Zerstörtes Wohnhaus in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Mariupol

Staaten planen Mission zur Evakuierung

In der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol ist die humanitäre Lage nach wie vor katastrophal. Frankreich hat nun eine gemeinsame Initiative mit der Türkei und Griechenland zur Rettung von Zivilpersonen angekündigt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werde in den nächsten 48 bis 72 Stunden mit Kreml-Chef Wladimir Putin sprechen, „um die Einzelheiten auszuarbeiten“.

Macron hoffe, möglichst viele Akteure „in diese Operation einbeziehen zu können“, und wolle erreichen, dass die Evakuierung in den kommenden Tagen beginnt. Französische Regierungsvertreter hätten am Freitag mit dem Bürgermeister von Mariupol gesprochen. Die 150.000 verbliebenen Einwohner lebten dort unter „dramatischen Bedingungen“.

Wie es aus dem Elysee-Palast hieß, stehe Frankreich in Kontakt mit den ukrainischen, den griechischen sowie türkischen Behörden und internationalen Organisationen. Frankreich verlange von Russland, die Belagerung der Stadt aufzuheben, damit Menschen, die gehen wollten, gehen könnten und Menschen, die bleiben wollten, bleiben könnten. Angemessene, an den Grundbedürfnissen ausgerichtete humanitäre Hilfe müsse unter den Bedingungen des humanitären Völkerrechts bereitgestellt werden können.

Frauen vor zerstörtem Wohnhaus in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Weite Teile Mariupols liegen in Trümmern

Zahlreiche zivile Opfer

Nach Angaben der örtlichen Behörden in Mariupol wurden in der heftig umkämpften Hafenstadt bereits mehr als 2.000 Zivilisten und Zivilistinnen getötet. Alleine bei dem Beschuss eines als Schutzort dienenden Theaters in der vergangenen Woche gab es Angaben von Freitag zufolge vermutlich 300 Todesopfer. In das Theater im Stadtzentrum hatten sich nach ukrainischen Angaben rund 1.000 Menschen aus Angst vor russischen Luftangriffen geflüchtet.

Indes konnten am Freitag 2.800 Menschen mit selbst organisierten Fahrten aus Mariupol entkommen, teilte die ukrainische Regierung mit. Für die Evakuierung waren zahlreiche Fahrzeuge im nahe gelegenen Berdiansk bereitgestellt worden. In den vergangenen Wochen waren wiederholt Fluchtkorridore aus der Stadt verhindert worden. Sie steht unter besonders schwerem Beschuss, die Zerstörung ist gravierend. Aus anderen Städten konnten laut den ukrainischen Behörden am, Freitag rund 7.330 Menschen entkommen. Die Zahl der aus dem Land Geflüchteten stieg indes auf fast 3,8 Millionen Menschen.

Russland deutet Strategieänderung an

Mittlerweile dauert der Krieg seit mehr als einem Monat an. Russlands Vizegeneralstabschef Sergej Rudskoj verkündete trotz Berichten über hohe Verluste und eines für Russland schleppenden Kriegsverlaufs, dass „die grundlegenden Aufgaben der ersten Etappe der Operation erfüllt“ seien. Man wolle sich nun auf die Ostukraine konzentrieren und „die Hauptanstrengungen auf das Erreichen des Hauptziels richten – die Befreiung des Donbass.“

Leben im umkämpften Kiew

In der Ukraine selbst ist der Widerstand gegen die russische Armee weiterhin ungebrochen. In die Hauptstadt zurückgekehrt ist ZIB-Korrespondent Christian Wehrschütz – er berichtet von den vielen menschlichen Tragödien, die der Krieg in Kiew mit sich bringt.

Nach Ansicht westlicher Militärexperten reagiert Russland aber auch auf die stockenden Vorstöße auf größere Städte wie Kiew, Charkiw und Mykolajiw. Ein hochrangiger Vertreter des US-Verteidigungsministeriums sagte in einem Briefing mit Journalisten mit Blick auf die russischen Truppen: „Sie sind auf den Donbass konzentriert.“ Ein russischer Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew sei derzeit nicht zu beobachten. „Sie graben sich ein, sie bauen Verteidigungspositionen auf.“ Die ukrainische Militärführung hält einen Angriff aber weiter für möglich.

Laut dem russischen Generalstab seien 93 Prozent des Gebiets Luhansk und 54 Prozent des Gebiets Donezk nicht mehr unter ukrainischer Kontrolle. Die ukrainischen Streitkräfte hätten gut ein Viertel ihrer zunächst knapp 60.000 Soldaten in der Gegend verloren. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig verifizieren.

Angriffe gehen weiter

Der Kampf um Mariupol gehe weiter, sagte Rudskoj. Er schloss zudem weitere Luftangriffe auf ukrainische Städte nicht aus. Laut Pentagon startete die ukrainische Armee zudem eine Offensive zur Rückeroberung der Stadt Cherson. Die Stadt sei nun wieder als „umkämpftes Gebiet“ zu bewerten. Die Ukrainer leisten dort „Widerstand“.

Menschen schlagen in Kiewer U-Bahn-Station
Reuters
Die Metro in Kiew als Luftschutzbunker

Beschuss gab es zuletzt auch wieder in Charkiw, wo die Polizei den Tod von mindestens vier Zivilisten in einer medizinischen Einrichtung durch russischen Beschuss meldete. Bewohner der Metropole sagten der Nachrichtenagentur AFP, in Charkiw sei Streumunition eingesetzt worden. Die Angriffe auf zivile Ziele sorgen nach wie vor für heftige Kritik.

Ein Raketenangriff traf laut Angaben der Ukraine am Freitag auch die Kommandozentrale der ukrainischen Luftwaffe in Winnyzja. So hätten die russischen Streitkräfte sechs Marschflugkörper abgefeuert. Einige seien von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen worden, andere hätten Gebäude getroffen und „erhebliche Schäden angerichtet“, so das Kommando der ukrainischen Luftwaffe im Messenger-Dienst Telegram. Die ukrainische Luftwaffe und Luftabwehr konnten bisher eine vollständige Kontrolle der russischen Armee über den ukrainischen Luftraum verhindern.