Menschen auf einer Straße in Neu Delhi
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„Gutes Angebot“

Gezerre um Indien in Ukraine-Krieg

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wird um Verbündete gebuhlt. Neben China gilt Indien als einflussreicher Faktor in der Weltpolitik. Doch bisher zeigte sich Neu-Delhi mehr oder weniger zurückhaltend. Doch sowohl der Westen als auch Russland hoffen auf die Untersütztung Indiens und schickten deshalb ihre Diplomaten in das Land.

Bisher hatte Indien westliche Sanktionen nicht mitgetragen und sich bei Resolutionen im UNO-Sicherheitsrat enthalten. Trotz Drängen aus den USA und Europa hatte das bevölkerungsreiche Land auch keine Kritik am russischen Angriffskrieg geäußert. Das hat einen Grund: Neu-Delhi pflegt mit Moskau lange und enge Beziehungen und bekommt auch große Teile der militärischen Ausrüstung von dort. Gleichzeit unterhält Indien allerdings auch gute Kontakte zu den USA und zu Europa, also Partnern, die man nicht vergrämen will.

In den vergangenen Tagen wurde die Doppelbeziehung durch zwei Besuche besonders deutlich: Sowohl Russland als auch Großbritannien schickten nämlich am Donnerstag ihre Diplomaten nach Neu-Delhi. Für Russland lobte Außenminister Sergej Lawrow Indiens „neutrale Haltung“ und betonte, dass man Indien alle Güter liefere, die das Land kaufen möchte. Anders verhielt sich die britische Außenministerin Liz Truss, die auf ein stärkeres Engagement Indiens im Krieg pochte.

Rabatt statt härtere Haltung

Schnell klar wird, dass Moskau mit Indiens Zurückhaltung zufrieden zu sein scheint. Ein Land, das sich nicht kritisch äußert, ist in den Augen Russlands ein Verbündeter – auch was Resolutionen im Sicherheitsrat anbelangt. Europa und die USA sind allerdings mit der Position Neu-Delhis nicht zufrieden. Ankit Panda von der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace sagte gegenüber CNBC, dass Indiens Position für „Stirnrunzeln“ sorge.

Der indische Premierminister Narendra Modi zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Außenminister Sergej Lawrow
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Modi und Putin pflegen gute Beziehungen – zuletzt war Lawrow in Neu-Delhi

So hatte auch Japan den indischen Regierungschef Narendra Modi aufgefordert, eine härtere Haltung gegenüber Moskau einzunehmen. Modi hatte kurz nach Beginn des Krieges mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert und ein Ende der Gewalt gefordert. Doch dass man westliche Sanktionen gegen Moskau mitträgt, kommt nicht infrage. Die Regierung in Neu-Delhi beurteile die Lage in der Ukraine „gänzlich auf Fakten beruhend“, hieß es zuletzt aus Moskau.

Mit dem Eintreffen Lawrows wurde auch bekannt, dass Indien Erdöl in Russland mit hohem Rabatt gekauft hat und weitere Bestellungen erwägt. Russische Ölfirmen böten Preisnachlässe an, und indische Firmen zögen in Betracht, entsprechende Verträge abzuschließen, hieß es aus Kreisen der staatlichen Indian Oil Corporation. Die USA warnten Indien vor einer schnellen Ausweitung von Ölimporten. US-Sicherheitsberater Daleep Singh sagte, dass es Konsequenzen für Länder gebe, die aktiv versuchten, Sanktionen zu umgehen.

Suche nach „guten Angeboten ganz natürlich“

Gegenüber der britischen Außenministerin Truss hatte ihr indischer Amtskollege Subrahmanyam Jaishankar den vergünstigten Kauf mit scharfen Worten verteidigt. Die Hauptabnehmer von russischem Gas und Öl seien europäische Staaten, und es sei „ganz natürlich“, dass Länder sich nach „guten Angeboten umsehen“, sagte er laut einem Bericht des „Guardian“.

Truss warnte – ohne Indien explizit zu nennen – davor, dass die Öl- und Gaseinnahmen die Kriegsmaschinerie Putins finanzieren würden. „Für Freiheit und Demokratie in Europa ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir Putin herausfordern und sicherstellen, dass er in der Ukraine verliert“, sagte sie. Jaishankar vertrat hingegen die Ansicht, dass der Westen erkennen und akzeptieren müsse, dass sich die Macht in der Welt verteile.

Fachleute orten wegen des Ukraine-Kriegs die Wiederherstellung der binären Weltordnung. In einer Analyse des Economist Intelligence Unit hieß es zuletzt, dass fast ein Drittel der Weltbevölkerung in einem Land lebe, das bisher neutral geblieben ist. „Angeführt von Indien werden diese bündnisfreien Staaten – darunter Brasilien, Saudi-Arabien, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate – alles daran setzen, sich nicht für eine Seite zu entscheiden, und gleichzeitig versuchen, von ihrer scheinbaren Neutralität zu profitieren.“