Serbischer Präsidentschaftskandidat Aleksandar Vucic winkt während einer Wahlkampfveranstaltung seinen Anhängern
Reuters/Zorana Jevtic
Superwahl in Serbien

Ein Name ist das Programm

In Serbien steht am Sonntag ein Superwahltag an: Gleichzeitig werden Präsident, Parlament und Kommunalvertreter neu gewählt. Doch „neu“ ist relativ: Der amtierende Präsident Aleksandar Vucic und seine ihm auf den Leib geschnittene Serbische Fortschrittspartei (SNS) stehen vor einen neuerlichen Triumph auf allen bedeutenden Ebenen. Dabei galt die Opposition als durchaus gut formiert – doch der 24. Februar brachte eine Zäsur.

Dabei war der Parlamentswahlkampf mit einem bedeutenden Unterschied zum letzten Mal vor zwei Jahren abgelaufen. Denn damals boykottierte die Opposition den Urnengang unter Protest weitgehend – der Vorwurf ergab sich aus den Umständen: Die Medienlandschaft sei gleichgeschaltet, und Vucics SNS durchdringe alle Sphären der staatlichen Verwaltung. Am Ende stand ein überlegener Sieg der SNS – auch ein Antritt der Opposition hätte daran nichts geändert.

Seit zwei Jahren dominiert damit die SNS gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern fast das gesamte Parlament. Diesmal ist die Ausgangsposition eine etwas andere: Die Opposition stellt sich zur Wahl und bietet den Wählerinnen und Wählern mehrere Optionen. Auf der politisch rechten Seite steht der Patriotische Block, in der Mitte die Koalition „Vereint für den Sieg Serbiens“, und das linke Spektrum soll die links-grüne Koalition Moramo (dt.: „Wir müssen“) abbilden.

Opposition setzte Themen – vorübergehend

Tatsächlich gelang es den chancenreicheren Herausforderern, im Wahlkampf auch Themen zu setzen: Die wochenlangen breiten Proteste der Bevölkerung gegen eine geplante Mine des Bergbaukonzerns Rio Tinto zum Lithiumabbau im Westen des Landes leiteten zum Versprechen eines „grünen Serbien“ über – zentral seitens Moramo. Gestaltet wurde ein Gegenentwurf zum laut Opposition „autokratischen“, „antidemokratischen“, „kriminellen“ und „korrupten“ Regime.

Demonstranten halten Plakat „Serbien ist nicht zu verkaufen“
Reuters/Marko Djurica
„Serbien steht nicht zum Verkauf“: Proteste gegen eine geplante Lithiummine gaben der grünen Bewegung Auftrieb

Doch die Dramaturgie war nur bis zum 24. Februar durchzuhalten: Denn der russische Überfall auf die Ukraine änderte die Themenlage auf einen Schlag und nahm der Opposition den Wind aus den Segeln. Denn fortan war das bestimmende Thema der Krieg – was wiederum Vucic und seiner Regierungspartei in die Hände spielte, schließlich hilft Unsicherheit tendenziell den Amtsinhabern. So mutierte Vucic im Wahlkampf umgehend zum Friedensgaranten, als er sein Wahlmotto auf „Frieden. Stabilität. Vucic“ abänderte.

Russlandfreundliche Stimmungslage

Für die Opposition entfiel damit auch die Möglichkeit zur Abgrenzung von Haltungen der Regierenden. Denn den russischen Angriffskrieg zu verurteilen und damit gegenüber der Regierungspartei zu punkten – das funktioniert in Serbien nicht. Schließlich herrschen im Land eine grundlegend russlandfreundliche Stimmungslage und eine Verbundenheit zum Brudervolk, die auch im orthodoxen Glauben fundiert ist.

Darüber hinaus besteht große Abhängigkeit von russischem Gas und Öl. Belgrad sprach sich in der UNO zwar für die Souveränität und Gebietseinheit der Ukraine aus, schloss sich den internationalen Sanktionen gegen Moskau aber nicht an. In der Folge stellten sich nur wenige Parteien aus der Furcht, russlandfreundliche Wählerinnen und Wähler aufgrund der Haltung zum Ukraine-Krieg zu vergrämen, vehement gegen die prorussische Linie der Regierung.

„Vereinigtes Serbien“ etwa verurteilte den Krieg, sprach sich aber wie die Regierung nicht für Sanktionen gegen Russland aus. Lediglich von Moramo hieß es, Serbien solle sich den internationalen Sanktionen anschließen. Die rechten Parteien stehen freilich an der Seite Russlands. Ein Beispiel für die potenziell hohe Empfänglichkeit für prorussische Botschaften unter den Menschen in Serbien zeigte sich etwa in der Berichterstattung des Boulevardblatts „Informer“.

„Ukraine hat Russland angegriffen!“

Das Blatt, bekannt für seine politische Voreingenommenheit zugunsten der regierenden SNS, drehte die Faktenlage schlicht um und titelte zum Ausbruch des Kriegs in großen Lettern: „Ukraine hat Russland angegriffen!“. Auch hieß es auf dem Cover, dass die Amerikaner die Welt ins Chaos versetzen würden.

Eine Abneigung, die seit dem US-geführten NATO-Einsatz 1999 im Zuge des Kosovo-Kriegs virulent ist, dessen Durchführung ohne Mandat bis heute umstritten ist und in Serbien als ungerechtfertigte Aggression gegen den Vorgängerstaat Jugoslawien erachtet wird. Und schließlich baut Belgrad auch in der Kosovo-Frage auf die Unterstützung Russlands.

Neue Spannungen mit dem Kosovo

Und dieser Umstand wurde just im Wahlkampf wieder aktuell: Denn nicht nur der Ukraine-Krieg lenkte die Aufmerksamkeit auf nationale Interessen (die angestrebte EU-Annäherung Serbiens war kaum Thema). Auch neue Spannungen mit dem Kosovo begannen die Debatten zu dominieren. Zentral entstand ein Streit um Teilnahme der Kosovo-Serben an Wahlen. Prishtina hatte sich zum ersten Mal geweigert, die Wahlen auch in den serbischen Gemeinden im Kosovo zuzulassen.

Die dortigen Behörden hatten ihre Genehmigung an einen entsprechenden Antrag Belgrads geknüpft. Serbien lehnt es allerdings nach wie vor ab, die 2008 verkündete Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz Kosovo anzuerkennen. Ein Antrag an die kosovarische Regierung ist für Belgrad daher unannehmbar. Wiederum auch dieser Umstand wird von Fachleuten als Vorteil für die Regierungspartei SNS gesehen.

Ein serbischer Mann geht in Belgrad an einem Anti-EU- und Anti-NATO-Mural vorbei
APA/AFP/Andrej Isakovic
Anti-EU und Anti-NATO – ein Wandbild in Belgrad gibt die Stimmungslage nicht weniger Menschen in Serbien wieder

„Vereinigt können wir alles“

Vucics SNS tritt bei den Wahlen auf allen Ebenen auch dieses Mal unter dem Namen des Parteichefs auf. Ihr Name „Aleksandar Vucic – Vereinigt können wir alles“ soll alle Zweifel beheben, wer das Sagen in der Partei und im Land hat. „Wir haben Wahlen, die im Grunde der Bestätigung der Macht eines Mannes dienen, der sein Amt dazu nutzte, die Wahlliste seiner eigenen Partei zu unterstützen, indem er ihr auch seinen Namen gegeben hat“, so Zoran Gavrilovic vom serbischen Thinktank BIRODI.

In Dauerschleife

Die Serbinnen und Serben haben sich längst daran gewöhnt, dass Vucic derjenige ist, der alle wichtigen Entscheidungen trifft und verkündet, auch wenn diese eigentlich in die Befugnisse der Regierung fallen. Zwischen Mitte Februar und Mitte März war Vucic laut Gavrilovic im TV-Sender Pink mit den landesweit höchsten Einschaltquoten unter allen Staats- und Regierungsfunktionären weitaus am häufigsten vertreten – mit 95 Prozent der Sendezeit. In 97,7 Prozent davon wurde der Präsident im positiven Licht dargestellt.

Frau geht in Belgrad an einem Wahlplakat des serbischen Präsidentschaftskandidaten Aleksandar Vucic vorbei
APA/AFP/Andrej Isakovic
Eine Passantin vor einem Vucic-Wahlplakat in Belgrad. Der Präsident ist in Serbien praktisch omnipräsent.

Vucic, der Winkende

Bemühungen der Opposition, Wahlkampfauftritte von Amtsträgern zu unterbinden, liefen ins Leere. Auch dieses Mal wurden von Amtsträgern noch kurz vor dem Wahltermin zahlreiche neue Betriebe und zuletzt auch eine neue Eisenbahnstrecke eröffnet. Nach der ersten Fahrt des neuen Schnellzugs zwischen Belgrad und Novi Sad vor gut eineinhalb Wochen titelten sechs von sieben Tageszeitungen mit dem Umstand, wonach Vucic die Strecke eröffnet habe.

Seine Zugsfahrt zusammen mit dem ebenfalls wahlkämpfenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban fand auch in sozialen Netzwerken breite Beachtung – naturgemäß ein bemerkenswertes Detail. So war in einem Video zu sehen, wie Vucic aus dem fahrenden Zug Menschen auf dem Bahnsteig und entlang der Strecke zuwinkte. Teilweise waren auf der anderen Seite des Fensters tatsächlich Menschen – doch was für Kopfschütteln sorgte, war dem Umstand geschuldet, dass Vucic auch winkte, als draußen niemand mehr zu sehen war.

Unter 60 Prozent ein „Misserfolg“

Doch ungeachtet solcher Aussetzer ist die Ausgangslage bei der Präsidentschaftswahl klar, bei der acht Kandidaten zur Auswahl stehen. Der führende Oppositionskandidat Zdravko Ponos von der Wahlkoalition „Vereinigt für den Sieg Serbiens“ um die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit (SSP) von Dragan Djilas dürfte mit höchstens 28 Prozent der Stimmen deutlich hinter Vucic liegen.

Und während Vucic sich als Friedensgarant verkauft, wurde beim einstigen Generalstabschef und Streitkräftereformer Ponos das Ansehen, das das Militär schon traditionell im Volk genießt, genutzt: „Unser Ponos“ lautete sein Motto, das sich auch als „Unser Stolz“ lesen lässt. Dennoch: Umfragen zufolge kann Vucic im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen rechnen – er selbst sagte zuletzt, dass ein Ergebnis unter 60 Prozent ein „Misserfolg“ wäre und ihn „sehr traurig“ machen würde.