US-Präsident Joe Biden
AP/Gemunu Amarasinghe
EU, NATO, G-7

Gipfelmarathon startet mit Biden-Besuch

Am Donnerstag hat in Brüssel ein hochrangiger Gesprächsreigen in Form eines „Gipfeltrios“ aus EU, NATO und G-7 begonnen. Thema ist einmal mehr der Ukraine-Krieg. US-Präsident Joe Biden nimmt an den Gipfeln teil, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski will sich per Video zuschalten. Ziel des Westens ist es, Einigkeit und Geschlossenheit gegenüber Russland zu zeigen – neue Sanktionen stehen im Raum.

Ein Tag, drei Gipfel – den Auftakt macht Donnerstag der Sondergipfel der NATO. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte Biden am Donnerstag im NATO-Hauptquartier. Biden will bei dem Gipfel den „eisernen Beistand“ der Vereinigten Staaten mit den Verbündeten bekunden, wie das Weiße Haus mitteilte. Im Anschluss ist ein Gipfel der Gruppe der sieben führenden Industriestaaten (G-7) unter Leitung von Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) geplant. Danach nimmt Biden als Gast am EU-Gipfel teil. Selenski soll bei allen drei Treffen per Video zugeschaltet werden.

Der NATO-Gipfel werde ein „außergewöhnliches Treffen zu einer außergewöhnlichen Zeit“ sein, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch vorab. Der Ukraine-Krieg sei die größte Sicherheitsbedrohung seit dem Zweiten Weltkrieg, Stoltenberg sei hinsichtlich des NATO-Gipfels aber „zuversichtlich, dass sich die Verbündeten in wichtigen Fragen einigen werden“.

NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg
APA/AFP/Thomas Coex
„Ich glaube, dass es ein wichtiges und außergewöhnliches Treffen zu einem außergewöhnlichen Zeitpunkt sein wird“, so Stoltenberg zum NATO-Sondergipfel

Weiterhin kein militärisches Eingreifen

Russland stellt nach Ansicht von Stoltenberg derzeit keine akute Gefahr für Alliierte dar. „Wir sind das stärkste Bündnis der Welt“, sagte der Norweger am Donnerstag am Rande des NATO-Sondergipfels. „Solange wir zusammenstehen, sind wir sicher.“ Gleichzeitig warnte er vor einem Einsatz von Chemiewaffen in der Ukraine. Die chemischen Kampfstoffe könnten sich dann auch auf NATO-Territorium ausbreiten.

Stoltenberg machte erneut deutlich, dass die NATO trotz ihrer militärischen Überlegenheit ein militärisches Eingreifen in den Ukraine-Krieg ausschließt. „Das tun wir, weil wir die Verantwortung dafür tragen, dass dieser Konflikt nicht über die Ukraine hinaus eskaliert“, sagte er. Das würde „noch mehr Leid, noch mehr Tote, noch mehr Zerstörung verursachen“. Selbst das Durchsetzen der von der Ukraine immer wieder geforderten Flugverbotszone über der Ukraine ist laut Stoltenberg zu gefährlich.

Besorgt wegen nuklearer Bedrohung

Im Zentrum der NATO-Beratungen stehen vor allem neue Aufrüstungspläne. So verkündete Stoltenberg bereits die Aufstockung der Truppen an der Ostflanke zu Russland. Von den NATO-Bündnispartnern erwartet Stoltenberg Zusicherungen, was verstärkte militärische Hilfe in Form von Verteidigungswaffen für die Ukraine betreffe. Darunter seien Ausrüstung zum Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Bedrohungen sowie Hilfe bei der Cybersicherheit. Details wollte Stoltenberg nicht nennen. Zudem sollen die finanziellen und humanitären Hilfen verstärkt werden.

Besorgt zeigte sich Stoltenberg einerseits hinsichtlich der nuklearen Drohungen Russlands, anderseits über die politische Unterstützung Chinas für Russland. Stoltenberg warf China vor, die russische Invasion mit Lügen und künftig möglicherweise auch mit Kriegsmaterial zu unterstützen. China ist ein einflussreicher Verbündeter Moskaus und hat den russischen Einmarsch in die Ukraine bisher nicht verurteilt.

Medien: Stoltenberg verlängert als NATO-Generalsekretär

Die NATO forderte am Donnerstag von China ein klare Positionierung gegen Russlands Angriff auf die Ukraine. „Wir fordern China auf, sich dem Rest der Welt anzuschließen und den russischen Einmarsch in die Ukraine klar zu verurteilen und keine politische Unterstützung zu leisten“, so Stoltenberg. Das schließe natürlich auch ein, keinerlei materielle Unterstützung für die Invasion in die Ukraine zu leisten.

Stoltenberg verlängert nach Informationen norwegischer Medien seine Amtszeit um ein Jahr. Das berichteten der Sender TV2 und die Zeitung „Dagens Naeringsliv“. Stoltenbergs reguläre Amtszeit läuft Ende September aus, er sollte danach Zentralbankchef seines Landes werden. Hintergrund der Verlängerung, die formal die NATO-Staaten beschließen müssen, ist der russische Krieg gegen die Ukraine.

Johnson sieht rote Linie überschritten

Russlands Präsident Wladimir Putin habe mit dem Krieg gegen die Ukraine nach den Worten des britischen Premiers Boris Johnson einen Tabubruch begangen. „Wladimir Putin hat die rote Linie zur Barbarei bereits überschritten“, antwortete Johnson am Donnerstag am Rande des NATO-Sondergipfels auf die Frage, ob der Einsatz von Chemiewaffen eine rote Linie sei.

Die NATO müsse jetzt prüfen, was noch getan werden könne, um die Ukraine zu unterstützen und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. „Je härter unsere Sanktionen, je härter unser wirtschaftlicher Schraubstock um das Putin-Regime, desto mehr können wir den Ukrainern helfen, desto schneller könnte die Sache vorbei sein, glaube ich.“

China-Frage auch bei G-7

Nach dem NATO-Gipfel dürfte auch die Gruppe der sieben, zu der neben Deutschland und den USA noch Frankreich, Italien, Kanada, Großbritannien und Japan zählen, über die gemeinsame Haltung zu China debattieren. Biden hatte Peking zuletzt mit Konsequenzen gedroht, sollte es Moskau bei den „brutalen Angriffen“ auf die Ukraine unterstützen.

Der US-Präsident verwies dabei auf die starken Sanktionen des Westens gegen Russland. Der stellvertretende chinesische Außenminister Le Yucheng nannte diese Sanktionen indes kürzlich „empörend“. Ob die Europäer Strafmaßnahmen gegen China mittragen würden, gilt als ungewiss.

Der kanadische Premier Justin Trudeau
AP/Geert Vanden Wijngaert
Auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau wird am Donnerstag in Brüssel sein, konkret: beim G-7-Gipfel

Van der Bellen „gespannt“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigt sich zum NATO- und G-7-Gipfel „gespannt“. Gegenüber ORF.at sagte er am Mittwoch in Brüssel: „Ich weiß nicht, ob Biden etwas Neues anzukündigen hat.“ Er lobte jedoch die finanzielle Hilfe der USA für die Ukraine.

Vom NATO-Gipfel erwarte sich Van der Bellen indes „nichts sensationell Neues“, da die Bündnispartner ohnehin bereits übereingekommen seien, nicht militärisch eingreifen zu wollen. Im Zuge seines dreitägigen Staatsbesuchs traf sich Van der Bellen auch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, um unter anderem über den Ukraine-Krieg zu beraten.

EU-Gipfel zu neuen Sanktionen?

Auch die 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen werden sich beim zweitägigen Gipfel mit den direkten und indirekten Folgen des Ukraine-Kriegs beschäftigen. Mit Joe Biden als Gast ist es das erste Mal in der Geschichte, dass ein US-Präsident an einem EU-Gipfel teilnimmt. Nach Angaben aus Washington soll am Donnerstag ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland verkündet werden – es wäre das mittlerweile fünfte Paket. Laut einem EU-Beamten könnten neue Sanktionen aber weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, schließlich gebe es diesbezüglich unter den einzelnen Mitgliedsstaaten Differenzen.

Publizistin Stelzenmüller zur Rolle der USA

Constanze Stelzenmüller, Publizistin und Juristin der US-Denkfabrik Brookings, kommentiert das bisherige Vorgehen der USA im Ukraine-Krieg. Sie geht auch auf die desaströsen Umfragewerte Joe Bidens ein, der ganz untypischerweise auch in Krisenzeiten bei den US-Amerikanern unbeliebt bleibt.

Während sich vor allem östliche EU-Länder für eine Verschärfung aussprechen und vor Sanktionsmüdigkeit warnen, pochen andere Mitgliedsstaaten wie Deutschland darauf, zuerst die bereits in Kraft getretenen Sanktionen zu evaluieren und mögliche Lücken zu schließen, bevor neue Sanktionen beschlossen werden. Im Gipfelentwurf heißt es: Die EU „bleibt bereit, rasch mit weiteren koordinierten Sanktionen weiterzumachen“.

Zu neuen möglichen Sanktionsmöglichkeiten zählen etwa der Ausschluss weiterer Personen oder Banken vom internationalen Zahlungsnetzwerk SWIFT. Im Raum steht ein mögliches Energieembargo. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte dazu: „Ein solches Embargo hätte sehr schwere Folgen für den Weltölmarkt, verhängnisvolle Folgen für den europäischen Energiemarkt.“

Demonstration in Brüssel gegen Öl aus Russland
AP/Geert Vanden Wijngaert
Aktivisten und Aktivistinnen forderten vor dem EU-Gipfel ein Ölembargo gegen Russland

„Solidaritätsfonds“ für Ukraine

Zur Unterstützung der Ukraine will die EU unterdessen einen „Solidaritätsfonds“ ins Leben rufen, wie aus dem Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen hervorgeht. Die Mittel sollen demnach von einer internationalen Geberkonferenz kommen, Ort und Zeit sind noch nicht bekannt. Unterstützung sollen die ukrainischen Kriegsflüchtlinge sowie besonders geforderte EU-Staaten erfahren. Polen und Österreich stehen laut EU-Kommission „die größten Herausforderungen“ gegenüber. Der EU-Gipfel will über die Koordinierung und mögliche Verteilung der Schutzsuchenden beraten.

Und: Auch im Kreis der 27 soll die Rolle Chinas im Ukraine-Krieg beleuchtet werden. Peking könne eine Schlüsselrolle im Umgang mit Russland spielen, erklärte ein EU-Beamter. Am 1. April findet dazu aber ein eigener EU-China-Gipfel statt.

Neue Militärstrategie und Energiepreise auf der Agenda

Auch auf der Agenda des EU-Gipfels steht die neue EU-Militärstrategie „Strategischer Kompass“. Diese wurde am Montag von den Außen- und Verteidigungsministern beschlossen und soll nun von den Staats- und Regierungschefs gebilligt werden. Das Konzept sieht eine eigene militärische EU-Eingreiftruppe vor, die bis 2025 einsatzfähig sein und bis zu 5.000 Soldatinnen und Soldaten aus den Mitgliedsländern umfassen soll.

Beraten werden soll auch über die hohen Energiepreise und eine mögliche Deckelung durch die Staaten. „Es wird diskutiert werden, was getan werden kann, um die Preise zu reduzieren. Sowohl kurz- als auch mittel- und langfristig“, so ein EU-Beamter.

Die EU-Kommission hatte kurz vor dem EU-Gipfel konkretere Maßnahmen für niedrigere Energiepreise in Europa vorgelegt. Dabei listete sie unter anderem Preisdeckel und gemeinsame Gaseinkäufe für eine stärkere Verhandlungsposition auf dem Markt auf. Die Meinungen unter den EU-Staaten gingen bisher auseinander, wenn es um einen Eingriff in den Energiemarkt ging. Klar bleibt indes: Auch diesmal werden die Beratungen wohl bis lang in die Nacht andauern.