Schaufenster von einem Modegeschäft
APA/AFP/various sources/Fredrik Sandberg
Neue EU-Strategie

Der Anfang vom Ende für „Fast Fashion“

Leichtere Reparaturen, längere Haltbarkeit und bessere Recycling-Möglichkeiten: Nach dem Motto „Fast Fashion is out of Fashion“ möchte die EU-Kommission die als Klimasünder bekannte Textilindustrie ab kommendem Jahr nachhaltiger machen. Für die billige Alltagskleidung, wie wir sie kennen, könnte es das Aus bedeuten. Menschenrechten würde in der Richtlinie jedoch keine Beachtung geschenkt werden, kritisiert eine Expertin im Gespräch mit ORF.at.

Eine neue Bluse für die Frühlingssaison, ein neuer Mantel in der aktuellen Trendfarbe für die Übergangszeit und zwei Paar neue, angesagte Sneakers für den Urlaub: Geht es nach den Plänen der EU-Kommission, könnte sich dieses Konsumverhalten in den nächsten acht Jahren stark ändern. Denn die geplante „Initiative für nachhaltige Produkte“, die bessere Qualität und Wiederverwendbarkeit vorschreibt, möchte das „Fast Fashion“-Geschäftsmodell bis 2030 schrittweise verschwinden lassen.

„Die Menschen sind es leid, dass Produkte gleich kaputtgehen, nachdem die Garantie ausläuft, oder dass ihre Kleidung in der Waschmaschine zerreißt“, sagte der EU-Kommissiar für Umwelt, Virginijus Sinkevicius, bei der Präsentation der Strategie Ende März. „Sie sind es leid, Teil des Problems zu sein und wollen ein Teil der Lösung werden.“ „Fast Fashion“ komme in einem innovativen und wettbewerbsfähigen Textilsektor aus der Mode, so der Tenor der Kommission.

„Fast Fashion“

„Fast Fashion“ ist ein Geschäftsmodell aus der Bekleidungsindustrie, bei dem Kollektionen schnell und trendbezogen designt und zu niedrigen Preisen produziert und verkauft werden.

Stattdessen soll es für Produkte im EU-Binnenmarkt künftig eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft geben, die fördert, dass Produkte nicht ständig neu produziert, sondern in verschiedenen Formen neu eingesetzt werden. So sollen Ressourcen gespart und die Nachhaltigkeitsziele der EU – die Emmissionen bis 2050 auf null zu reduzieren und klimaneutral zu werden – erreicht werden.

Gewinne von Materialverbrauch entkoppeln

„Das Konzept der Kreislaufwirtschaft besagt, dass wir Gewinne von Materialverbrauch und Ressourcenverbrauch entkoppeln“, sagt Andre Martinuzzi, Vorstand des Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement an der WU Wien. „Und dafür gibt es verschiedene Strategien, zum Beispiel Recycling oder Secondhand.“ Im Gegensatz zu dem aktuellen Verkaufskonzept der Modekonzerne, das auf regelmäßig wechselnden Kollektionen basiert, bei denen wegen der schnellen Zyklen auch tragbare Ware häufig entsorgt wird.

Da im Abstand weniger Wochen mit neuen Kollektionen und Trends geworben wird, werden regelmäßig neue Kleidungsstücke gekauft und gleichzeitig nur für eine kurze Dauer getragen, bis sie wieder „out“ sind. Das bestätigen Untersuchungen der Ellen MacArthur Foundation, die sich bereits seit Jahrzehnten mit Kreislaufwirtschaft beschäftigt und Unternehmen wie H&M berät. Laut der Studie ist die Anzahl neu in Umlauf gebrachter Kleidung in den letzten 15 Jahren sukzessive gestiegen, gleichzeitig ist jedoch die Nutzung pro Kleidungsstück stark zurückgegangen.

„Textilien werden im Schnitt weit unter zehnmal getragen“, so Martinuzzi. „Das Neue ist zu einer Einstellung geworden. Man sagt nicht nur, ich gehe einkaufen, damit ich dann etwas habe, sondern das Einkaufen selbst ist bereits das Glück.“ Das ginge aber bei den meisten Materialien mit einer enormen Umweltbelastung einher: etwa bei Baumwolle, die viel Wasser verbraucht, und Polyester, das Mikroplastik in Umlauf bringt.

Grafik zum Rohstoffverbrauch der Kleidungsindustrie
Grafik: ORF.at; Quelle: Ellen McArthur Foundation, A New Textiles Economy, 2017

H&M gibt sich optimistisch

Der schwedische Moderiese H&M gibt sich optimistisch, dass der Umstieg weg von einem linearen, hin zu einem zirkulären Wirtschaftsmodell gelingen wird. „Wir bei der H&M-Gruppe glauben, dass ein branchenweiter Wechsel von einem linearen zu einem zirkulären Geschäftsmodell eine der wichtigsten Lösungen ist“, so H&M auf Anfrage von ORF.at. Daher unterstütze man „die Bemühungen der EU-Kommission, einen koordinierten politischen Rahmen und gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, um eine wirksame und erfolgreiche Strategie für die Branche voranzutreiben, nachdrücklich“.

Laut Gertrude Klaffenböck, Agrarökonomin und Initiatorin der österreichischen Clean-Clothes-Kampagne, sei H&M als einer der wenigen aus der Branche tatsächlich gut auf die neue Richtlinie vorbereitet. „H&M hat sicher schon eine Idee, wie es sein Geschäftsmodell in diese Richtung umbaut“, so Klaffenböck. „Es ist zum Beispiel auch schon in den Secondhand-Handel eingestiegen oder testet in einigen Ländern Rücknahmesysteme. Das sind alles Anpassungsstrategien, bei denen man sagen kann: Im Vergleich zu früher sind wir nachhaltiger geworden.“

H&M Geschäft am Times-Square
Reuters/Mike Segar
H&M wirbt auch aktuell teilweise mit „grünen“ Labels – zum Unmut von Umweltschützern, die das als Greenwashing kritisieren

Bei der spanischen Inditex-Gruppe, zu der unter anderem Zara, Bershka und Pull & Bear gehören, gab es bisher keine Versuche, (vermeintlich) nachhaltige Linien einzuführen. Die Gründe dafür liegen wohl auf der Hand: Zum einen war der politische Druck dafür bis dato noch nicht gegeben, zum anderen hält sich der Konzern auch ganz ohne Nachhaltigkeitsversprechen seit Jahren als Weltmarktführer im Modebereich. Die Anfrage von ORF.at, wie Inditex zu der geplanten EU-Strategie stehe, beantwortete der Konzern nicht.

Grafik zu Fast Fashion
Grafik: ORF.at; Quelle: Statista

Weniger Angebot und mehr Recycling als Szenarien

Was können Konsumentinnen und Konsumenten also in den nächsten Jahren für Veränderungen erwarten, wenn sie Modegeschäfte wie H&M oder Zara betreten? „Eine Möglichkeit wäre, dass die Konzerne umgebaut werden, sodass es mehrere kleine Einheiten mit anderen Unternehmensnamen gibt, die dann jährlich statt 52 nur mehr vier oder fünf Kollektionen verkaufen“, so Klaffenböck.

„Oder die Wertschöpfungskette wird verlängert, sodass einfach mehr Kleidung recycelt und upgecycelt wird.“ Anstatt also die Produktion gänzlich umzustellen und nachhaltiger zu gestalten, könnten die wenig nachhaltigen Produkte einfach immer wieder neu eingesetzt werden. Bei der Anpassung seien der Fantasie keine Grenzen gesetzt, so die Agrarökonomin.

Sollte allerdings als Richtwert für Nachhaltigkeit nur die produzierte Menge und die Endproduktqualität gelten, sehe sie das skeptisch. „Weil damit nicht gesagt ist, dass dieser Run auf Länder, in denen die Produktion möglichst billig und mit wenig Umweltauflagen verbunden ist, beendet wird.“

Altkleidung in Recyclinkarton
Getty Images/iStockphoto/Maria Korneeva
Recycling von Kleidung wird für Modeunternehmen in den nächsten acht Jahren noch eine große Rolle spielen

Höherer Gewinn mit mehr Nachhaltigkeit möglich

Laut der Ellen MacArthur Foundation können Unternehmen mit zirkulären Wirtschaftsmodellen bei weniger eingesetzten Materialien ihre Gewinne sogar erhöhen. Um das zu erreichen, müssen sie jedoch vier essenzielle Maßnahmen ergreifen: Es müsste ein Umdenken bei der Erfolgsmessung stattfinden, und neben globalen sollte auch lokale Liefernetzwerke genutzt werden.

Anstatt nur auf ein Geschäftsmodell zu setzen, müsste man sich mehrere – wie etwa Vermietung von Kleidung, Verkauf und Recycling – überlegen. Die EU hat bereits angekündigt, Unternehmen beim Ausbau von Recycling zu unterstützen, um den Anteil von aktuell einem Prozent wiederverwendeter Materialien wesentlich zu erhöhen. Letztendlich sollten Kundinnen und Kunden auch durch bewusste Anreize dazu bewegt werden, sich für Kreislaufangebote zu entscheiden.

Nachhaltigkeit zu jedem Preis?

Letzteres könnte sich noch als Herausforderung erweisen. Einerseits beruhte der Erfolg der großen Modehäuser bisher darauf, möglichst viele Produkte möglichst billig anzubieten. Andererseits war eines der größten Probleme nachhaltiger Mode bisher auch der nachhaltige Preis, der mit den „Fast Fashion“-Schnäppchen wie T-Shirts für drei Euro und Jeans für zwanzig Euro nicht mithalten kann – freilich auf Kosten von Umwelt- und Menschenrechten.

Die Kommission sprach bereits davon, dass die Produktionskosten infolge der neuen Richtlinien steigen und in weiterer Folge an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden könnten. Langfristig werde aber Geld gespart, da weniger Energie verbraucht werde und Waren länger hielten. In der Richtlinie steht zudem, es dürfe keine „wesentlichen negativen Auswirkungen auf die Erschwinglichkeit der entsprechenden Produkte für die Verbraucher geben“.

Arbeiter in Bekleidungsfabrik
Reuters/Nguyen Huy Kham
Konzerne wie H&M und Nike produzieren in Fabriken wie dieser in Vietnam, um Auflagen und Kosten zu sparen

Menschen- und Arbeitsrechte nicht berücksichtigt

Innerhalb der Clean Clothes-Initiative steht die neue Richtlinie zudem wegen fehlender Arbeits- und Menschenrechte-Aspekte unter Kritik. „Es wird zwar immer wieder von sozialen Aspekten gesprochen, aber es gibt kaum einen Verweis zu den menschenrechtlichen Grundnormen, die einzuhalten sind, geschweige denn von Arbeitsrechten“, so Klaffenböck. „Deswegen gehen wir als Organisation auch davon ab, die Richtlinie als wirklich nachhaltig zu bezeichnen, weil diese Säule einfach fehlt.“

Bei der Diskussion über Preise von „Fast Fashion“-Produkten müsse man sich vor Augen führen, wie diese aktuell zustande kämen, erinnert die Clean-Clothes-Initiatorin. Weniger als ein Prozent des Endpreises für ein T-Shirt entfallen laut einer aktuellen Greenpeace-Studie auf die Bezahlung von Arbeiterinnen und Arbeitern, Materialkosten kommen auf durchschnittlich zwölf Prozent. Mehr als die Hälfte des Endpreises entfällt auf die Handelsspanne.

„Die Gewinne werden ganz woanders entlang der Wertschöpfungskette organisiert. Das Ganze nur an dem Aspekt ‚Billig ist zugänglicher‘ oder ‚Billig ist demokratischer‘ festzumachen, ist nicht richtig“, ist Klaffenböck überzeugt.

Expertin: Werden noch viele Rechenmodelle sehen

Um sicherzustellen, dass die Modekonzerne die neuen Rahmenbedingungen auch wirklich ernst nehmen, möchte die EU künftig auch vehementer gegen Greenwashing vorgehen. So dürfen Unternehmen künftig nicht mehr mit Nachhaltigkeitszertifikaten oder Schlagwörtern wie grün oder umweltfreundlich werben, wenn sie das nicht belegen können.

„Ich glaube tatsächlich, dass bis 2030 ein Ende der ‚Fast Fashion‘-Industrie, wie wir sie kennen, eintreten kann“, so Klaffenböck. Es sei vorstellbar, dass sich beispielsweise Nachhaltigkeitsindikatoren wie Wasserverbrauch und der Einsatz von Materialien in den nächsten Jahren tatsächlich bessern würden. Dass die Mode und die heutigen „Fast Fashion“-Unternehmen künftig wirklich ihren Beitrag dazu leisten würden, dass der CO2-Verbrauch spürbar niedriger wird, bezweifelt Klaffenböck dennoch.

„In Bezug auf die klassischen Umweltindikatoren werden wir noch ganz viele Rechenmodelle und tolle Bilanzen sehen. Aber ich bin skeptisch, ob das Ganze tatsächlich in ein ressourcenschonenderes Modell für den gesamten Naturverbrauch hinauslaufen wird“, so die Einschätzung der Agrarökonomin. „Ich lasse mich aber auch gerne überzeugen.“