Karl Nehammer (ÖVP) vor der Presse
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Versorgungssicherheit vs. Boykott

Uneinigkeit in Gasfrage spaltet EU

Die EU ist in Sachen russische Gaslieferungen und Energiesicherheit gespalten. Eine Einigung in dem Konflikt der EU-Länder ist auch am zweiten EU-Gipfeltag am Freitag in Brüssel nicht in Sicht. Während die Ukraine und die baltischen Ländern auf ein Embargo der russischen Lieferungen drängen, verweist etwa Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf die Versorgungssicherheit und darauf, dass Alternativen Zeit brauchten. Die EU soll jetzt zusätzliches Flüssiggas aus den USA erhalten.

Auch die baltischen Länder drängen neben der Ukraine auf ein Embargo für russisches Gas und Öl – denn solange die EU Energieträger aus Russland kaufe, finanziere man den Krieg mit, so das Argument der Sanktionsbefürworter. Auch der ukrainische Präsidentenberater Oleksandr Rodnjanskyj hält einen Stopp der europäischen Importe von russischem Öl und Gas für unumgänglich. Der Westen müsse verhindern, dass die Sanktionen gegen Russland von Moskau umgangen würden, sagte Rodnyansky am Donnerstag in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“.

Bundeskanzler Nehammer verwies hingegen nach dem ersten EU-Gipfeltag am Donnerstag auf die Versorgungssicherheit. Ganz Europa arbeite derzeit daran, unabhängig von russischem Gas zu werden und sich bei der Energiesicherheit neu aufzustellen, sagte Nehammer gegenüber ORF.at. Doch das brauche Zeit. Der Bundeskanzler appellierte hier an die Geschlossenheit der EU: „Es hat keinen Sinn, wenn Mitgliedsstaaten sich gegeneinander ausspielen. Wer kein russisches Gas braucht, der kann Sanktionen fordern, wer abhängig vom russischen Gas ist, kann das nicht", so Nehammer in der Nacht auf Freitag. Länder wie Österreich, die abhängig davon seien, könnten das nicht, daher brauche es Kreativität bei den Sanktionen.

Gasspeicher zu 12,5 Prozent gefüllt

Als österreichischer Bundeskanzler „ist mein erstes Interesse, dass die Menschen in Österreich Energiesicherheit haben“, so Nehammer vor Journalisten in Brüssel weiter. Österreich sei abhängig von russischem Gas, „wir sind willens, aus dieser Abhängigkeit auch herauszukommen“. Aber das brauche Zeit, einen „geordneten Plan“ und keine „überbordenden Emotionen, die unsere Energiesicherheit gefährden“, sagte Nehammer weiter. Laut Nehammer bezieht Österreich sein Gas zu 80 Prozent aus Russland. Daten des europäischen Branchenverbandes Gas Infrastructure Europe (GIE) zufolge sind die Gasspeicher in Österreich nur noch zu 12,5 Prozent gefüllt.

Ukraine-Krieg: Ergebnisse beim EU-Gipfel

Spät in der Nacht auf Freitag ist der Gipfelmarathon in Brüssel zu Ende gegangen. Genau einen Monat nach der russischen Invasion in die Ukraine sind die EU-Staats- und -Regierungsspitzen, die NATO-Bündnispartner und G-7-Mitglieder zu insgesamt drei Gipfeln zusammengekommen, um über neue Maßnahmen zu beraten. Während bei der Verstärkung der Hilfe für die Ukraine Einigkeit herrschte, rief die Frage neuer Sanktionen gegen Russland Risse in der viel beschworenen Geschlossenheit des Westens hervor.

Selenski fordert Energiesanktionen gegen Moskau

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski hatte am Donnerstag beim EU-Gipfel erneut Energiesanktionen gegen Russland verlangt. Er drängte die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend nach Angaben eines EU-Mitarbeiters in einer Videoansprache dazu, den Druck auf Moskau weiter zu erhöhen. Sein Land kämpfe auch für die Freiheit der EU, betonte Selenski demzufolge in seiner gut zehnminütigen Rede.

Der ukrainische Staatschef hatte bereits mehrfach einen Einfuhrstopp für russisches Gas und Öl sowie Kohle von der EU verlangt. Polen und andere osteuropäische Länder drängen ebenfalls darauf. „Solange wir Energie von Russland kaufen, finanzieren wir den Krieg“, kritisierte auch die finnische Regierungschefin Sanna Marin in Brüssel.

Kontroverse in Deutschland

Die Energiefrage beschäftigt auch die deutsche Innenpolitik. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist gegen ein Energieembargo, wie es die USA verhängt haben. Scholz hatte erst am Mittwoch im deutschen Bundestag gewarnt, ein solcher Schritt würde Deutschland „in die Rezession stürzen“. Der Vorsitzende des Europaausschusses im deutschen Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), forderte ein sofortiges Energieembargo gegen Russland. „Wir überweisen Tag für Tag Hunderte Millionen Euro nach Moskau. Damit werden der russische Staat und sein Militärapparat am Laufen gehalten“, sagte er dem Nachrichtenportal The Pioneer am Freitag.

Robert Zikmund (ORF) zu EU-Gipfel

ORF-Korrespondent Robert Zikmund meldet sich aus Brüssel und spricht über die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg und zur Gasfrage.

Eine Absage an russische Energielieferungen würde zwar zu „einer mittleren Rezession führen“. Er teile aber nicht die Einschätzung von Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), dass der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden für Deutschland zu groß wäre, sagte Hofreiter. Habeck geht davon aus, dass Deutschland noch zwei Jahre Gas aus Russland benötigen wird. Man rechne damit, dass man sich bis Sommer 2024 bis auf wenige Anteile unabhängig von russischem Gas machen könne, sagte Wirtschaftsminister Habeck am Freitag in Berlin. Parallel zum EU-Gipfel stemmte er sich damit erneut gegen Forderungen von Mitgliedsstaaten für ein schnelles Embargo.

Deutschland bemühe sich aber, schnell unabhängiger zu werden. Auf russische Kohle könne man schon bis Herbst, auf russisches Öl bis Ende des Jahres verzichten. FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), Deutschland solle wieder stärker auf Braunkohle und Kernenergie setzen, um unabhängig von russischem Gas zu werden.

USA sagen mehr Flussiggas für Europa zu

Die USA wollen in diesem Jahr gemeinsam mit internationalen Partnern 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas (LNG) zusätzlich in die EU liefern, um russische Gasimporte zu ersetzen. Langfristig soll die Menge auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen, wie US-Präsident Joe Biden zusammen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in Brüssel ankündigte. Damit könnte nach Kommissionsangaben etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden.

„Sie wissen, dass wir unsere Abhängigkeit von Russland reduzieren wollen“, sagte von der Leyen. Das könne durch Investitionen in erneuerbare Energien, aber auch zusätzliche Gaslieferungen einschließlich LNG-Lieferungen erreicht werden. Die Zusage der USA über 15 Milliarden Kubikmeter sei ein großer Schritt in die Richtung. Damit könne nach Angaben der EU-Kommission etwa ein Zehntel der russischen Gaslieferungen in die EU dieses Jahr gedeckt werden. Die EU importiert pro Jahr rund 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland – das sind etwa 40 Prozent des verbrauchten Gases in der EU.

Bis 2030 werde Europa zudem eine stabile Nachfrage nach zusätzlichem LNG über mindestens 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr aus den USA sicherstellen, sagte von der Leyen. Diese Menge würde ein Drittel des russischen Gases, das zurzeit in die EU fließe, ersetzen.

Russland bestätigt Lieferungen

Mehr als einen Monat nach Kriegsbeginn hat Russland weiter Gaslieferungen durch die Ukraine nach Europa in großem Umfang bestätigt. Gemäß den Kundenbestellungen würden am Freitag 105,1 Millionen Kubikmeter durch das Leitungssystem des Nachbarlandes gepumpt, sagte der Sprecher des Energieriesen Gasprom, Sergej Kuprijanow, der Agentur Interfax zufolge. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung liegt bei 109 Millionen Kubikmetern Gas pro Tag. Die Ukraine bezieht aus dem Transit des russischen Gases für den eigenen Staatshaushalt wichtige Durchleitungsgebühren.

Der russische Präsident Wladimir Putin wies indes den Energieriesen Gasprom an, Zahlungen für seine Erdgasexporte in der Landeswährung Rubel zu akzeptieren. In den kommenden Tagen solle der Konzern herausfinden, wie das geschehen könne, teilte der Kreml am Freitag in Moskau mit. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies zugleich darauf hin, dass Nowatek als Russlands größter Produzent von verflüssigtem Erdgas solche Anweisungen nicht erhalten habe.

Verträge bisher in Euro oder Dollar

Putin hatte erst am Mittwoch gesagt, Russland werde für Gas, das an „unfreundliche“ Länder verkauft wird, eine Bezahlung in Rubel verlangen. Üblicherweise werden Zahlungen in Dollar oder Euro geleistet. Zuvor hatten die USA und ihre europäischen Verbündeten gemeinsame Sanktionen gegen Russland verhängt, um das Land zum Rückzug aus der Ukraine zu zwingen.

Putins Ankündigung wurde in Europa scharf kritisiert. Viele Unternehmen wiesen darauf hin, dass die geltenden Verträge mit Gasprom eine Zahlung in Euro oder Dollar vorsehen, nicht jedoch in Rubel.