184832/https://www.kp.ru/online/news/4672522/“
Screenshot „http://web.archive.org/web/20220321184832/https://www.kp.ru/online/news/4672522/“
Die von der „Komsomolskaja Prawda" gelöschten Passagen werden etwa von ukrainischer Seite in sozialen Netzwerken geteilt

Kein Kommentar von Kreml-Sprecher Peskow

„Das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation weist die Informationen des ukrainischen Generalstabs über die angeblich großen Verluste der russischen Streitkräfte in der Ukraine zurück“, hieß es am Montag schließlich auch kurzzeitig in der „Komsomolskaja Prawda“ (Onlineausgabe) mit dem Verweis: „Nach Angaben des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation verloren die russischen Streitkräfte während der Spezialoperation in der Ukraine 9.861 Getötete, 16.153 Menschen wurden verletzt.“

Militäranalyst über Lage in der Ukraine

Der österreichische Militäranalyst Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations über die militärische Situation in der Ukraine.

Die Zeitung sei Ziel eines Hackerangriffs gewesen, bei diesem sei eine falsche Meldung über den Tod russischer Soldaten veröffentlicht worden, teilte am Dienstag „Komsomolskaja Prawda“-Kreml-Korrespondent Alexander Gamow mit. Dieser lieferte die Erklärung für den Bericht, der von zahlreichen westlichen Medien aufgegriffen wurde, in der täglichen Telefonkonferenz des Präsidialamts. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow selbst hatte zuvor gesagt, er könne den Vorfall nicht kommentieren.

„Desaster für Propaganda Russlands“

Der ukrainischen Präsidentenberater Mychailo Podoljak kommentierte auf Twitter zuvor, dass „die russische Kunst des Lügens“ nicht mehr helfe, und bezeichnete die in der kremlnahen Zeitung veröffentlichten Zahlen als „ein Desaster für die Propaganda Russlands“.

Nachdem in Russland die Bezeichnung „Krieg“ für den Ukraine-Krieg unter Androhung jahrelanger Haftstrafen verboten ist, haben Beobachter und Beobachterinnen neben einem etwaigen Hackerangriff auch eine neuerliche Aktion von Kriegsgegnern in den Raum gestellt. Die Seite der Zeitung wurde entweder gehackt, oder jemand habe geleakte Zahlen bekommen und sie veröffentlicht, schrieb etwa Yaroslav Trofimov vom „Wall Street Journal“ auf Twitter.

„Kündigung aus Protest gegen den Krieg“

Es wäre nicht die erste gegen den von Russland als „Spezialoperation“ bezeichneten Angriffskrieg in einem kremlnahen Medium. So bezeichnete die russische Journalistin Schanna Agalakowa ihre kürzliche Kündigung beim staatlichen Fernsehsender Kanal 1 als Protest gegen den Krieg in der Ukraine. Das russische Fernsehen werde für Propaganda der Regierung benutzt, sagte sie bei einer Pressekonferenz in Paris, wo sie zuletzt für den Sender als Korrespondentin tätig war. „Als ich mit meinen Chefs gesprochen habe, habe ich gesagt, dass ich diese Arbeit nicht mehr machen kann.“

Kanal 1 hatte zuletzt auch für Schlagzeilen gesorgt, als die Journalistin Marina Owsjannikowa während einer Livenachrichtensendung des Senders ein Protestplakat gegen Krieg und Lügenpropaganda in die Kamera hielt. Darauf stand: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen.“

Ukraine: USA warnen vor chemischen Waffen

Die russische Armee versucht weiterhin, den Widerstand in einigen ukrainischen Städten zu brechen. Währenddessen warnen die USA, Russland könnte chemische oder biologische Waffen einsetzen.

Strafen für „Falschinformationen“

Das russische Unterhaus verabschiedete unterdessen ein Gesetz, das Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für die Veröffentlichung von „Falschinformationen“ über Auslandsaktionen des russischen Staates vorsieht. Das von der Duma in Moskau in dritter Lesung beschlossene Gesetz legt Gefängnis- und Geldstrafen für Menschen fest, die „wissentlich falsche Informationen“ über Maßnahmen russischer Regierungsbehörden „außerhalb des russischen Territoriums“ verbreiten.