Wirtschaftschefs: „Europa braucht wieder eigene digitale Hoheit“

Europa müsse wieder lernen, eine digitale Hoheit über sein eigenes Territorium zu bekommen. Diese Forderung wurde auf der Konferenz „Darwin’s Circle“ heute in Wien erhoben. Eine der zentralen Fragen sei, eine krisenfeste Wirtschafts-, Digitalisierung und Technologiepolitik als Konsequenz der Ukraine-Krise zu errichten.

Europa brauche wieder eine gemeinsame Vision statt einer Überfokussierung auf Regulierung, meinte die Journalistin und Burda-Plattform-Gründerin „Digital Life Design“ Steffi Czerny: „Wir müssen angesichts der Herausforderung der kommenden Zeit mit der chinesischen Wirtschaft als Europa enger zusammenarbeiten“, so Czerny.

Podiumsdiskussion Darwin’s Circle
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„Technologie macht einen Unterschied“

„Die Ukraine-Krise zeigt, wie Technologie einen Unterschied macht“, unterstrich Christoph Keese von Axel Springer: „Alles, was am Boden passiert, findet auch im Web statt und hat einen Effekt auf Öffentlichkeit.“ Allerdings, so Keese, würde nicht Europa der Ukraine das Netz für die Kommunikation zur Verfügung stellen, sondern die USA. Europa müsse auch wieder eine Form von „digitaler Hoheit“ über sein eigenes Territorium herstellen.

Magenta-Chef Andreas Bierwirth warnte vor der Illusion, dass man in kurzer Zeit alte Probleme losgeworden sei. „Wir müssen aber fragen, was mittel- und langsfristig hält“, so der deutsche Manager. Nicht zuletzt eine hohe Inflation könne sehr rasch wieder zu einer Fragmentierung führen.

Neue Unternehmenskultur gefragt

Mark Kroes von Microsoft unterstrich die Notwendigkeit einer komplett neuen Unternehmenskultur, wolle man sein eigenes Business krisensicher machen. Es werde mehr Arbeit von daheim geben. Es müsse aber vor allem das Mitarbeiter-Arbeit-Verhältnis auf ganz neue Beine gestellt werden. Die Mitarbeiterinnenentwicklung sei entscheidend für die Zukunft.

Jeder und jede in einer Firma brauche klare Entwicklungspläne – und Firmen könnten nur aufgrund der Kreativität der Mitarbeiter bestehen.

HRW-Anwältin: „Müssen Folgen von Technik für Menschenrechte abschätzen“

Die US-Anwältin Kimberly Marteau Emerson von der Organisation Human Rights Watch (HRW) erinnerte an die Bedeutung der Technologiefolgen-Abschätzung ihrer Organisation, um Menschenrechtsverletzungen deutlich zu machen. „Es ist eine technisch-forensische Arbeit, die wir heute machen“, so Marteau Emerson, die auch die momentane Arbeit in der Ukraine beschrieb.

Man müsse sehr viel „Reverse Search“ betreiben, um Fehlinformationen herauszufiltern. „Wir haben viel Feldarbeit in der Ukraine mit Augenzeugen gemacht und die Aussagen und Wohnorte der Menschen mit Satellitenfotos verglichen, auch um herausfinden, ob militärische oder hauptsächlich zivile Ziele angegriffen wurden.“ Ihre Organisation versuche Muster des Krieges zu finden – und aus diesen Mustern die Absichten des Krieges klar zu zeigen.

Podiumsdiskussion Darwin’s Circle
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„Müssen Folgen von Technologie abschätzen“, so die US-Anwältin Marteau Emerson

Es sei immer noch der menschliche Faktor, der bei der Arbeit ihrer Organisation entscheidend sei. Entscheidend sei für sie auch, welche Spielregeln auf digitalen Plattformen installiert seien, um diese Plattformen zu verlässlichen Partnern im Aufspüren von Menschenrechtsverletzungen machen.

Expertin Suder: „Müssen Daten lesen wollen, die da sind“

Katrin Suder, ehemalige Staatssekretärin im deutschen Verteidigungsministerium, erinnerte in ihrem Statement daran, dass man in den letzten Jahren sehr klar Daten zum Ukraine-Krieg gesehen habe – aber dass man das in Europa nicht habe hören wollen. „Unser Problem ist, dass die Entscheidungsträger in der Politik fast immer im fortgeschrittenen Alter sind, aber dass in dieser Altersstruktur das Interesse für digitale Daten abnimmt.“