Mit Blick auf westliche Sanktionen sprach Lawrow von einem gegen Moskau gerichteten „hybriden Krieg“. „Heute haben sie uns einen echten hybriden Krieg erklärt, den totalen Krieg“, sagte Lawrow am Freitag bei einer Sitzung mit Vertretern einer Diplomatiestiftung der Staatsagentur TASS zufolge. „Diesen Begriff, der in Hitler-Deutschland verwendet wurde, sprechen jetzt europäische Politiker aus, wenn sie davon sprechen, was sie mit der Russischen Föderation tun wollen.“
Namen von westliche Politikerinnen und Politiker, die den Begriff verwendet hätten, lieferte Lawrow nicht. Am 1. März hatte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zwar mit Blick auf die ergriffenen Sanktionen von einem „totalen Krieg“ gegen Russland auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene gesprochen, die Formulierung nach Kritik aber noch am selben Tag zurückgenommen. Im Jahr 1943 hatte NS-Propagandaminister Goebbels in seiner berüchtigten Sportpalastrede zum „totalen Krieg“ aufgerufen.

Putin sieht Nazi-Methoden im Umgang mit Russland
Auch Kreml-Chef Putin warf den westlichen Staaten im Umgang mit Russland Nazi-Methoden vor. Putin verglich die Absage von Auftritten russischer Künstler im Westen am Freitag mit den Bücherverbrennungen der Nazis. „Heute versucht man, ein tausend Jahre altes Land auszulöschen – ich spreche von der fortschreitenden Diskriminierung von allem, was mit Russland in Verbindung steht“, sagte Putin in einem im Fernsehen übertragenen Gespräch mit Künstlern.
„Das letzte Mal, dass eine solche Massenkampagne zur Vernichtung unerwünschter Literatur ausgeführt wurde, war vor fast 90 Jahren von den Nazis in Deutschland. Wir erinnern uns noch gut an die Bilder von brennenden Büchern auf öffentlichen Plätzen.“
Moskau führt an, in der Ukraine gegen „Nazis“ zu kämpfen. Die zentrale Rolle der Sowjetunion beim Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg spielt in Putins patriotischer Rhetorik seit Langem eine wichtige Rolle. In den vergangenen Wochen hatte er wiederholt Begriffe aus der Nazi-Zeit verwendet und etwa einen wirtschaftlichen „Blitzkrieg“ des Westens angeprangert und Sanktionen mit „antisemitischen Pogromen“ gleichgesetzt.
Neue Strafmaßnahmen
Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine hatten die sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G-7) und die EU am Donnerstag neue Sanktionen vereinbart, die Russland Transaktionen mit Gold deutlich erschweren sollen. Auch die USA verhängten neue Strafmaßnahmen gegen Hunderte Abgeordnete des russischen Parlaments und weitere Mitglieder der russischen Elite.
Ukraine-Krieg: Ergebnisse des EU-Gipfels
Spät in der Nacht auf Freitag ist der Gipfelmarathon in Brüssel zu Ende gegangen. Genau einen Monat nach der russischen Invasion in die Ukraine kamen die EU-Staats- und -Regierungsspitzen, die NATO-Bündnispartner und G-7-Mitglieder zu insgesamt drei Gipfeln zusammen, um über neue Maßnahmen zu beraten. Während bei der Verstärkung der Hilfe für die Ukraine Einigkeit herrschte, rief die Frage neuer Sanktionen gegen Russland Risse in der viel beschworenen Geschlossenheit des Westens hervor.
Lawrow sagte weiter, Europas Politiker wollten Russland „zerstören, brechen, vernichten, erdrosseln“. „Wenn wir diese Gesetzlosigkeit der Sanktionen sehen, ist natürlich klar, dass all diese Werte, die uns unsere westlichen Kollegen ständig gepredigt haben – nämlich Meinungsfreiheit, Marktwirtschaft und die Unverletzlichkeit des Privateigentums, die Unschuldsvermutung –, wertlos sind.“

USA kündigen Gaslieferungen für EU an
Die USA kündigten am Freitag zudem an, in diesem Jahr gemeinsam mit internationalen Partnern 15 Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas (LNG) zusätzlich in die EU zu liefern. Langfristig soll die Menge auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Damit könnte etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden. Russland würden so relativ kurzfristig große Einnahmen wahrscheinlich dauerhaft entgehen. Der Staatshaushalt Russlands ist allerdings von den Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft abhängig.
„Sie wissen, dass wir unsere Abhängigkeit von Russland reduzieren wollen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in Brüssel bezüglich der Ankündigung von US-Präsident Joe Biden. Das könne durch Investitionen in erneuerbare Energien, aber auch zusätzliche Gaslieferungen einschließlich LNG erreicht werden. Die Zusage der USA über 15 Milliarden Kubikmeter sei ein großer Schritt in diese Richtung. Damit könne nach Angaben der EU-Kommission etwa ein Zehntel der russischen Gaslieferungen in die EU dieses Jahr gedeckt werden.
Die EU importiert pro Jahr rund 155 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland – das sind etwa 40 Prozent des verbrauchten Gases in der EU. Bis 2030 werde Europa zudem eine stabile Nachfrage nach zusätzlichem LNG über mindestens 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr aus den USA sicherstellen, sagte von der Leyen. Diese Menge würde ein Drittel des russischen Gases, das zurzeit in die EU fließe, ersetzen.
Robert Zikmund (ORF) zu EU-Gipfel
ORF-Korrespondent Robert Zikmund meldet sich aus Brüssel und spricht über die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg.
Attraktives Geschäft für USA
Für die USA ist der durch Russlands Krieg gegen die Ukraine zustande gekommene Deal sehr attraktiv, da sich die EU über ihn verpflichtet, bis 2030 große Mengen an amerikanischem LNG zu kaufen. Washington versucht bereits seit Jahren, mehr LNG auf dem europäischen Markt zu verkaufen.
Konkret geht es bei dem Deal nach Angaben aus Kommissionskreisen darum, dass die EU und die USA die nötigen Bedingungen schaffen, damit private Unternehmen ihr LNG aus den USA nach Europa exportieren können – etwa durch die nötigen Genehmigungen und den Aufbau von Infrastruktur.
E-Control-Experte zur Energieabhängigkeit
Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control, erläuterte in der ZIB2 die Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas – und welche Alternativen möglich wären.
„Die Europäische Kommission wird mit den Mitgliedsstaaten daran arbeiten, Gas auf dem Kontinent zu lagern, mehr Infrastruktur für LNG zu bauen und Schritte zu unternehmen, um die Effizienz von Gas zu erhöhen“, sagte Biden.
Dabei soll sich die Preisformel für das LNG unter anderem am US-Spot-Markt orientieren, wie aus einer Erklärung hervorgeht. Dort können die Preise stark variieren. Aus Kommissionskreisen hieß es hingegen, die Preise sollten denen in längerfristigen Verträgen entsprechen, um Investitionssicherheit auf beiden Seiten zu ermöglichen
Russland bestätigt Lieferungen
Mehr als einen Monat nach Kriegsbeginn hat Russland weiter Gaslieferungen durch die Ukraine nach Europa in großem Umfang bestätigt. Gemäß den Kundenbestellungen würden am Freitag 105,1 Millionen Kubikmeter durch das Leitungssystem des Nachbarlandes gepumpt, sagte der Sprecher des Energieriesen Gasprom, Sergej Kuprijanow, der Agentur Interfax zufolge. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung liegt bei 109 Millionen Kubikmetern Gas pro Tag. Die Ukraine bezieht aus dem Transit des russischen Gases für den eigenen Staatshaushalt wichtige Durchleitungsgebühren.
Der russische Präsident Wladimir Putin wies indes den Energieriesen Gasprom an, Zahlungen für seine Erdgasexporte in der Landeswährung Rubel zu akzeptieren. In den kommenden Tagen solle der Konzern herausfinden, wie das geschehen könne, teilte der Kreml am Freitag in Moskau mit. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies zugleich darauf hin, dass Nowatek als Russlands größter Produzent von verflüssigtem Erdgas solche Anweisungen nicht erhalten habe.
Putin hatte erst am Mittwoch gesagt, Russland werde für Gas, das an „unfreundliche“ Länder verkauft wird, eine Bezahlung in Rubel verlangen. Üblicherweise werden Zahlungen in Dollar oder Euro geleistet. Putins Ankündigung wurde in Europa scharf kritisiert. Viele Unternehmen wiesen darauf hin, dass die geltenden Verträge mit Gasprom eine Zahlung in Euro oder Dollar vorsehen, nicht jedoch in Rubel.
EU wegen Energieembargo gespalten
Die EU ist indes in Sachen russische Gaslieferungen und Energiesicherheit gespalten. Während die Ukraine und die baltischen Länder auf ein Embargo der russischen Lieferungen drängen, verweist etwa Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf die Versorgungssicherheit und darauf, dass Alternativen Zeit brauchten.
Auch die baltischen Länder drängen neben der Ukraine auf ein Embargo für russisches Gas und Öl – denn solange die EU Energieträger aus Russland kaufe, finanziere man den Krieg mit, so das Argument der Sanktionsbefürworter. Auch der ukrainische Präsidentenberater Oleksandr Rodnjanskyj hält einen Stopp der europäischen Importe von russischem Öl und Gas für unumgänglich. Der Westen müsse verhindern, dass die Sanktionen gegen Russland von Moskau umgangen würden, sagte Rodnyansky am Donnerstag in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“.
Nehammer verweist auf Versorgungssicherheit
Bundeskanzler Nehammer verwies hingegen nach dem ersten EU-Gipfeltag am Donnerstag auf die Versorgungssicherheit. Ganz Europa arbeite derzeit daran, unabhängig von russischem Gas zu werden und sich bei der Energiesicherheit neu aufzustellen, sagte Nehammer gegenüber ORF.at. Doch das brauche Zeit. Der Bundeskanzler appellierte hier an die Geschlossenheit der EU: „Es hat keinen Sinn, wenn Mitgliedsstaaten sich gegeneinander ausspielen. Wer kein russisches Gas braucht, der kann Sanktionen fordern, wer abhängig vom russischen Gas ist, kann das nicht", so Nehammer in der Nacht auf Freitag. Länder wie Österreich, die abhängig davon seien, könnten das nicht, daher brauche es Kreativität bei den Sanktionen.
Als österreichischer Bundeskanzler „ist mein erstes Interesse, dass die Menschen in Österreich Energiesicherheit haben“, so Nehammer vor Journalisten in Brüssel weiter. Österreich sei abhängig von russischem Gas, „wir sind willens, aus dieser Abhängigkeit auch herauszukommen“. Aber das brauche Zeit, einen „geordneten Plan“ und keine „überbordenden Emotionen, die unsere Energiesicherheit gefährden“, sagte Nehammer weiter. Laut Nehammer bezieht Österreich sein Gas zu 80 Prozent aus Russland. Daten des europäischen Branchenverbandes Gas Infrastructure Europe (GIE) zufolge sind die Gasspeicher in Österreich nur noch zu 12,5 Prozent gefüllt.