Ramzan Kadyrov
Reuters/Chingis Kondarov
Ramsan Kadyrow

Putins Mann fürs Grobe mit tragender Rolle

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spielt ein Mann eine erstaunlich prominente Rolle: Ramsan Kadyrow, der autoritäre Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Seit Kriegsbeginn sucht er für sich und die von ihm in die Ukraine geschickten Truppen die Öffentlichkeit – um sich dabei als Mann fürs Grobe von Präsident Wladimir Putin zu präsentieren. Beide erhoffen sich aus dieser Partnerschaft strategische Vorteile. Doch einiges davon ist mehr Schein als Sein.

Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte Kadyrow seine Unterstützung für den Krieg laut getrommelt – und die Hilfe seiner Spezialeinheit, der berüchtigten Kadyrowzy, angekündigt. Putin kam diese Hilfe sehr gelegen: Schon im Vorfeld hatte sich, traut man den entsprechenden Spekulationen nach den im Fernsehen übertragenen Sitzungen, der engste Kreis um ihn inklusive Verteidigungsminister Sergej Schoigu weit weniger enthusiastisch zu dem Angriffskrieg gezeigt. Und der Ruf der Skrupellosigkeit, der den tschetschenischen Truppen vorauseilt, sollte wohl auch zur Einschüchterung des Gegners Ukraine dienen. Allerdings scheint Kadyrow abgesehen von Putin in der Moskauer Elite wenige Freunde zu haben – im Gegenteil.

Kadyrow soll mittlerweile zweimal in der Ukraine gewesen sein: Mitte März gab er an, nördlich von Kiew seine Truppen besucht zu haben. Trotz Videos und Fotos kamen Zweifel auf, ob er tatsächlich dort war. Am Montag wurde berichtet, er halte sich in der belagerten Stadt Mariupol auf, wiederum sollten Bilder die Reise bestätigen. In beiden Fällen hieß es, er persönlich würde die Kriegstaktik verbessern.

Zweifel an Besuchen

Doch auch hier wurden Zweifel laut: So war er mit einem russischen General abgelichtet, der laut Ukraine bereits vor einigen Tagen getötet worden war. Und die Kette, zu der die Tankstelle gehört, bei der er fotografiert wurde, gibt es in der Ukraine nicht.

Ramzan Kadyrov
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Kadyrow bei seinem angeblichen Besuch in Mariupol – hinter ihm ist sein 14-jähriger Sohn Adam zu sehen

Überhaupt sind Kadyrows Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Vor einigen Tagen hatte er verkündet, seine Männer hätten das Rathaus Mariupols eingenommen. Später ruderte er zurück, es dürfte sich um ein Amtshaus eines Außenbezirks gehandelt haben.

Tschetschenen als „Schreckgespenst“

Der tschetschenische Machthaber sieht im Ukraine-Krieg offenbar eine Chance, seine Macht und sein Ansehen zu stärken, indem er seine Loyalität gegenüber Putin beweist – von dem er abhängig ist. Schon seit er an der Macht ist, sei seine Rolle das „Schreckgespenst“, eine „ständige Bedrohung für Putins Feinde“, sagt der Russland-Experte Konstantin von Eggert gegenüber al-Jazeera.

„Kadyrow hat langjährige Erfahrung mit sogenannten ‚Säuberungsaktionen‘, und seine Kämpfer könnten als psychologisches Werkzeug gegen friedliche Ukrainer eingesetzt werden“, so Alexander Kwachadse, Forschungsstipendiat bei der Georgischen Stiftung für Strategische und Internationale Studien, gegenüber dem „Guardian“: „Die implizite Drohung lautet: Wenn ihr euch nicht ergebt, kann euch das gleiche Schicksal ereilen wie friedliche Städte in Georgien und Tschetschenien.“

Finanziell von Moskau abhängig

Im Gegenzug finanziert Moskau Tschetschenien. Mehr als 80 Prozent des Budgets kommt aus Zuwendungen. Solche gibt es auch für die Achmat-Kadyrow-Stiftung, in die auch alle tschetschenischen Staatsbediensteten und Unternehmen einzahlen müssen und mit der Kadyrow seinen protzigen Lebensstil aufrechterhält. In einer Analyse des US-Thinktanks Foreign Policy Research Institute wird darauf verwiesen, dass sich Kadyrow Ende Februar mit Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow getroffen hatte, offenbar aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage Tschetscheniens.

Vladimir Putin und Ramzan Kadyrov, 2019
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Putin und Kadyrow bei einem Treffen im Sommer 2019

Kadyrow braucht das Geld vor allem, um seine Bevölkerung in Schach zu halten. Soziale Unruhen kann er sich dabei nicht leisten: „Es gibt viele Tausende, vielleicht Zehntausende von Tschetschenen, die ihn hassen, die ihm etwas übel nehmen, und viele Familien, die in einer latenten Blutfehde gegen ihn und seine Familie stehen. Kadyrow weiß also, dass er Russland und Wladimir Putins Rückhalt braucht, wenn er überleben will“, so Emil Solomon Aslan vom Institut für politische Studien der Karls-Universität in Prag gegenüber dem „Guardian“.

Totale Repression

Kadyrow ist seit 2007 in Tschetschenien an der Macht. Gemeinsam mit seinem Vater Achmat Kadyrow kämpfte er im ersten Tschetschenien-Krieg (1994–96) auf der Seite der Unabhängigkeitsbefürworter und wechselte im zweiten (1999–2009) die Seite. Achmat Kadyrow wurde 2003 in einer umstrittenen Wahl zum Präsidenten gekürt, starb aber wenige Monate später bei einem Anschlag.

Seit er an der Macht ist, hat Kadyrow die politische Opposition unterdrückt und praktisch ausgelöscht, Menschenrechte und Freiheiten sind weitgehend abgeschafft. Ihm wird vorgeworfen, Folter und außergerichtliche Tötungen angeordnet zu haben. Auch im Ausland wurden – zuletzt 2020 in Österreich – Kritiker seines Regimes ermordet.

Politische Morde

Zudem führen die Spuren einer Reihe von Morden an russischen Politikern, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten nach Tschetschenien, etwa an den Journalistinnen Anna Politkowskaja im Jahr 2006 und Natalija Estemirowa im Jahr 2009, die beide Kadyrow kritisiert hatten. Für den 2015 in Moskau erschossene Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurden fünf Tschetschenen zu Haftstrafen verurteilt – die mutmaßlichen Drahtzieher aber nicht.

Einer von ihnen, Ruslan Geremejew, Bataillonskommandeur im Regiment „Sewer“, kämpfte zuletzt laut tschetschenischen Angaben in Mariupol – und wurde dabei verletzt. Ein Video zeigt einen Besuch Kadyrows an seinem Krankenbett, offenbar in Rostow am Don, also auf russischem Gebiet östlich von Mariupol.

Rückschläge und kaum Fronteinsätze

Kadyrows angebliche Frontbesuche sollen wohl den Ruf der tschetschenischen Truppen aufrechterhalten. Denn die tatsächlichen Kampfeinsätze scheinen im krassen Gegensatz zur PR zu stehen. Schon in den ersten Kriegstagen wurde eine etwa 400 Mann starke Spezialtruppe nahe dem Flughafen Hostomel bei Kiew vernichtend geschlagen. Gerüchte machten die Runde, die Ukraine habe Geheiminformationen aus Russland zur Landung der Truppe bekommen. Der berüchtigte General Magomed Tuschajew soll getötet worden sein, was die tschetschenische Regierung heftig dementiert.

Tschetschenische Soldaten in Grosny
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Tschetschenische Truppen bei einer Parade in ihrer Heimat

Laut mehreren Medienberichten und Militärbeobachtern sind die tschetschenischen Truppen auch kaum an vorderster Front zu finden. Mehrere prorussische Separatistenführer haben sich laut dem Bericht von al-Jazeera auch darüber beschwert, dass die auch bei der Belagerung von Mariupol kaum beteiligt sind, teils weil ihre Ausrüstung dafür unbrauchbar sei. Andere Experten führen ins Treffen, dass die Spezialtruppen zwar Erfahrung bei der Unterdrückung der Zivilbevölkerung hätten, in einem „echten“ Krieg aber unerfahren seien.

Kriegs-PR mit Bildern und Videos

Im Gegensatz zu den russischen Soldaten führen die tschetschenischen Truppen Mobiltelefone bei sich, posten in sozialen Netzwerken und bezeichnen den Konflikt als „Krieg“. Berichtet werden zudem Streitereien zwischen russischen Truppen und tschetschenischen Einheiten. Diese seien vor allem damit beschäftigt, mit ihren Postings weitere Kämpfer aus ihrer Heimat anzuwerben, denen laut Berichten 1.000 Dollar im Monat versprochen werden.

Aus den Mobilfunkaktivitäten lasse sich ablesen, dass sie tatsächlich nicht im umkämpften Gebiet sind, sondern zumeist 20 Kilometer hinter der Frontlinie, so Kwachadse im „Guardian“. Mehreren Dutzend Kämpfern wurde ein Video, das die Stärke der Truppe untermauern sollte, laut ukrainischen Angaben auch zum Verhängnis: Aus den Bildern ließ sich das Camp lokalisieren und wurde angegriffen.

Kadyrows riskante Strategie

Kadyrows Image steht aber noch aus einem weiteren Grund auf dem Spiel: Auf der Seite der Ukraine kämpfen zwei Bataillone, die zumindest zum Teil aus Exiltschetschenen bestehen. Seine Machtposition wäre geschwächt, wenn diese erfolgreich sind. Überhaupt wird der Plan des Machthabers von Tag zu Tag riskanter. Je mehr Männer er verliert, desto schwerer lasse sich sein auf Unterdrückung basierendes Regime in Tschetschenien aufrechterhalten, heißt es unter anderem in einer Analyse des britischen Onlinemagazins Unherd.

Skyline der tschetschenischen Hauptstadt Grosny
Reuters
Grosny wurde im zweiten Tschetschenien-Krieg zerstört – und danach mit großen Investitionen wieder aufgebaut

Droht „Tschetschenisierung“ Russlands?

Umgekehrt könnte sich genau dieses System aber auf die Russische Föderation ausweiten. Grigori Schwedow, Menschenrechtsaktivist und Chefredakteur der auf den Kaukasus spezialisierten Nachrichtenwebsite Kawkasski Usel, rechnet gegenüber al-Jazeera damit, dass auch in Russland Repressionen weiter zunehmen werden, die sich vielleicht auch nur mit paramilitärischen Einheiten aufrechterhalten lassen. Nach „dieser Tragödie in der Ukraine“ werde wohl auch die „Tschetschenisierung der russischen Gesellschaft“ zunehmen.