Auto wird betankt
ORF.at/Julia Hammerle
Mehr als Super

Warum Diesel so teuer ist – und bleibt

Nicht nur die Spritpreise generell sind seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine sprunghaft gestiegen. Auffällig ist vor allem auch, dass Diesel an den Zapfsäulen deutlich teurer ist als Normal- und Superbenzin – genau umgekehrt als gewohnt. Der Fachverband der Mineralölindustrie (FVMI) geht davon aus, dass dieser Zustand länger anhalten wird, und nennt gegenüber ORF.at dafür vor allem drei Gründe, lokale wie globale.

Zum einen decken sich derzeit – aus Sorge um mangelnden Nachschub und vor noch höheren Preisen im Herbst – viele Haushalte mit Heizöl ein, bereits vorausschauend für nächsten Winter. Das ist untypisch, meistens wurde bisher eher im Sommer oder Frühherbst, wenn der Preis der üblichen saisonalen Schwankung folgend niedriger ist, eingekauft. Die Nachfrage derzeit sei „extrem“, so Hedwig Doloszeski vom Fachverband.

Heizöl – es hat einen höheren Schwefelgehalt, ist sonst aber sehr ähnlich dem Diesel – macht freilich nur ein Sechstel des gesamten jährlichen Diesel- und Heizölverbrauchs in Österreich aus. Im Vorjahr wurden laut Statistik des Klimaschutzministeriums 935.000 Tonnen Heizöl verbraucht, aber mehr als 6,5 Millionen Tonnen Diesel.

Dazu kommt, dass viel mehr Diesel verbraucht wird als Normal- oder Superbenzin: Weniger als 1,5 Mio. Tonnen Otto-Kraftstoff gegenüber den bereits genannten 6,5 Mio. Tonnen Diesel waren es 2021. Neben Privathaushalten ist Diesel vor allem aus der Transportbranche und der Landwirtschaft derzeit schlicht noch nicht wegzudenken. Die viel höhere Nachfrage treibt den Dieselpreis zusätzlich.

OMV Schwechat
ORF.at/Christian Öser
In Schwechat werden jährlich rund 9,6 Mio. Tonnen Rohöl verarbeitet

60 Prozent Import

Das hängt auch damit zusammen, dass in Österreich selbst viel zu wenig Diesel produziert wird – jedenfalls gemessen am Verbrauch: Während bei Otto-Kraftstoffen das Dreifache des heimischen Verbrauchs in der einzigen heimischen Raffinerie, Schwechat, produziert wird, ist das Verhältnis bei Diesel völlig anders: 60 Prozent des Bedarfs müssen importiert werden.

Trotz Dieselprivilegs

Nicht zuletzt das Dieselprivileg, sprich die deutlich niedrigere Mineralölsteuer, hat bisher praktisch immer dafür gesorgt, dass Diesel günstiger war als Otto-Kraftstoff.

Die heimischen Produktionskapazitäten könnten grundsätzlich ausgebaut werden, eine Umstellung wäre aber jedenfalls ein „langwierigerer Prozess“. Denn dazu brauche es einerseits das passende Rohöl, und andererseits müssten die Anlagen entsprechend adaptiert werden, so Doloszeski. Auf die Frage, warum in Österreich – auch angesichts des deutlich höheren Verbrauchs – nicht mehr Diesel produziert wird, wurde betont, bisher sei man mit der Aufteilung der Produktion in Europa gut gefahren.

Von Deutschland abhängig

Tatsache ist, dass Österreich beim Import vor allem von Deutschland abhängig ist. Bei Diesel mit beigemengtem Biodiesel stammen mehr als 63 Prozent des Imports aus Deutschland. Und bei Diesel ohne biogenen Kraftstoff ist es die Hälfte. Wichtige andere Bezugsländer sind Italien, Slowenien und die Slowakei. Deutlich weniger wird aus Ungarn und Tschechien importiert.

Am russischen Dieseltropf

Europa insgesamt wiederum ist beim Diesel stark von Russland abhängig – sei es beim direkten Bezug von Diesel oder bei dem für die Raffinierung benötigten Rohöl. Der deutsche Experte Thomas Puls vom Institut der Wirtschaft betonte in einer Kurzanalyse Mitte März die Bedeutung Russlands als Diesellieferant. In einigen Ländern betrage der Anteil russischen Diesels „weit über 20 Prozent“ – in Rumänien sogar 72 Prozent.

Da in Europa – anders etwa als in den USA – neben Nutzfahrzeugen auch viele Pkws mit Diesel fahren, ist die Nachfrage hier besonders hoch. Technisch kann laut Puls bei der Produktion aber das Verhältnis der Menge an Benzin und Diesel nicht beliebig geändert werden. Überschüssiges Benzin wird daher traditionell in die USA exportiert, der fehlende Diesel vor allem aus Russland importiert. Denn Russland sei „eines der wenigen Länder mit einer Überproduktion an Diesel“.

Der mengenmäßig größte europäische Importeur russischen Diesels – nach Großbritannien – ist demnach Deutschland: 2019 etwa stammte ein Drittel der gesamten deutschen Dieselimporte aus Russland. Und Österreichs wichtigste Importquelle für Diesel wiederum ist Deutschland. Diese Tatsache spiele jedenfalls eine deutlich „größere Rolle“ als die Sorge um Heizöl (und dessen Preis) für den nächsten Winter, so der heimische FVMI.

Sich wappnen für den Ernstfall

Die „Financial Times“ warnte zuletzt in einem Artikel, dass generell Rationierungen auf die europäische Öffentlichkeit zukommen könnten, wenn der Ukraine-Krieg noch länger dauert und der Wirtschaftskrieg mit Russland sich so weit zuspitzen sollte, dass Moskau Gas- und Öllieferungen stoppt oder reduziert. Explizit wurde für diesen Fall auf Diesel als Beispiel verwiesen – wegen des hier in Europa bestehenden „systemischen Defizits“.

In Deutschland bereiten sich die Behörden für diesen Ernstfall vor, sprich die Rationierung von Gas und Diesel für Unternehmen. Dass Unternehmen zurzeit entsprechende Informationsschreiben von ihren Versorgern erhalten, bestätigte in der Vorwoche die Bundesnetzagentur gegenüber der „Berliner Zeitung“. Am Mittwoch wurde bezüglich Gas offiziell die Frühwarnstufe des Notfallplans ausgerufen. Ähnlich wie in Österreich müssen auch in Deutschland im Fall einer Versorgungskrise Haushalte zuerst beliefert werden.

Russland weiß um seine Rolle

Und Russland ist sich seiner Bedeutung als Diesellieferant voll bewusst: Vizeregierungschef Alexej Novak drohte letzte Woche, ein Mangel an Diesel könnte ein „stark destabilisierender Faktor“ in der EU werden und Mengenbeschränkungen beim Bezug nötig machen.

Transalpine-Pipeline
Über die Transalpine-Pipeline kommt Rohöl von Triest nach Kärnten und von dort über die Adria-Wien-Leitung nach Schwechat

Weltweit knapp

Erschwerend kommt hinzu, dass die Reserven bei Diesel so niedrig sind wie zuletzt 2008. Ursachen sind das Zurückfahren oder Schließen von Raffinerien wegen der CoV-Pandemie einerseits und der Anstieg der Nachfrage mit dem Wiederanspringen der Konjunktur in den letzten Monaten. Im Nahen Osten gibt es üblicherweise ebenfalls eine Dieselüberproduktion. Allerdings entspricht dieser in der Regel nicht den europäischen Umweltstandards.

Wettbieten um Diesel?

Wahrscheinlicher sind laut der Nachrichtenagentur Reuters die USA als alternative Bezugsquelle. Wenn Europa US-Diesel aufkauft, könnte das allerdings zu einem Engpass anderswo führen. Die Knappheit ist „extrem groß und wir stehen vermutlich vor dem totalen Ausverkauf“. Europa könne es sich leisten, auch einen deutlich höheren Preis zu zahlen. „Das Problem ist: Was passiert mit Afrika und Lateinamerika?“, so Jeremy Weir, Chef des niederländischen Rohstoffhändlers Traffigura.

Vor allem in Afrika würde das ein großes Problem darstellen, das – mittels Generatoren – auch zur Stromgewinnung „stark auf Diesel angewiesen ist“. Es könnte nach dem Streit um die CoV-Impfstoffe der nächste wirtschaftspolitische Konflikt Europas mit Afrika werden und die gewollte Annäherung behindern.

Verbrauch herunterschrauben

Weltweit gilt: Neben Haushalten geraten vor allem dieselintensive Wirtschaftsbereiche – vom Transportgewerbe bis hin zur Landwirtschaft – zunehmend unter Druck. Das heizt die Inflation in allen Bereichen, beginnend bei Lebensmitteln, weiter an. Die Regierung veranlasste daher zuletzt eine Prüfung der Tankstellenpreise durch die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Der ÖAMTC hofft gegenüber ORF.at, dass diese den Druck auf die Mineralölkonzerne erhöhen wird. Im FVMI zeigt man sich freilich gelassen. Der Markt sei transparent. Wie bei der letzten Prüfung 2012 werde als Ergebnis herauskommen, dass es keine Absprachen gebe, zeigte sich Doleszeski zuversichtlich.

Die Regierung hat mit mehreren Entlastungsmaßnahmen reagiert, unter anderem mit der Anhebung der Pendlerpauschale. Der Opposition sind diese Schritte zu wenig. Auf längere Sicht ergibt es aber nicht wirtschaftlich und schon gar nicht klimapolitisch Sinn, höhere Treibstoffpreise durch staatliche Zuschüsse oder Hilfen auszugleichen. Den Verbrauch bei Benzin und Diesel zu verringern, wo es geht, ist wohl das Gebot der Stunde – und das nicht nur mit Blick auf die eigene Geldbörse. Denn der Druck könnte bei weiter ansteigendem Preis noch zunehmen.