Freiheitsstatue in Budapest
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Ungarn-Wahl

Opposition hofft auf Wechselstimmung

Am Sonntag wählt Ungarn ein neues Parlament. Erstmals seit über einem Jahrzehnt hat ein Oppositionsbündnis eine realistische Chance, die FIDESZ-Partei des rechtskonservativen Langzeitpremiers Viktor Orban von Platz eins zu verdrängen. Die Ressourcen zwischen FIDESZ und Opposition sind äußert ungleich verteilt – das Anti-Orban-Lager hofft auf eine Wechselstimmung in der Bevölkerung.

Bis zum frühen Nachmittag hatten 40,01 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, 2018 lag die Wahlbeteiligung zu dem Zeitpunkt laut Wahlbehörde bei 42,3 Prozent. Insgesamt wird eine Wahlbeteiligung von etwa 67 Prozent erwartet. 8,2 Millionen Menschen sind wahlberechtigt.

Der Spitzenkandidat der aus sechs Parteien bestehenden Oppositionsallianz Egysegben Magyarorszagert (In Einheit für Ungarn), Peter Marki-Zay, verspricht ein „europäisches Ungarn“. Orban habe in den vergangenen zwölf Jahren den östlichen Weg, den „Putin-Weg“ gewählt, so Marki-Zay. Er spielt damit auf den guten Draht des Regierungschefs zu Russlands Präsident Wladimir Putin an. Durch den Befehl zum Angriff auf die Ukraine hat Putin sein Land international isoliert.

Seine Kontakte zur russischen Führung will Orban freilich nicht aufs Spiel setzen, allein schon, weil Ungarn stark abhängig ist von russischem Öl. Der 58-Jährige versucht den Spagat zwischen Ost und West, sprich: zwischen Moskau und Brüssel. Innerhalb der EU steht Ungarn mit diesem Kurs zunehmend allein da. Selbst langjährige Verbündete wenden sich ab: Die rechtsnationale polnische Regierungspartei PiS fror die Kontakte zu Orban ein.

Peter Marki-Zay
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Peter Marki-Zay: Der Kandidat der Oppositionsallianz verspricht im Falle eines Wahlsiegs ein „europäisches Ungarn“

Ein geplantes Treffen der Verteidigungsministerinnen und -minister der eng vernetzten Visegrad-Staaten – Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei – musste abgesagt werden. Über den Grund machten Prag und Warschau keinen Hehl: „Ich bedaure, dass billiges russisches Öl jetzt für ungarische Politiker wichtiger ist als ukrainisches Blut“, sagte die tschechische Verteidigungsministerin Jana Cernochova. Ihr polnischer Amtskollege Mariusz Blaszczak erklärte, er sei wegen der Rhetorik Ungarns hinsichtlich der russischen Invasion in der Ukraine enttäuscht.

Medienlandschaft in Orbans Hand

Die Ressourcen, die Regierungspartei und Opposition zur Verfügung haben, sind ungleich verteilt. Während seiner Regentschaft hat Orban die Medienlandschaft weitgehend unter seine Kontrolle gebracht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die einzige Nachrichtenagentur Ungarns wurden in eine staatliche Medienholding eingegliedert, die regionale Presse befindet sich im Besitz Orban-freundlicher Unternehmen.

Viktor Orban
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Orban peilt seine Wiederwahl an – die Medienlandschaft hat er in den vergangenen Jahren großteils unter seine Kontrolle gebracht

In der TV-Berichterstattung ist die Opposition so gut wie unsichtbar. „Wir haben ein schönes und sehr teures öffentliches Fernsehen, aber das ist ein Propagandafernsehen. Wir kommen da nicht vor“, sagte die Oppositionspolitikerin Bernadett Szel gegenüber der deutschen ARD.

Pressefreiheit in Ungarn unter Orbans Kontrolle

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat in den vergangenen zwölf Regierungsjahren dafür gesorgt, sämtliche Medien unter seine Kontrolle zu bringen. Dazu gehören neben dem staatlichen Sender MTV auch ein Großteil der Zeitungen, Zeitschriften sowie private Radio- und Fernsehsender. ORF-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet aus Budapest über Orbans Einfluss auf die ungarische Medienlandschaft.

Ähnlich sieht es bei den finanziellen Mitteln für den Wahlkampf aus. Die meisten Werbeflächen und Litfaßsäulen im Land gehören Lorinc Meszaros, mit dem Orban seit Schulzeiten befreundet ist. Wegen der intransparenten Wahlkampffinanzierung und der Dominanz der FIDESZ in der Medienwelt hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits die ungarische Parlamentswahl 2018 als „frei“, aber nicht „fair“ bezeichnet. Am Sonntag soll ein Großaufgebot von 300 Beobachterinnen und Beobachter der OSZE über die Wahl wachen. Zu Wahlen in EU-Ländern schickt die Organisation für gewöhnlich nur kleine Delegationen.

Ex-FIDESZ-Unterstützer als Angebot an Orban-Wähler

Das Oppositionsbündnis, das Orban gefährlich werden könnte, besteht aus sechs Parteien. Das politische Spektrum reicht von grün und linksliberal über konservativ bis weit an den rechten Rand. Lange hatte es so ausgesehen, als ginge die Allianz mit dem beliebten grünen Bürgermeister von Budapest, Gergely Karacsony, ins Rennen. Bei der Vorwahl im Herbst setzte sich allerdings der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Marki-Zay durch.

Der siebenfache Vater gilt als christlich-konservativ. 2018 gewann er überraschend souverän die Bürgermeisterwahl in der FIDESZ-Hochburg Hodmezövasarhely. Seine Partei Bewegung MMM (Ungarn gehört jedem) war nicht Teil des Oppositionsbündnisses. Marki-Zay argumentiert, dass in einer konservativen Gesellschaft wie der ungarischen nur ein Konservativer wie er wirkliche Chancen habe, FIDESZ gefährlich zu werden. In Verhandlung konnte er den grünen Karacsony überzeugen, bei der Kandidatenkür auf die Stichwahl zu verzichten.

Marki-Zay streicht gerne hervor, dass er ursprünglich FIDESZ-Sympathisant war und sich erst aufgrund der Korruption und Scheinheiligkeit von Orbans Partei von dieser abgewandt habe. „Ein ehrbarer, christlicher Konservativer dürfe nicht reinen Gewissens für FIDESZ stimmen!“, sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung. Orban nennt er einen „Dieb“.

Opposition braucht deutlichen Sieg

In den meisten Umfragen vor der Wahl lag die FIDESZ mit einigen Prozentpunkten vor der Opposition. Die Opposition soll im Kreise der Unentschlossenen jedoch über größere Reserven verfügen, so das Meinungsforschungsinstitut Republikon.

Das Oppositionsbündnis braucht allerdings einen deutlichen Sieg. Das Wahlsystem, eine Kombination aus Listen- und Persönlichkeitswahl, begünstigt eher die Siegerpartei. 106 der 199 Parlamentssitze werden in den Wahlkreisen vergeben, der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt. Hier scheint FIDESZ nach wie vor eine deutliche Dominanz zu zeigen.

Im Falle eines Wahlsieges wird sich weisen, wie tragfähig das Bündnis der sechs ideologisch stark unterschiedlichen Parteien ist. Gänzlich von der Macht abgeschnitten wird die FIDESZ auch bei einer Niederlage an den Urnen nicht sein. Seit dem Vorjahr hat Ungarns rechtskonservative Regierung Staatsbesitz in Milliardenwert in Stiftungen überführt, an deren Spitze von der Regierung ernannte Kuratoren stehen.

Orban gibt sich zuversichtlich

„Ich bin zuversichtlich“, sagte Orban bei seiner Stimmabgabe in Budapest am Sonntagvormittag. Es sei eine seltsame Wahl, denn „wegen des Krieges (in der Ukraine, Anm.) müssen wir uns mit Fragen von Krieg und Frieden beschäftigen“. Marki-Zay rief hingegen am Vormittag dazu auf, die Orban-Regierung abzuwählen: „Wählen wir eine bessere Welt, ein glückliches Ungarn.“