Kaiser Karl in Uniform, sitzend
ÖNB/Ferdinand Schmutzer
100. Todestag

Ein verklärter Kaiser und sein elender Krieg

Sein Name ist untrennbar mit dem Ende der Donaumonarchie verbunden. In der kollektiven Erinnerung steht Karl I., dessen Todestag sich am Freitag zum 100. Mal jährt, im Schatten des Langzeitherrschers Franz Joseph. Karls Regierungszeit wies bemerkenswerte Ansätze für Veränderungen auf, aber den Untergang des Habsburgerreiches konnte der unerfahrene Herrscher nicht verhindern.

Karl, dem letzten Kaiser und König der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, ist gelungen, was weder dem Säulenheiligen des österreichischen Fremdenverkehrs, seinem Vorgänger Kaiser Franz Joseph, noch sonst einem Staatsoberhaupt einer der kriegführenden Mächte des Ersten Weltkrieges zuteilwurde: Seit 2004 darf Karl öffentlich als Seliger der katholischen Kirche verehrt werden.

Um als Seliger verehrt werden zu können, ist nicht nur eine vom Vatikan attestierte besondere Tugendhaftigkeit nötig, sondern auch ein Wunder. Karl soll eine solche wundersame Heilung an einer Krankenschwester mit einem schweren Beinleiden, manche sagen Krampfadern, bewirkt haben. Sein weltliches Wirken brachte ihm weniger Ehre ein.

Wie man einen Staatsstreich verbummelt

Am Ende der politischen Karriere Karls stand ein dramatisches Scheitern. Am 20. Oktober 1921, drei Jahre nach dem Zerfall des Habsburgerreiches, brachte ein Flugzeug den Ex-Kaiser, begleitet von seiner Frau Zita, aus dem Schweizer Exil nach Westungarn. Sein Ziel war, als König auf den ungarischen Thron zurückzukehren, diesmal mit militärischer Unterstützung. Schon ein halbes Jahr zuvor war Karl heimlich nach Budapest gefahren. Doch der ungarische Reichsverweser Miklos Horthy hatte ihn zur Rückkehr ins Exil überredet und auf eine spätere Übernahme der Krone vertröstet.

Der geplante Coup war allerdings schlecht vorbereitet, unüberlegt und politisch naiv. Die Nachricht von seiner Ankunft erreichte Karls Verbündete einen Tag zu spät. Unter dem Kommando von Oberst Anton Lehar, dem Bruder des Komponisten Franz, sammelten sich zwar habsburgtreue Einheiten. Aber anstatt schnell nach Budapest vorzustoßen, ließ sich Karl feiern, hielt Reden und ließ Gottesdienste abhalten. Die Überraschung misslang völlig, und schließlich stellten sich auch noch ungarische Regierungstruppen entgegen.

Zweiter Restaurationsversuch Kaiser Karls in Ungarn 1921
Gemeinfrei
Zeremoniell statt Zielstrebigkeit: Karls Restaurationsversuch in Ungarn (Oktober 1921)

Horthy, Karls ehemaliger Befehlshaber der Kriegsmarine, war an einer Rückkehr und Machtübernahme des Habsburgers nicht interessiert. Das Unternehmen scheiterte im Chaos. Mit Widerstand hatte Karl nicht gerechnet. Als es die ersten Toten gab, ließ er die Kämpfe beenden. Er und seine Frau Zita wurden verhaftet. Ein Operettencoup, der aber 19 Menschen das Leben kostete. Es war das endgültige Aus für seine Thron-Ambitionen.

Vom Kavallerie-Major zum Thronfolger

Als Karl 1887 in Persenbeug geboren wurde, rechnete niemand damit, dass er einmal an der Spitze der Habsburgermonarchie stehen könnte. Der Selbstmord von Kronprinz Rudolf 1889, die nicht standesgemäße Heirat von Erzherzog Franz Ferdinand und der frühe Tod seines Vaters, Erzherzog Ottos, rückten Karl ins Zentrum der Dynastie.

Zwei Jahre lang besuchte Karl das öffentliche Gymnasium der Schotten in Wien und später Lehrveranstaltungen an der Prager Universität. Das war für einen Habsburger ungewöhnlich, aber keine Ausbildung zum Thronfolger. Karl schlug eine klassische militärische Laufbahn ein. Dass er mittlerweile die Nummer zwei in der Thronfolge war, schien niemanden zu beschäftigen.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Erzherzog Otto Franz von Austria 1865-1906, Bruder von Franz Ferdinand, Vater von Kaiser Karl I (IV) von Österreich-Ungarn, mit Frau Herzogin Maria Josefa von Sachsen, und Kindern, ca 1897
Gemeinfrei
Erzherzog Otto und Maria Josefa von Sachsen mit ihren Söhnen Karl (vorne) und Maximilian (ca. 1897)
Schulklasse von vor einem Jahrhundert
ORF/Erich Feigl
Karl (Mitte) im Physiksaal des Schottengymnasiums (1900)
Kaiser Karl I. mit Frau Zita
Karl und Zita von Bourbon-Parma: Die beiden heirateten 1911
Kaiser Karl I. von Österreich mit Ehefrau Zita von Parma und Sohn Otto im ungarische Krönungsornat
picturedesk.com/Interfoto/Friedrich
Krönung zum König von Ungarn, in der Mitte Kronprinz Otto (Dezember 1916)

Selbst nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo 1914 unternahm der alte Kaiser Franz Joseph I. wenig, um Karl an die absehbare Nachfolge heranzuführen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges versah Karl Dienst an der Front und nahm Paraden ab, Einblick in Entscheidungen und Mitverantwortung bekam er nicht. Als Franz Joseph 1916 starb, übernahm ein schlecht vorbereiteter und wahrscheinlich überforderter junger Mann mit 29 Jahren die Regierung einer Monarchie, die sich mitten in einem Krieg befand.

Karl, „der Plötzliche“

Am Willen zu dringend notwendigen Veränderungen fehlte es nicht. Karl löste den Kriegstreiber Conrad von Hötzendorf an der Spitze des Generalstabes ab. Mit der Einberufung des Reichsrates, der seit Kriegsbeginn nicht mehr getagt hatte, setzte er einen Schritt zur innenpolitischen Normalisierung. Eine neue Sozialgesetzgebung, eine Mieterschutzverordnung und die Einrichtung neuer Ministerien für soziale Fürsorge und für Gesundheit sollten die Kriegsfolgen und die steigende Not der Bevölkerung bekämpfen.

Doku-Hinweis

Die Dokumentation „Der letzte Kaiser – Karl I.“ ist noch bis Samstag in der ORF-TVthek zu sehen.

Historiker und Historikerinnen sind sich einig, dass Karl persönlich integer und wohlmeinend war. Die Bemühungen, den Krieg – den er nicht beschlossen hatte – zu beenden, fußten auf ehrlicher Überzeugung. Aber aus dem Bündnis mit dem „Waffenbruder“ Deutschland konnte er sich nicht lösen. Als Oberkommandierender trug er die Verantwortung für zwei Jahre Krieg, der Millionen Opfer kostete, und in dem auch von österreichischer Seite Giftgas zum Einsatz kam.

Ein Vermittlungsversuch für einen Friedensschluss über seinen Schwager Prinz Sixtus von Bourbon-Parma endete in einer politischen Katastrophe: Als seine Geheimverhandlungen bekannt wurden, geriet er gegenüber der deutschen Heeresleitung noch mehr unter Druck und musste sich für den „Verrat“ entschuldigen. Die berühmte „Sixtus-Affäre“ warf kein gutes Licht auf sein Verhandlungsgeschick und kostete ihn seine Glaubwürdigkeit.

1917

Das neue Medium Film nutzte Karl für die Propaganda, die Schrecken des Krieges rückten in weite Ferne (Filmarchiv Austria)

Karl galt als wenig entscheidungsfreudig, aber auch wankelmütig. Berater hatten es schwer, Karl hörte auf einen kleinen Kreis von Vertrauten und seine Frau Zita. Inkonsequente, sprunghafte Ad-hoc-Entscheidungen trugen ihm angeblich den Beinamen Karl, der Plötzliche ein. Es fehlte an Weitsicht und Plan – auch bei seinem letzten Versuch zur Rettung der Monarchie. Mit einem „Manifest der Völker“ am 16. Oktober 1918 hoffte Karl, die Habsburgermonarchie als Bundesstaat zu erhalten. Doch das kam viel zu spät und war zu wenig. Die einzelnen Kronländer erklärten nacheinander ihre Unabhängigkeit, innerhalb weniger Wochen brach der Vielvölkerstaat auseinander.

Wie das Reich zerbrach

Offenbaren Krisensituationen die Persönlichkeit eines Menschen, so war das Ende des Krieges kein Ruhmesblatt für Karl. Da er für den Waffenstillstand und die Kapitulation nicht verantwortlich sein wollte, legte er am 3. November 1918 den Oberbefehl über die Armee, den er 1916 an sich gezogen hatte, zurück. Den Rückzug und die Demobilisierung musste nun der neu ernannte Oberkommandierende Hermann Kövess von Kövesshaza verantworten.

Bücher zum Thema

Hannes Etzlstorfer: Kaiser Karl. Die Verantwortung vor der Geschichte trägt immer der Monarch, Kral, 2022.

Pieter M. Judson: Habsburg. Geschichte eines Imperiums. 1740-1918, C.H.Beck, 2018.

Katrin Unterreiner: Meinetwegen kann er gehen: Kaiser Karl und das Ende der Habsburgermonarchie, Molden, 2017.

Hannes Leidinger: Der Untergang der Habsburgermonarchie, Haymon, 2017.

Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser, Wolfram Dornik: Habsburgs schmutziger Krieg. Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914-1918, Residenz, 2014.

Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Böhlau, 2013.

Aber an seiner Rolle als Monarch hielt Karl fest. Als sich auch die österreichischen Abgeordneten für einen neuen Staat aussprachen, lehnte er eine Abdankung vehement ab. Sein Glaube an eine direkt von Gott an ihn übertragene Macht ließ einen solchen Schritt nicht zu. Widerstrebend unterschrieb er schließlich eine Deklaration, mit der er auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichtete. Einen Tag später, am 12. November 1918, wurde die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen.

Karl und seine Familie zogen sich nach Eckartsau zurück. Aus Angst, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie die 1918 ermordeten Romanows in Russland, ging Karl im Frühjahr 1919 ins Exil in die Schweiz. Noch während seiner Ausreise unterzeichnete er das „Feldkircher Manifest“, in dem er seinen Verzicht vom November widerrief und auf seinem Machtanspruch beharrte. Landesverweisung und Beschlagnahmung des staatlichen Vermögens durch das „Habsburgergesetz“ von April 1919 waren die naheliegende Reaktion der jungen Republik.

Tod im Exil

Nach dem Scheitern des Ungarn-Abenteuers wurden Karl und Zita im Kloster Tihany am Plattensee interniert. Um weitere Umsturzversuche zu verhindern, brachten britische Schiffe das ehemalige Kaiserpaar schließlich auf die Atlantikinsel Madeira. Dort gestaltete sich das Leben schwierig. Das Geld wurde knapp, und die Familie musste wieder aus dem renommierten Hotel Reid´s ausziehen.

Karl I. und seine Frau Zita auf Madeira, 1921
picturedesk.com/SZ-Photo/SZ Photo
Zita und der sichtlich gealterte Karl auf Madeira (1922)

Ein Bankier stellte eine Villa in den Bergen von Funchal, die Quinta do Monte, zur Verfügung. Karl war schon länger geschwächt und dürfte an der Spanischen Grippe gelitten haben. Am 1. April 1922 starb er an einer Lungenentzündung. Wenige Tage später wurde er in der nahegelegenen Kirche Nossa Senhora do Monte beigesetzt, wo er bis heute begraben ist.

Von Gottes Gnaden?

Mit dem Verlust der Macht konnte sich Karl nie abfinden. Er klammerte sich an die Vorstellung eines Gottesgnadentums. Das war das Einzige, das ihm niemand nehmen konnte – der Erbe einer überkommenen Idee zu sein. Eine Idee, die faktische Machtlosigkeit und fehlende Autorität kompensieren sollte.

Dieses realitätsfremde Sendungsbewusstsein motivierte Karl, den Thron in Ungarn wiederzugewinnen. Da sich Ungarn im Gegensatz zu Österreich 1919 als Königreich mit vakantem Thron konstituiert hatte, erwartete er, zumindest dort wieder als Herrscher anerkannt und freudig begrüßt zu werden. Eine Fehleinschätzung, wie so vieles in seinem Leben.