Russischer Oligarch Roman Abramovich
Reuters/Suzanne Plunkett
Ukraine – Russland

Abramowitschs geheimnisvolle Rolle

Die Anwesenheit des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch hat bei den Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland für Verwunderung gesorgt. Denn welche Rolle spielt der Mehrfachmilliardär und Privatmann bei den Gesprächen? Laut Experten und Expertinnen hat die Rolle Abramowitschs vielfältige Hintergründe – vom Friedensvermittler bis hin zum Agieren aus Eigennutz mit Hilfe des Kremls.

Offiziell ist Abramowitsch kein Verhandler bei den Friedensgesprächen, wie auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag bestätigte. Abramowitsch selbst kommentierte seine Rolle nicht. Er versuche sich der Welt als ernsthafter und vertrauenswürdiger Vermittler zwischen Moskau und Kiew zu präsentieren, so die „New York Times“ („NYT“). Kritiker und Kritikerinnen monieren allerdings, dass der Einsatz Abramowitschs ein Teil seiner Bemühungen sei, sein Imperium zu retten, so die US-Zeitung weiter.

Der ukrainische Präsident Wolodymir Selenskyj setzte sich bei US-Präsident Joe Biden dafür ein, dass der als Langzeitvertrauter von Kreml-Chef Wladimir Putin bekannte Abramowitsch nicht auf der US-Sanktionsliste steht, wie das „Wall Street Journal“ schreibt. Auf den Sanktionslisten der EU und auch Großbritanniens befindet sich Abramowitsch.

Yacht „Eclipse“ im Hafen von Marmaris
Reuters/Yoruk Isik
Die Superjacht „Eclipse“ am 22. März in der Türkei

Zwei Superyachten, von denen jede mehrere hundert Millionen Dollar wert ist, hat der Nochbesitzer des britischen Fußballclubs Chelsea bereits in Sicherheit gebracht – nämlich in die Türkei. Die 162 Meter lange „Eclipse“ ankert vor dem Badeort Marmaris, im Hafen von Bodrum befindet sich mit der „Solaris“ eine weitere Jacht Abramowitschs.

„Richte ihm aus, ich werde ihn vernichten“

Auch wurde der Putin-Vertraute gegen Anfang des Krieges von ukrainischer Seite um Vermittlung gebeten. Abramowitsch sei auch einer von mehreren Oligarchen gewesen, die ihn kontaktiert und Investitionen in die ukrainische Wirtschaft vorgeschlagen hätten, so Selenskyj in einem Interview mit einem russischen Journalisten Ende März.

Russischer Oligarch Roman Abramovich bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul
Reuters/Murat Cetinmuhurdar/PPO
Abramowitsch bei den Friedensverhandlungen in Istanbul

Seine Rolle habe auch beinhaltet, den handgeschriebenen Brief des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, in dem er seine Bedingungen für ein Abkommen darlegte, an den Kreml-Chef zu überbringen, wie die „Times“ schreibt. „Richte ihm aus, ich werde ihn vernichten“, soll Putins Antwort gewesen sein.

Abseits der offiziellen Kanäle

Abramowitsch bemüht sich auch dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu zufolge ernsthaft um ein Ende des Krieges. Er versuche seit dem Beginn des Krieges am 24. Februar zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln. Kiew nimmt Abramowitsch offenbar ebenfalls als seriösen Vermittler mit einem Draht zu Putin wahr. Abramowitsch sei ein guter Vermittler zwischen Kiew und Moskau, sagte der ukrainische Unterhändler Mychailo Podoljak. Abramowitsch helfe dabei, Missverständnisse zu vermeiden, so Podoljak.

Auch der ukrainische Verhandlungsführer Dawyd Arachamija lobte Abramowitsch. Dieser spiele eine positive Rolle, sagte Arachamija nach ukrainischen Medienberichten. Abramowitsch biete einen „inoffiziellen Kommunikationskanal“, der beitrage, in normaler und nicht in diplomatischer Sprache zu diskutieren. Der Oligarch bemühe sich um Neutralität, so Arachamija. „Obwohl wir ihn nicht als neutrale Partei wahrnehmen. Aber wir können sagen, dass er sicher neutraler ist als die offizielle Seite der Verhandlungen.“

Russischer Oligarch Roman Abramovich mit russischem Präsidenten Vladimir Putin im Jahr 2005
Reuters
Abramowitsch und der russische Präsident Wladimir Putin 2005 im Kreml

Delegation aus „zweitrangigen Beamten“

Eine Aussage, die der „Guardian“ untermauert: Große Teile des restlichen russischen Verhandlungsteams würden aus Leichtgewichten und zweitrangigen Beamten, die nicht als einflussreich gewertet würden, bestehen, schreibt der „Guardian“ weiter.

Putin suche abseits der offiziellen Kanäle auch immer eigene, so die russische Journalistin Jewgenia Albaz im „Guardian“. Er glaube nicht an alles, was offen sei. Alles müsse für Putin „etwas verschwörerisch“ sein, so Albaz weiter.

Persönliche Kontakte in Selenskyj-Umfeld

Laut „NYT“ konnte Abramowitsch bei den Friedensverhandlungen auch ein Naheverhältnis zu dem ukrainischen Verhandler Rustem Umjerow aufbauen, wie die Zeitung mit Hinweis auf einen Insider bei den Gesprächen schreibt. Umjerow glaube, dass Abramowitsch den Krieg tatsächlich gerne beendet sehe, heißt es mit Verweis auf den Insider weiter.

Auch soll es persönliche Kontakte von Abramowitsch in das Beraterumfeld von Selenskyj geben. Alexander Rodnyansky, ein Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten, wird vom „Guardian“ zitiert, dass sein Vater, ein ukrainischer Filmproduzent, der Abramowitsch gut kenne, Abramowitsch als Vermittler vorgeschlagen habe.

Russischer Oligarch Roman Abramovich mit Chelsea-Schal in Stadion
Reuters/Hannah Mckay
Abramowitsch applaudiert 2017 seinem Fußballclub Chelsea zu dessen Sieg in der Premier League

Auch Eigennutz als Motiv

Doch die Hilfe bzw. angebotene Hilfe von Oligarchen habe eben noch einen anderen Grund, so die russische Enthüllungsjournalistin und Politologin Albaz, nämlich die Eigeninteressen des Oligarchen – vor allem vor dem Hintergrund der geschäftsschädigenden westlichen Sanktionen. Damit wollten die Oligarchen ihre Villen und Jachten im Westen retten und auf der „richtigen Seite“ in dem Konflikt stehen.

Ksenia Svetlova, eine in Moskau geborene israelische Politologin, ehemalige Abgeordnete und Expertin für die russisch-israelischen Beziehungen, sieht ebenfalls, dass Abramowitsch zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Es sei eine kombinierte Operation von Abramowitsch, der neben dem russischen auch den israelischen und den portugiesischen Pass hat.

Russischer Oligarch Roman Abramovich am Flughafen in Tel Aviv
Reuters
Abramowitsch Mitte März auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Israel

Beide Seiten glauben, „dass sie ihn gebrauchen können“

Abramowitsch helfe dem Kreml und dabei auch sich selbst, so Svetlova in der „New York Times“. „Moskau glaubt, dass sie ihn gebrauchen können, und der Westen glaubt auch, dass sie ihn gebrauchen können“, so das Fazit der Politologin. Dass Abramowitsch nicht Teil der offiziellen russischen Delegation sei, gebe ihm mehr Spielraum, um einen Kompromiss zu erreichen.

„Es ist das Spiel von guter Bulle, böser Bulle – eben der Rollenverteilung zwischen der offiziellen Delegation und Abramowitsch. Dadurch hat er auch mehr Freiheit“, so Svetlova weiter. Abramowitsch „ist ein anderer Arm des Kremls – kein offizieller, aber ein weicherer“.

Nawalny-Vertraute: Einer der größten Geldgeber für Putin

In der russischen Opposition ist man skeptisch über Abramowitschs Rolle als Friedensstifter. „Wie kann man so einfach vergessen, wer Abramowitsch wirklich ist? Er ist einer der größten Geldgeber für Putins Regime“, so die russische Enthüllungsjournalistin Maria Pewtschich. Pewtschich ist eine enge Vertraute des in Russland inhaftierten Putin-Gegners Alexej Nawalny und Leiterin der Ermittlungseinheit von dessen Antikorruptionsstiftung.

Weiter mysteriös bleibt eine mögliche „Giftaffäre“. Abramowitsch und zwei ukrainische Unterhändler sind möglicherweise Ziel eines Giftanschlags geworden. Das „Wall Street Journal“ berichtete Anfang der Woche unter Berufung auf informierte Kreise, Abramowitsch und die Ukrainer hätten in diesem Monat nach einem Treffen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew „Symptome einer mutmaßlichen Vergiftung“ aufgewiesen. Weder Russland noch die Ukraine bestätigten den Vorfall.

„Bankomat“ für Putin

Abramowitsch will von seinem Einfluss selbst offenbar nichts wissen. Ein Sprecher Abramowitschs sagte kürzlich, dessen Einfluss sei „begrenzt“. Moskau sieht das offenbar anders. „Abramowitsch spielt eine Rolle bei der Vermittlung von Kontakten zwischen den russischen und ukrainischen Parteien“, so Kreml-Sprecher Peskow diese Woche. Um Kontakte herzustellen, sei die Zustimmung beider Seiten erforderlich, was im Fall von Abramowitsch zutreffe.

Der Milliardär gehört zu der Riege von Oligarchen, die im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion zu immensem Reichtum gekommen sind und von Putin, solange sie loyal zu dem Kreml-Chef sind, unterstützt werden. Abramowitsch ist mittlerweile einer der letzten der ersten Generation der Oligarchen und genießt offenbar immer noch das Vertrauen von Putin, auch wenn Abramowitsch ein Naheverhältnis von sich weist, berichtet etwa auch die Website NPR, die die Oligarchen als Bankomat für Putin und seine Vertrauten bezeichnet.