Marine Le Pen und Wladimir Putin
AP/Sputnik/Kreml/Mikhail Klimentyev
Neue Dokumente

Wie Europas Rechte von Russland profitierte

Seit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine scheinen die Fronten der europäischen Parteien gegen Russland geeint zu sein. Bis vor Kurzem sah die Situation noch anders aus: Rechte Parteien aus Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich waren in Moskau gern gesehene Gäste. Wie neu aufgetauchte Dokumente belegen, waren die Kontakte der europäischen Rechten zu kremlnahen Oligarchen enger als gedacht.

Sie alle eint eine europaskeptische Haltung, eine Ablehnung gegenüber Migration, die Überzeugung, dass Familie die Grundeinheit der Nation darstellt – und ein bis vor Kurzem enger Kontakt nach Russland. Die Rede ist von Europas rechten Politikerinnen und Politikern, angefangen vom Vorsitzenden der italienischen Lega-Partei, Matteo Salvini, bis hin zu österreichischen Politikern wie Heinz-Christian Strache und Johannes Hübner, beide FPÖ.

Dokumente und E-Mails, die dem Londoner Dossier Center zugespielt und vom New Lines Magazine, der estnischen Nachrichtenagentur Delfi, dem italienischen Magazin „L’Espresso“, der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) ausgewertet wurden, belegen erstmals die strategische Zusammenarbeit des Kremls mit rechten europäischen Parteien – und mitunter auch deren finanzielle Abhängigkeit.

Savoini als Vermittler zwischen Russland und Europa

Die Dokumente zeigen, welche wichtige Vermittlerrolle der langjährige Berater Salvinis, Gianluca Savoini, für russische Interessen einnahm. Immer wieder tauchen in den Unterlagen Mails zwischen Savoini und Michail Jakuschew, dem Direktor der russischen Putin-nahen Unternehmensgruppe Zargrad, auf, in denen Savoini Treffen zwischen russischen Politikern, Salvini und Vertretern anderer europäischer Rechtsparteien einfädeln soll.

Anfang 2016 organisierte Savoini etwa ein Treffen, bei dem unter anderem Salvini, Strache, die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen, Mitglieder von Putins Partei Geeintes Russland, der umstrittene russische Ideologe Alexander Dugin und andere „russische Freunde“ teilnehmen sollten – aufgrund der befürchteten medialen Berichterstattung wurden die russischen Gäste jedoch kurz vor dem Treffen wieder ausgeladen.

„L’Espresso“: Russische Millionen für Italiens Wahlkampf

Dass es zwischen Russland und Italien bereits in der Vergangenheit Absprachen gegeben hat, ist nicht neu: Bereits im Februar 2019 veröffentlichte die italienische Zeitschrift „L’Espresso“ Recherchen, die geheime Verhandlungen zwischen Savoini und Moskau aufdeckten. Die Treffen sollten offensichtlich darauf abzielen, verdeckte Finanzmittel in Millionenhöhe vor den EU-Parlamentswahlen 2019 für Salvinis Lega-Partei zu beschaffen – dem gleichen Jahr, in dem dieser den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „besten Staatsmann der Welt“ bezeichnete.

Auch 2015 hatte Salvini keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Putin gemacht – und sich demonstrativ in einem T-Shirt mit dem Gesicht des russischen Präsidenten im Europäischen Parlament gezeigt. Bei einem Polen-Besuch vor einigen Wochen anlässlich des Ukraine-Krieges wurde ihm das zum Verhängnis: Der Bürgermeister des polnischen Orts Przemysl hielt bei seinem Besuch ebenjenes T-Shirt neben Salvini in die Kameras und weigerte sich, diesen zu empfangen. „Ich lade den Senator ein, mit mir an die Grenze zu fahren. Da zeige ich ihm die Flüchtlingsunterkünfte, dann sieht er, was sein Freund Putin wirklich gemacht hat“, so der Bürgermeister.

Matteo Salvini neben dem Putin-Shirt
AP/Czarek Sokolowski
Ein polnischer Bürgermeister hielt bei Salvinis Besuch am 3. März ein T-Shirt in die Höhe, das dieser einst im EU-Parlament getragen hatte

Im Juli 2019 veröffentlichte BuzzFeed News-Audioaufzeichnungen von Savoinis Verhandlungen in Moskau, in der ausdrücklich Pläne zur Beschaffung illegaler russischer Gelder für die Lega beschrieben werden. Kurz darauf leitete die italienische Staatsanwaltschaft in Mailand eine Untersuchung gegen Savoini ein, die nach wie vor läuft.

Oligarch Malofejew als wichtiger Strippenzieher

In einem anderen Mailwechsel zwischen Savoini und dem rechtsextremen russischen Ideologen Dugin werden unter anderem geheime Treffen mit Le Pen und „Konstantin“ in einem Hotel organisiert. Gemeint ist damit vermutlich der russische Oligarch Konstantin Malofejew, Vorstand der Unternehmensgruppe Zargrad, zu der auch ein TV-Sender gehört.

Der ehemalige Investmentbanker gilt als streng orthodox und ist ein treuer Anhänger Putins, den er als „Anführer der christlichen Welt“ bezeichnet. Über seine Stiftung „Basilius der Große“ sponsert er Konferenzen der europäischen Rechten, auch mit schwulenfeindlichen christlichen Gruppen aus den USA hat sich der offensiv LGBTQ-feindliche Malofejew abgestimmt. 2014 setzte ihn die EU auf die Sanktionsliste, da er angeblich russische Separatisten in der Ostukraine finanzierte.

Der russische Oligarch Konstantin Malofejew
Reuters/Tatyana Makeyeva
Der russische Oligarch Malofejew bezeichnet sich selbst als „orthodoxen Monarchisten“. Die Ukraine nannte er einst ein „künstliches Gebilde, geschaffen auf den Ruinen des russischen Imperiums“.

„Malofejew hat die Aufgaben des Kremls ausgeführt, zu denen auch die Einmischung in die Wahlen in Bosnien und Polen gehörte“, so Kalev Stoicescu, Russland-Forscher am estnischen International Centre for Defence Studies, laut dem New Lines Magazine. „Er hat die Treffen der europäischen Rechtsextremisten organisiert. Er hat einen Kredit in Höhe von elf Millionen Euro von russischen Banken an die Partei von Marine Le Pen vermittelt.“

Auch österreichische Politiker in Dokumenten genannt

In einem weiteren zugespielten Dokument aus dem Februar 2016 schlägt eine Mitarbeiterin der Zargrad-Gruppe rund um Malofejew vor, dass sich der FPÖ-Politiker Johannes Hübner in Österreich für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland einsetzen könnte. Zusätzlich sollte eine Medienkampagne aufgestellt werden, die über die „irreparablen Schäden“ der österreichischen Wirtschaft wegen der Sanktionen gegen Russland berichten sollte.

In dem von der Mitarbeiterin erstellten Dokument, bei dem es sich anscheinend um eine Art Honorar für eine Dienstleistung handelt, stellt sie fest, dass ein solches Vorhaben 20.000 Dollar (18.200 Euro) kosten würde, „im Falle einer erfolgreichen Abstimmung“ weitere 15.000 Dollar. Im Juni 2016 brachte Hübner tatsächlich einen unselbstständigen Entschließungsantrag mit dem Titel „Aufhebung der Sanktionen gegen Russland“ im Parlament ein, der jedoch abgelehnt wurde.

Savoini als Mittelsmann zwischen AfD und Russland

Und auch in Deutschland streckte Savoini als Bindeglied zwischen Europas Rechten und Russland seine Fühler aus. Die ARD-„Tagesschau“ berichtet von einem Mail-Wechsel zwischen dem mittlerweile verstorbenen AfD-Aktivisten Manuel Ochsenreiter und Savoini, in dem es um „unsere russischen Freunde“ gegangen sei.

Ochsenreiter solle eruieren, wie viel die deutsche Regierung für syrische Flüchtlinge ausgegeben habe und den ehemaligen Chef der AfD-Jugendorganisation, Markus Frohnmaier, für das Projekt gewinnen. Dieser bestreitet laut „Tagesschau“, dem zugestimmt zu haben. Er habe auch keine Kenntnis „von irgendeiner Involvierung Russlands in dieses nebulöse Projekt“.

Gunnar Lindemann auf der Krim 2018
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Der AfD-Politiker Gunnar Lindemann auf einem Besuch der von Russland annektierten Krim im Februar 2018

Im Februar 2018 reisten acht AfD-Landtagsabgeordnete auf die Krim – als „Signal an die Wähler“, die auf eine Deeskalation im Verhältnis zu Russland hoffen würden, so die Parlamentarier. „Es ist nun mal so, dass die Krim jetzt die russische Krim ist“, sagte Frohnmeier bei einem späteren Besuch gegenüber dem Staatssender RT Deutsch. „Die Krim kommt nicht mehr zurück, und ich denke, das muss man jetzt einfach auch akzeptieren.“

„Systematische Arbeit mit Euroskeptikern“

Im März 2021 wollte die Zargrad-Organisation die rechten europäischen Parteien und Russland offensichtlich noch enger aneinanderbinden und plante dem New Lines Magazine zufolge die Gründung eines Netzwerks mit dem Namen „Altintern“. Zu den vorgeschlagenen Mitgliedern sollten unter anderem die Bewegung für Demokratie und Identität, die 64 der 705 Sitze im Europäischen Parlament innehat, Mitglieder der italienischen Lega und des Rassemblement National unter Le Pen gehören.

„Ohne unser aktives Engagement und unsere spürbare Unterstützung für die europäischen konservativen Parteien werden ihre Popularität und ihr Einfluss in Europa weiter schwinden“, heißt es in dem zugespielten Dokument. Wegen der Einschränkungen durch die Pandemie und fehlenden europäischen Lizenzen für russische Impfstoffe müsse die „Wiederaufnahme von Schritten zur Wiederherstellung der Kontakte mit euroskeptischen Parteien“ erfolgen.

Malofejew: Westliche Medien wie Nazi-Zeitungen

Ob das „Altintern“-Netzwerk jemals umgesetzt wurde, ist unklar. Malofejew wollte sich zu den Vorwürfen gegenüber New Lines, WDR, NDR und „SZ“ schriftlich oder telefonisch nicht äußern, solange es kein persönliches Interview in Moskau gebe. Da die Medien im Auftrag westlicher Geheimdienste agieren würden, sei die Anfrage „so, als würde die Nazi-Zeitung ‚Völkischer Beobachter‘ 1941 die UdSSR um einen Kommentar zu den Ereignissen an der Ostfront anfragen“. Er warte jedoch in Moskau auf sie.