MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles
Rudolph M. Schindler House (R. M. Schindler, 1921/22), Außenansicht
Gerald Zugmann/MAK
Schindler House

Jubiläum eines Jahrhundertbaus

Vor 100 Jahren entstand in Kalifornien ein Meisterwerk moderner Architektur. Das MAK widmet dem revolutionären Wohnhaus von Rudolf M. Schindler nun eine Hommage. In der Schau „Schindler House Los Angeles“ sind aber keine Grundrisse zu sehen, sondern künstlerische Annäherungen. Die Formen und Ideen des 1914 ausgewanderten Wieners inspirierten besonders die Schindler-Stipendiaten, die jährlich vom MAK Art Center LA ausgewählt werden.

Ein Campingurlaub gab den Anstoß für eine Ikone der Moderne. Nach einem Aufenthalt im kalifornischen Yosemite-Nationalpark entwarf Schindler 1921 ein Gebäude, in dem Wohn- und Freiraum auf radikale Weise miteinander verschmelzen. So sah der offene Grundriss keine Schlafzimmer vor, sondern Kojen auf dem Dach und eine Gemeinschaftsküche für zwei Familien.

Das vor 100 Jahren gebaute Schindler House in Los Angeles stellt in vielerlei Hinsicht einen Meilenstein der Architekturgeschichte dar. Das MAK präsentiert nun eine Ausstellung, die sich dem Schindler House über die zeitgenössische Kunst nähert.

Fenster wie Schießscharten

Die Betonwände lassen das Licht nur durch schmale Schlitze ein. Die Fotokünstlerin Candida Höfer fing die spezielle Atmosphäre im kalifornischen Schindler House ein. Als Schindler 1922 sein Wohnhaus in Los Angeles errichtete, krempelte er selbst die Ärmel hoch. Der Architekt goss die Bauteile direkt am Boden an Ort und Stelle in Formen und stellte sie nach der Aushärtung hoch. Die zerfurchte, organisch wirkende Oberfläche der Wände verdanken sie also ihrer Produktion.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Candida Höfer, Schindler House, Los Angeles, 2000
Bildrecht Wien
Candida Höfer: Schindler House, Los Angeles, 2000
Martin Kippenberger, Metro-Net, Subway Entrance Syros, 1998
Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne; Foto: Wolfgang Woessner/MAK
Martin Kippenberger: „Metro-Net, Subway Entrance Syros“, 1998
Dorit Margreiter, Textile Blocks, 2019
Pigmentprints
Dorit Margreiter
Dorit Margreiter: „Textile Blocks“, 2019, Pigmentprints
Rudolph M. Schindler, Esstisch, 1944–1948
MAK/Georg Mayer
Rudolph M. Schindler: Esstisch, 1944–-1948

„Schindler dachte das Haus von innen nach außen“, erklärte Kuratorin Bärbel Vischer dessen neuartigen Ansatz. Sie wählte für die Jubiläumsschau 17 künstlerische Positionen aus, die sich entweder direkt mit Schindler beschäftigten, an Ort und Stelle ausstellten oder das Schindler-Stipendium erhielten.

Drei Schindler-Häuser mit MAK-Bezug

Aber wie kam das MAK überhaupt zum Schindler House? Auf Betreiben des früheren Direktors Peter Noever wurde 1994 ein Kooperationsvertrag mit der US-NPO Friends of the Schindler House unterzeichnet, die das Gebäude besitzt. Im Jahr darauf erwarb die österreichische Republik Schindlers zentraler gelegene Mackey Apartments, die seither einem Artist-in-Residence-Programm dienen.

Ausstellungshinweis:

Schindler House Los Angeles. Der Raum als Medium der Kunst. Museum für angewandte Kunst, bis 31. Juli, dienstags 10.00 bis 21.00 Uhr, mittwochs bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr

Jährlich kommen sechs Stipendiaten aus Kunst und Architektur nach Los Angeles. Zum MAK Center for Art and Architecture zählt heute als dritte Dependance auch das Fitzpatrick-Leland House in den Hollywood Hills, das 2007 durch eine Schenkung angegliedert werden konnte.

„Grausame“ rosa Farbe

„Den Alltag in Schindlers Architektur zu erleben, hat mich schon geprägt“, erzählte Dorit Margreiter bei der Ausstellungseröffnung. Für die Wiener Künstlerin war ihr Schindler-Stipendium 2002 die Initialzündung für zahlreiche Projekte in Kalifornien.

Die Foto- und Videoarbeiten der Professorin der Wiener Akademie der bildenden Künste kreisen um die Versprechen der Moderne und die Frage, wie die Visionen der 1920er und 1930er Jahre bis in die Gegenwart wirken. Die MAK-Schau zeigt Margreiters Fotos der Fassade des legendären Ennis House von Frank Lloyd Wright. Schindler arbeitete ab 1917 vier Jahre für den Architekten, bei dem er eine modulare Bauweise und außereuropäische Einflüsse kennenlernte.

MAK-Ausstellungsansicht, 2022
SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES. Raum als Medium der Kunst
Stephen Prina, As He Remembered It, Living Room Category, 2011
MAK-Kunstblättersaal
MAK/Georg Mayer
Stephen Prina stieß zufällig auf rosa gefärbelte Schindler-Möbel – Ausgangspunkt für seine eigene Auseinandersetzung

Ein Teil der Ausstellung kreist um Architekturfragmente. Der längliche Kunstblättersaal im MAK wird von einer Installation in Pink dominiert. US-Künstler Stephen Prina entdeckte seinerzeit in einem Shop in Los Angeles zufällig ein Möbelstück von Schindler, das mit rosa Farbe bemalt war. „Eine Grausamkeit“, empfand Prina damals, nahm diesen Fund aber zum Ausgangspunkt, dessen Einbaumöbel und minimalistische Formensprache näher zu erkunden.

Hollywood in Reichweite

Als der Stipendiat Andreas Fogarasi 2006 im Schindler House ausstellte, konnte er seine Architekturfotos dort nicht aufhängen. Stattdessen reproduzierte er die Kaminverkleidung als Ständer und blieb dieser Präsentationsform – mittlerweile allerdings in Marmor – seither treu.

Es war nicht die Nähe zu Hollywood, die den Wiener Künstler Philipp Timischl zu seinem LA-Straßenshooting in Drag inspirierte. Die Aufmachung mit Perücke und grellgelben Stilettos für seine Fotoserie „Too blessed to be stressed, too broke to be bothered“ lässt aber auch an die Filmindustrie denken. Neben dem Kino nahm keiner den kalifornischen Stil so genau ins Visier wie der Fotograf Julius Shulman (1910-2009). Die Schau zeigt seinen Blick ins Schindler House von 1980, in dem es geradezu gemütlich erscheint.

Bild links: Philipp Timischl, Too blessed to be stressed, too broke to be bothered. (BELLEVUE AVE.), 2019; Bild rechts: MAK-Ausstellungsansicht, 2022
SCHINDLER HOUSE LOS ANGELES. Raum als Medium der Kunst
Andreas Fogarasi, Untitled (Wise Corners), 2010
MAK-Säulenhalle (1. Stock)
Mona Varichon (Bild links); MAK/Georg Mayer (Bild rechts)
Links: Philipp Timischl, „Too blessed to be stressed, too broke to be bothered“ (Bellevue Ave.), 2019; rechts: Andreas Fogarasi mit seinem Schindler-House-inspirierten Ausstellungsständer, 2010

Unter den vielen Ausstellungen, die das MAK in LA organisierte, zählte die Installation von Martin Kippenberger zu den skurrilsten. Ein Jahr nach dem Tod des deutschen Künstlers 1997 wurde im Garten des Schindler House ein U-Bahnausgang für Kippenbergers imaginäres „METRO-Net“ gegraben. Der Künstler erdachte ein weltumspannendes Transportnetz. Für die Schau in Westhollywood wurde seine Station „Tokio“ realisiert. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, macht doch Sinn: Schließlich wurde Schindlers Hauptwerk mit seinen Schiebetüren maßgeblich von der japanischen Architektur beeinflusst.

Magische Architektur

Immer wieder wird der Zauber des Schindler House beschworen. Die Künstlerin Sasha Pirker interviewte für ein Video die mexikanische Hausmeisterin, die sich mit ihrem Mann 30 Jahre lang um die Anlage kümmerte. Sie erzählt auch von Emigration und der Faszination für den Garten des musealen Gebäudes, den ihre Familie nach der Sperrstunde genoss.

Auch MAK-Direktorin Lilli Hollein spricht von einem „magischen Ort“. Ihr Vater, der Architekt Hans Hollein, organisierte 1968 in der Wiener Galerie nächst St. Stephan die erste Ausstellung des in seiner Heimatstadt Wien vergessenen Baukünstlers. Dass hierzulande bis heute keine große Schindler-Schau zu sehen war, ist ein echtes Versäumnis. Insofern wirkt die jetzige Ausstellung, die so viele Facetten des Architekten anreißt, wie ein Blick durch die Fensterschlitze seines Hauses.