Sophie Karmasin
APA/Herbert Pfarrhofer
ÖVP-Inseratenaffäre

Ex-Ministerin Karmasin enthaftet

Die in Zusammenhang mit der ÖVP-Inseratenaffäre in U-Haft befindliche frühere ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin ist Montagnachmittag enthaftet worden. Zuvor hatten ihre Anwälte Vorwürfe gegen die ermittelnden Behörden erhoben – vor ihrer letzten Einvernahme seien ihr Aktenabschriften verspätet übermittelt bzw. vorenthalten worden.

Karmasin war am 2. März festgenommen worden, zwei Tage später wurde die Untersuchungshaft über sie verhängt. Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) gab nun einer Haftbeschwerde Folge, die Karmasins Anwälte Norbert Wess und Philipp Wolm (Kanzlei Kollmann Wolm) eingebracht hatten.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Karmasin in der ÖVP-Inseratenaffäre wegen Untreue und Bestechlichkeit und daneben wegen Geldwäscherei, Vergehen gegen wettbewerbsbeschränkende Absprachen und schweren Betrugs. Die U-Haft war mit Tatbegehungsgefahr begründet worden.

OLG: Enthaftung gegen gelindere Mittel möglich

OLG-Sprecher Reinhard Hinger bestätigte der APA diese Entscheidung. Der dringende Tatverdacht und die Haftgründe seien zwar nach wie vor gegeben. Nach dreieinhalbwöchiger U-Haft sei aber nach Ansicht des OLG eine Enthaftung gegen gelindere Mittel möglich, sagte Hinger. „Da die Beschuldigte durch das Strafverfahren und die Inhaftierung erhebliche negative Konsequenzen auf beruflicher und sozialer Ebene zu tragen habe, bestehe kein Risiko, dass in nächster Zeit Geschäfte möglich seien, mit denen strafbare Handlungen verwirklicht würden“, so das OLG in einer Mitteilung.

Sebastian Kurz und Sophie Karmasin, 2017
APA/Erwin Scheriau
Karmasin und Ex-Kanzler Kurz: Die Ex-Ministerin musste zusichern, jeglichen Kontakt zu den anderen Beschuldigten zu unterlassen

Karmasin musste unter anderem per Gelöbnis zusichern, keinen Fluchtversuch zu unternehmen und jeglichen Kontakt zu den anderen Beschuldigten in der Inseratenaffäre – Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), mehrere Kurz-Vertraute, Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, Karmasins ehemalige Mitarbeiterin Sabine Beinschab und die Medienmacher Wolfgang und Helmuth Fellner – zu unterlassen.

Anwälte: „Große Erleichterung“ für Mandantin

„Die Entscheidung des Drei-Richter-Senats des OLG folgt unserer von Beginn an vorgebrachten Argumentation, wonach der von der WKStA und vom Erstgericht herangezogene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr im konkreten Fall jedenfalls durch gelindere Mittel substituiert werden kann und letztendlich auch substituiert werden muss“, kommentierten Karmasins Rechtsvertreter die jüngsten Entwicklungen.

In einer der APA übermittelten gemeinsamen Stellungnahme verwiesen sie darauf, Karmasin habe die dafür erforderlichen Zusicherungen „bereits von Anfang an gegenüber der WKStA und auch gegenüber dem Erstgericht“ abgegeben. Die Enthaftung stelle „für die Mandantin daher eine große Erleichterung“ dar.

Der Verdacht der WKStA

Die WKStA verdächtigt Karmasin, „Urheberin und maßgebliche Ideengeberin“ eines PR-Tools gewesen zu sein, von dem der damalige Außenminister und spätere Bundeskanzler Kurz und die ÖVP mittels vom Steuerzahler finanzierten Umfragen profitiert haben sollen.

Karmasin stellt das in Abrede. Sie habe „an keinem gemeinsamen ‚Tatplan‘ mitgewirkt“, sei zu keinem solchen – von wem auch immer – überredet worden und habe lediglich den Kontakt zwischen Schmid (dem späteren ÖBAG-Chef und damaligen Generalsekretär im Finanzministerium) und Beinschab vermittelt.

Karmasin bestreitet die Vorwürfe ebenso wie einen Deal zwischen dem Finanzministerium, über das die Umfragen abgerechnet wurden, und den Fellner-Brüdern. Es habe auch kein „Package“ mit Zusagen für Inseratenaufträge gegeben, sondern nur „übliche Dinge, wonach man Medien gelegentlich mit Exklusivgeschichten versorgt“.

Karmasin sieht sich in ihren Rechten verletzt

Karmasins Anwälte erhoben am Montag Vorwürfe gegen die ermittelnden Behörden. Die ehemalige Politikerin sieht sich in ihrem subjektiven Recht auf Akteneinsicht verletzt. Sie bzw. ihre Anwälte sollen vor ihrer ergänzenden Beschuldigteneinvernahme in der vergangenen Woche keine Informationen über die jüngsten Ermittlungsergebnisse erhalten haben.

Karmasin wurde am vergangenen Dienstag von der WKStA mit Chatnachrichten konfrontiert, „die zu diesem Zeitpunkt nachweislich nicht Aktenbestandteil waren“, wie ihre Rechtsvertreter Wess und Wolm in ihrem Einspruch wegen Rechtsverletzung festhalten, berichtete die APA.

In WhatsApp-Unterhaltungen mit ihrer Ex-Mitarbeiterin und Meinungsforscherin Beinschab aus dem Jahr 2017 soll Karmasin diese im Zusammenhang mit einer Umfrage etwa angewiesen haben, sich direkt an einen engen Vertrauten des späteren Bundeskanzlers Kurz zu wenden: „Ruf ihn an, so mit Sebastian besprochen“.

Wegen CoV-Infektion isoliert

Wie aus dem Einspruch ihrer Anwälte hervorgeht, war Karmasin nach ihrer Einlieferung in die Justizanstalt Josefstadt positiv auf das Coronavirus getestet worden. Sie wurde bis zum 16. März isoliert, mehr als eine Woche hatten ihre Verteidiger daher keine Möglichkeit, sie zu besuchen. In dieser Phase soll einem Antrag auf Herstellung einer Aktenabschrift verspätet entsprochen worden sein. Was die ergänzende Einvernahme am vergangenen Dienstag betrifft, sollen die jüngsten Chatnachrichten gar bis zum Ende der Woche nicht Aktenbestandteil geworden sein.

Ex-Ministerin Karmasin enthaftet

Die in Zusammenhang mit der ÖVP-Inseratenaffäre in U-Haft befindliche frühere ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin ist Montagnachmittag enthaftet worden.

„Eine umfassende Wahrnehmung der Verteidigung, in Form der Besprechung der weiteren Entwicklungen, der Vorbereitung für Einvernahmen, dem Verfassen schriftlicher Stellungnahmen etc. ist ohne eine aktuelle Aktenabschrift nicht möglich“, monierten Karmasins Rechtsvertreter.

Die Strafverfolgungsbehörden seien verpflichtet, der Beschuldigten „alle in ihrem Besitz befindlichen Beweismittel offenzulegen“. Denn eine umfassende Akteneinsicht sei „Grundvoraussetzung für die wirksame Ausübung der Verteidigung und der Wahrung der Waffengleichheit im Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden“. Die Anwälte haben daher die Vorlage ihres Einspruchs wegen Rechtsverletzung beim Wiener Landesgericht für Strafsachen beantragt und hoffen nun, dass diesem stattgegeben und eine entsprechende Feststellung getroffen wird.

„Krone“: Beinschab belastet Karmasin erneut

Unterdessen soll Beinschab in der vergangenen Woche im Rahmen einer „ergänzenden Stellungnahme“ Karmasin neuerlich belastet haben. Wie die „Kronen Zeitung“ (Onlineausgabe) berichtete, behauptet Beinschab, Karmasin habe – entgegen derer Darstellung – ihre Tätigkeit als Markt- und Meinungsforscherin bis Dezember 2021 fortgesetzt.

Die Meinungsforscherin Sabine Beinschab
ORF
Beinschab soll Karmasin erneut belastet haben, berichtete die „Krone“

Außerdem habe Karmasin sie zur Löschung von Daten „ermahnt“ und um Hilfestellung gebeten, weil sie nicht wusste, wie man die automatische Löschung von Nachrichten beim Messenger-Dienst Signal aktiviert.