Der russische Oligarch Roman Abramowitsch
Reuters/Matthew Childs
„Giftaffäre“

Warnung an ukrainische Verhandler

Die Affäre um eine mögliche Vergiftung von Teilnehmern an früheren Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland, darunter der russische Oligarch Roman Abramowitsch, zieht weitere Kreise. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba warnte laut BBC die Verhandler auf ukrainischer Seite vor der Runde am Dienstag in Istanbul davor, bei den Gesprächen zur Verfügung gestelltes Essen und Trinken zu konsumieren.

Auch Oberflächen sollten nicht berührt werden, so Kulebas Warnung an die Delegationsteilnehmer in einem Interview mit dem ukrainischen Nachrichtensender Ukraina 24 am Dienstag. Die Ukraine hatte Abramowitsch zu Beginn der russischen Invasion um Hilfe gebeten. Er und ukrainische Unterhändler sollen nach Vermittlungsgesprächen in Kiew Anfang des Monats an Vergiftungssymptomen gelitten haben.

Der Kreml dementierte eine mögliche „Giftaffäre“. Das habe nichts mit der Realität zu tun. Die Geschichte sei Teil eines „Informationskrieges“, sagte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, weiter. Eine mit den Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau vertraute Quelle hatte der Nachrichtenagentur AFP allerdings den „Gift“-Bericht bestätigt. „Das hat leider tatsächlich stattgefunden.“

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba
AP
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba

Welche Rolle spielt Abramowitsch?

Was genau die Rolle von Abramowitsch bei den Gesprächen ist, ist nicht bekannt. Ein Sprecher Abramowitschs sagte kürzlich, dessen Einfluss sei „begrenzt“. Moskau sieht dies offenbar anders. „Abramowitsch spielt eine Rolle bei der Vermittlung von Kontakten zwischen den russischen und ukrainischen Parteien“, so Kreml-Sprecher Peskow am Dienstag. Um Kontakte herzustellen, sei die Zustimmung beider Seiten erforderlich, was im Fall von Abramowitsch zutreffe. Abramowitsch sei bei den Verhandlungen in Istanbul dabei, obwohl er kein offizielles Mitglied der russischen Delegation sei.

Der Oligarch war zuvor überraschend auf Bildern zu sehen, welche die türkische Präsidentschaft von den Verhandlungen am Dienstag veröffentlichte. Die russische Nachrichtenagentur RIA berichtete, Abramowitsch habe vor Beginn der Verhandlungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesprochen. Der Geschäftsmann gehört zu den russischen Oligarchen, die vom Westen wegen ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Sanktionen belegt wurden.

Verhandlungen zwischen Russland under Ukraine in Istanbul
Reuters/ppo/Murat Cetinmuhurdar
Ein Blick auf die Delegationen und den Gastgeber Recep Tayyip Erdogan

US-Vertreter: Umweltfaktoren

Ein US-Vertreter, der nicht genannt werden wollte, äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters skeptisch über die möglichen Vergiftungen. Er machte Umweltfaktoren für die Symptome verantwortlich und nicht Gift. Belege dafür wurden allerdings keine vorgelegt.

Roman Abramowitsch bei den Verhandlungen in Istanbul
APTN
Der Oligarch Roman Abramowitsch bei den Gesprächen in der Türkei

Zuvor hatte auch die Ukraine die Vergiftungstheorie dementiert. Der Chemiewaffenexperte Hamish De Bretton-Gordon sah das laut BBC allerdings anders. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass Umweltfaktoren irgendetwas damit zu tun hätten, so De Bretton-Gordon.

„WSJ“: Augen betroffen, Haut schälte sich ab

Am Montag hatte das „Wall Street Journal“ berichtet, Abramowitsch und ukrainische Unterhändler hätten nach Vermittlungsgesprächen in Kiew Anfang des Monats an mutmaßlichen Vergiftungssymptomen gelitten. Laut den Informanten der US-Zeitungen sollen die Betroffenen unter roten, stechenden und durchgehend tränenden Augen sowie sich abschälender Haut an Gesicht und Händen gelitten haben. Die Beschwerden hätten sich mittlerweile gebessert, niemand sei in lebensbedrohlichem Zustand.

Wladimir Putin und Roman Abramowitsch 2005
Reuters
Der russische Präsident Wladimir Putin und Abramowitsch im Jahr 2005

Chemiewaffenspezialisten analysierten Fall

Laut Berichten des „WSJ“ und des Enthüllungsportals Bellingcat sollen Abramowitsch und mindestens zwei Abgesandte der ukrainischen Seite nach Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew am 3. März Vergiftungserscheinungen gezeigt haben. Laut Bellingcat hätten sich die Betroffenen nach den Verhandlungen in eine Wohnung in Kiew zurückgezogen und dort die Symptome verspürt.

Angesichts der Beschwerden habe man sich an einen Bellingcat-Ermittler gewandt, der bereits die Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny im Jahr 2020 untersucht hatte, hieß es weiter. Er habe daraufhin eine Untersuchung durch Spezialisten in die Wege leitete. Die Gruppe sei zuvor über Lwiw und Polen nach Istanbul gereist.

Die Fachleute hätten den Fall an Ort und Stelle und per Schaltung untersucht und seien zu dem Schluss gekommen, dass die Symptome wahrscheinlich von einer unbekannten chemischen Waffe herrührten. Welche Substanz konkret eingesetzt worden sein könnte, blieb offen – die Betroffenen konnten nicht direkt untersucht werden. Es seien aber ein Gift und eine Dosis eingesetzt worden, bei der lebensbedrohliche Folgen unwahrscheinlich seien. Es habe sich vermutlich um Abschreckung gehandelt.

Selenski-Sprecher: Keine Kenntnis von Vergiftungen

Dem „WSJ“ zufolge sehen die Informanten russische Hardliner in der Verantwortung, die Friedensverhandlungen sabotieren wollen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski ist laut dem Bericht nicht betroffen. Sein Sprecher habe mitgeteilt, man wisse nichts von einer angeblichen Vergiftung.

Auch Teilnehmer der ukrainischen Verhandlungsdelegation wiesen später den Bericht, sie seien vergiftet worden, zurück. Alle Mitglieder der Verhandlungsgruppen würden normal arbeiten, sagte der ukrainische Unterhändler Mychajlo Podoljak örtlichen Medien zufolge. „Im Informationsbereich gibt es gerade viele Spekulationen, unterschiedliche Verschwörungsversionen und Elemente des einen oder anderen Informationsspiels.“