Kritik an Auflösung von Tunesiens Parlament

Der tunesische Parlamentspräsident Rached Ghannouchi hat die Auflösung der Abgeordnetenkammer durch Staatschef Kais Saied als unzulässig angeprangert. „Aus unserer Sicht befindet sich das Parlament weiterhin in Betrieb“, sagte Ghannouchi gestern der Nachrichtenagentur AFP. „Der Präsident verfügt nicht über das verfassungsmäßige Recht, das Parlament aufzulösen.“

Saieds Entscheidung sei „null und nichtig“, sagte Ghannouchi, der die islamistisch geprägte Ennahdha-Partei anführt, die in den Jahren nach dem „arabischen Frühling“ die tunesische Politik dominierte.

Saied hatte gestern die Auflösung der Abgeordnetenkammer verkündet. Bereits im Juli des vergangenen Jahres hatte der Ende 2019 gewählte Präsident unter Berufung auf einen Notstandsartikel der Verfassung die Regierung abgesetzt, das Parlament suspendiert und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben. Seither regiert Saied per Dekret.

Kurz vor der von Saied verkündeten Auflösung des Parlaments hatten sich 120 Abgeordnete über die vom Staatschef verhängte Aussetzung ihrer Arbeit hinweggesetzt und in einer virtuellen Sitzung für die Rücknahme der seither von ihm angeordneten Maßnahmen gestimmt. Saied kündigte eine Strafverfolgung der Teilnehmer der virtuellen Sitzung an.