Rubel-Banknoten
Getty Images/Bloomberg Creative Photos
Energieversorgung

EU kontert Putins Schachzug

Russland lässt nichts unversucht, Europa für die durch Moskaus Überfall auf die Ukraine ausgelösten harten Sanktionen zu bestrafen. Dazu gehört auch die Ankündigung, Gas demnächst nur noch gegen Bezahlung in Rubel zu liefern. Dem erteilte Europa auf dem EU-Gipfel nicht nur eine klare Absage, sondern konterte mit weiteren Maßnahmen. Für einige EU-Mitgliedsstaaten gehen diese allerdings noch nicht weit genug.

So einigten sich die 27 EU-Staats- und -Regierungsspitzen am Freitag nach stundenlangen Beratungen etwa auf gemeinsame Gaseinkäufe, um die Einkaufspreise zu reduzieren. „Anstatt uns gegenseitig zu überbieten und die Preise in die Höhe zu treiben, werden wir unsere Nachfrage bündeln“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitagabend.

Bei Pipeline-Gas repräsentiere die EU etwa 75 Prozent des Marktes. „Wir haben eine enorme Kaufkraft“, sagte von der Leyen. Die Teilnahme an den gemeinsamen Einkäufen soll freiwillig sein. Bereits in der Früh hatte von der Leyen einen Deal mit US-Präsident Joe Biden präsentiert, wonach die EU künftig große Mengen an Flüssiggas (LNG) aus den USA beziehen soll, um die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Damit könnte nach Kommissionsangaben langfristig etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel
APA/AFP/John Thys
Von der Leyen und Charles verkünden gemeinsame Gaseinkäufe zur Preissenkung

Verstärkte Gasspeicherung

Die Europäer wollten ihre Bezugsquellen diversifizieren, „hin zu Lieferanten, denen wir vertrauen“, sagte von der Leyen. „Die US-Zusage ist ein großer Schritt in diese Richtung.“ Die zusätzlichen US-Lieferungen sollen vor allem die europäischen Gasspeicher vor dem nächsten Winter füllen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) pochte bezüglich der Pläne der EU-Kommission, dass EU-Staaten ihre Gasspeicher bis 1. November jedes Jahr zu 90 Prozent gefüllt haben müssen, auf Solidarität. Österreich gehöre zu den Ländern mit den größten Gasspeichern, vor allem in Relation zur Bevölkerung, erklärte Nehammer nach dem EU-Gipfel. „Wenn wir gemeinsam viel Gas einspeichern sollen, dann braucht es eine Lastenverteilung.“

Und: „Wir werden auch gerne bevorraten im Sinne des europäischen Geistes, aber dann muss auch klar sein, dass die Kosten im europäischen Geist geteilt werden.“ Diese Lastenteilung sei im Rahmen des EU-Gipfels „klargestellt“ worden, sagte Nehammer. Sie werde auf Ministerebene beraten und später auch beschlossen. Ähnlich wie Österreich seien auch die Niederlande, Deutschland und Ungarn davon betroffen. Die Pläne zum gemeinsamen Gaseinkauf begrüßte Nehammer.

Keine Preisdeckelung, kein Energieembargo

Keine Einigung gab es hingegen bei härteren Markteingriffen wie einem Preisdeckel, wie sie unter anderem von Spanien gefordert wurden. In der gemeinsamen Abschlusserklärung hieß es allerdings: Die EU-Staaten und die Kommission sollten mit Akteuren des Energiesektors erörtern, ob und wie unter anderem Preisobergrenzen oder Steuernachlässe dazu beitragen könnten, den Gaspreis zu senken und seine „Ansteckungswirkung“ auf die Strommärkte zu bekämpfen.

Eine Absage wurde am zweiten Gipfeltag auch einem Energieembargo gegen Russland erteilt. Die Ukraine, aber auch baltische Staaten drängen auf ein Embargo für russisches Gas und Öl – denn solange die EU Energieträger aus Russland kaufe, finanziere man den Krieg mit, so das Argument der Sanktionsbefürworter. Die Gegner, zu denen auch Österreich und Deutschland zählen, verweisen hierbei allerdings auf die Versorgungssicherheit.

„Ins linke und rechte Bein gleichzeitig schießen“

Auf die Frage, unter welchen Bedingungen denn ein Embargo in Österreich denkbar wäre, antwortete Nehammer gegenüber ORF.at: „Für Österreich so überhaupt nicht. Weil das ist sozusagen so, wie wenn man sich ins linke und rechte Bein gleichzeitig schießen würde.“ Bei einer achtzigprozentigen Abhängigkeit gehe es darum, mittelfristig mehr Gasanbieter zu definieren. Längerfristig gesehen bedürfe es eines gänzlichen Ausstiegs aus fossilen Energien.

EU-Staaten wollen gemeinsam Gas kaufen

Nach neunstündigem Ringen um Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise haben sich die EU-Länder darauf geeinigt, gemeinsam Gas einzukaufen.

Zahlung in Rubel „Vertragsverletzung“

Gleich mehrere Regierungschefs sowie von der Leyen stellten in Brüssel klar, dass europäische Staaten derzeit nicht daran denken, auf Russlands Bedingung für weitere Gaslieferungen – Bezahlung im kaum verfügbaren Rubel statt Dollar oder Euro – einzusteigen.

Die Verträge seien geprüft worden, diese würden eine Bezahlung in Euro oder Dollar vorsehen, betonte der deutsche Kanzler Olaf Scholz. „Wir betrachten das als eine Verletzung von bestehenden Verträgen“, sagte auch der italienische Premier Mario Draghi. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand in Europa weiß, wie Rubel aussehen. Niemand wird in Rubel bezahlen“, sagte der slowenische Regierungschef Janez Jansa. Ähnlich äußerte sich der französische Präsident Emmanuel Macron.

Es gebe keinen Grund, der russischen Forderung nachzukommen, sagte er. Auch Nehammer meinte dazu: „Wir haben bestehende Verträge, die vorsehen, dass wir in Euro und Dollar bezahlen, und genau das werden wir weiter umsetzen“, sagte der Bundeskanzler. Derzeit gebe es noch keine Reaktion des russischen Energieriesen Gasprom, Gas werde weiter geliefert.

Von der Leyen: Energie kein Erpressungsmittel mehr

„Das wäre eine einseitige Entscheidung, ein Vertragsbruch und ein Versuch, die Sanktionen zu umgehen“, so Kommissionschefin von der Leyen. „Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Sanktionen umgangen werden. (…) Die Zeiten, in denen Energie als Erpressungsmittel eingesetzt werden konnte, ist vorbei“, so von der Leyen unmissverständlich. Zuvor hatten bereits die OMV und andere europäische Öl- und Gaskonzerne betont, dass in den Verträgen Dollar bzw. Euro als Zahlungsmittel vereinbart sei und dass man sich daran halten werde.

USA wollen EU mit Gas helfen

Die USA wollen der EU dabei helfen, von russischem Gas rascher unabhängig zu werden. Ein Totalverzicht Europas ist jedoch nicht realistisch. Die Energiefrage dominierte den Freitag beim Gipfel in Brüssel.

Moskaus Kalkül

Das russische Kalkül ist, dass die europäischen Energieimporteure durch den Rubel-Zwang instrumentalisiert werden sollen, den Rubel, der nach Kriegsbeginn etwa ein Drittel seines Werts verloren hat, zu stabilisieren. Die Konzerne wären gezwungen, Rubel bei der russischen Zentralbank, die selbst de facto vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist, zu kaufen. Dass der Rubel seit Putins Ankündigung sich etwas erholte, ist mindestens ein Indiz, dass auch Finanzexperten noch nicht abschätzen können, wie dieser Machtkampf ausgeht.

Der Kreml wettet ganz offen darauf, dass der Westen aus Angst davor, dass Russland den Gashahn zudreht, zuerst zuckt und einlenkt. Danach sieht es zumindest derzeit nicht aus. Tatsächlich wäre eine Aufkündigung aller Gasverträge von europäischer Seite aber für Russland wohl schwieriger zu verkraften als für Europa – auch wenn der finanzielle Preis enorm hoch wäre, sollte es tatsächlich zu diesem Showdown kommen.

Der Kreml hat sich jedenfalls noch Hintertüren für einen etwaigen Rückzug von der Drohung offen gehalten: Zunächst wurde die Zentralbank beauftragt, die praktische Umsetzung zu prüfen, am Freitag wurde auch der Energieriese Gasprom beauftragt, zu prüfen, wie die Zahlungen in Rubel umgesetzt werden könnten. Die EU will binnen weniger Jahre praktisch ganz unabhängig von Russland werden, auch wenn es Arrangements mit anderen autoritär regierten Ländern zur Folge hat.

Anlage auf Gazprom-Gasfeld in Russland
Reuters/Maxim Shemetov
Raus aus russischem Gas – da sind sich die EU-Staaten einig. Bei der Frage nach dem Wie, noch nicht

„Poker mit hohem Einsatz“

Moskaus Vorgehen zeige die „gestiegene Bereitschaft Russlands, seine Gasverträge in der politischen Auseinandersetzung mit dem Westen zu gefährden“, so fasste es James Waddell vom Beratungsunternehmen Energy Aspects gegenüber der „Financial Times“ („FT“) trocken zusammen.

Von einem „Pokerspiel mit hohem Einsatz“ spricht dagegen der Energieanalyst von BlueBay Asset, Timothy Ash, gegenüber der Website Politico.eu. Damit versuche Putin, „den Westen zu schikanieren und dazu zu bringen, die Sanktionen abzuschwächen“. Das sei ein Versuch, „die Entschlossenheit des Westens“ zu brechen.

Zweischneidiges Schwert

Änderungen bei der zu verwendenden Währung würden die europäischen Gasimporteure vor praktische Schwierigkeiten stellen, so Analysten gegenüber der „FT“. Allerdings ist das Vorgehen auch für Moskau riskant. So betonte etwa der Analyst Vinicius Romano von Rystad Energy, das Bestehen auf Zahlung in Rubel könnte dazu führen, dass die Abnehmer auch andere Teile des Vertrags neu verhandeln, etwa die Lieferdauer. Es könnte ihnen ermöglichen, rascher ganz aus russischem Gas auszusteigen. Die Einnahmen aus Öl-, Gas- und Kohleverkäufen sind die mit großem Abstand wichtigste Einnahmen- und Devisenquelle für Russland.

Geschlossene Wechselbude in Moskau
AP
Eine Frau in St. Petersburg vor einer Wechselstube, die keine Euro mehr ausgibt

40 versus 80 Prozent

Rund 40 Prozent des Gases in der EU kommen aus Russland, außerdem 27 Prozent der Ölimporte und 46 Prozent der in die EU importierten Kohle. Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zufolge gibt die EU täglich etwa 420 Millionen Dollar (382 Mio. Euro) für russisches Gas aus und knapp 400 Millionen Dollar (364 Mio. Euro) für Öl aus Russland. Die EU hat sich vorgenommen, so schnell wie möglich von russischen Energieimporten loszukommen. Die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist allerdings von Land zu Land stark unterschiedlich.

Österreich ist in Sachen Gas besonders abhängig von Russland. Bis zu 80 Prozent des Gases in Österreich kommt laut Nehammer aus Russland. Anders als Küstenländer hat es auch nicht die Option, rasch auf Flüssiggas als Alternative umzusteigen. Eine EU-weit gemeinsame Ankaufs- und Verteilungspolitik nach dem Vorbild der Impfstoffbeschaffung ist daher für Österreich von besonders großer Bedeutung.