Musikerin Rosalia
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Beats und Message

Diesen Popheldinnen gehört der Frühling

Mit ihrem Album „Motomami“ erobert die Spanierin Rosalia gerade die Welt. Ihr wilder Stilmix vermengt Flamenco mit pulsierendem Reggaeton und großem Popgespür. Das klingt einzigartig und ist eines der interessantesten Alben des bisherigen Jahres. Auch unabhängig von Rosalia sind es vor allem die Twenty-Something-Popheldinnen, die dieses Frühjahr aufzeigen: ORF.at mit einer Auswahl, die es zu entdecken lohnt.

Rosalia ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Mit ihrem zweiten Album „El mal querer“ schaffte die im Umland von Barcelona geborene Sängerin Ende 2018 den Durchbruch. Darauf gab es eine ureigene Mischung aus R&B und Pop zu hören, die mit traditionellen Flamenco-Rhythmen gepaart wurde. Das klang nicht nur revolutionär, sondern war es auch.

Rosalia wurde in kürzester Zeit zur strahlenden Ikone der spanischsprachigen Musik, gewann zahlreiche Latin-Grammys und arbeitete daraufhin mit absoluten Größen der Branche, etwa The Weeknd und den Latin-Music-Stars Bad Bunny und J. Balvin zusammen. Mit „Motomami“ hat Rosalia vor Kurzem ihr drittes Album vorlegt, mit dem sie ihre Genresymbiose fortsetzt.

„Schmetterling“ mit Motorradgang

Ihr Art-Pop klingt nun deutlich mehr nach Reggaeton, einer aus Lateinamerika stammenden Spielart von Hip-Hop. Allerdings ist das bei Rosalia nie langweilig, bricht sie doch mit sämtlichen Genre- und überhaupt Popkonventionen: Ihre Singles „Saoko“ und „Chicken Teriyaki“ sind beide nur knapp über zwei Minuten lang und hören dann auf, wenn man sich als Hörerin und Hörer gerade an die grandiose Reizüberflutung gewöhnt hat.

In „Saoko“, dem Opener des Albums, stellt die wandlungsfähige Spanierin gleich ihre Message klar: „Yo soy muy mia, yo me transformo / Una mariposa, yo me transformo“ rappt sie auf dem Song, was übersetzt heißt: „Ich bin sehr wohl ich, ich verwandle mich / Ein Schmetterling, ich verwandle mich“.

Dass es nicht allein beim Schmetterling bleibt, wird im Titelsongvideo „Motomami“ deutlich: Rosalia trifft sich da mit ihrer Girlgang an einer Tankstelle, tankt die Motorräder voll und düst auf den Maschinen los – aufgestellte Vorderreifen, glühendes Profil inklusive. Nach der Bedeutung des Albumtitels wurde Rosalia neulich bei ihrem ersten US-Talkshow-Auftritt bei Jimmy Fallon gefragt. Sie antwortete: „Ich denke, dass ‚Motomami‘ eine Energie ist.“

Sängerin Charli XCX
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Bevor Charli XCX mit ihrem retrofuturistischen Pop durchstartete, schrieb sie Songs für Britney Spears und Gwen Stefani

Nummern für das Tanzbein

Ordentlich Energie hat auch das neue Album von Charli XCX. Mit „Crash“ liefert die Britin, die bürgerlich Charlotte Aitchinson heißt, alles andere als einen musikalischen Unfall: Charli XCX klingt auf „Crash“ poppig wie lange nicht, was allerdings nur die halbe Wahrheit ist. Denn ihr Pop ist gewissermaßen gebrochen, klingt einerseits „retro“, nach Disco und Synthiepop, ist andererseits aber voll in der Jetztzeit verhaftet.

In den letzten Jahren hat sich Charli XCX, ähnlich wie ihre Zeitgenossin Rosalia, als Innovatorin hervorgetan und mit ihrem Großwerk „Pop 2“ (2017) die Hyperpop-Bewegung popularisiert – gemeint ist damit exzentrischer Popsound, der auf verzerrte Bässe und hoch gepitchte, zeichentrickfigurenartige Stimmen setzt.

Textlich handelt „Crash“ oft von der Liebe, etwa von den „Good Ones“, die sie gehen ließ, und auch von der Sehnsucht nach der großen Liebe („Beg For You“). Musikalisch findet man ein treibendes Popalbum voller eingängiger Hits vor, wie etwa „Baby“, der nicht nur ins Ohr geht, sondern direkt ins Tanzbein schießt. Was Charli XCX auch in den Albumcharts reüssieren ließ: In Großbrittanien erreichte sie zum ersten Mal Platz eins, in den USA stieg „Crash“ immerhin auf Platz sieben der Billboard-Charts auf.

Schwelgerische Melodien aus Österreich

Eine ganz andere Form von Pop hört man bei der österreichischen Musikerin Maria Burger, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Oska. Müsste man ihrer Musik ein Genrepickerl geben, dann wäre es wohl Folk-Indie-Pop: Im letzten Jahr veröffentlichte sie mit „Honeymoon Phase“ ihre erste EP, diesen Februar folgte mit „My world, My love, Paris“ das Debütalbum der Singer-Songwriterin.

Sängerin Oska (Maria Burger)
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Maria Burger schrieb mit zwölf Jahren ihre ersten Songs, nun startet sie als 25-Jährige unter dem Namen Oska durch

Auf dem variantenreichen Album sind schwelgerische Folk-Balladen („Responsiblity“), aber auch verspielte Popnummern wie „Mona Lisa, a girl’s best friend“ zu finden, das sicherlich eines der Songhighlights darstellt. Das Album vereint raffinierte Songideen, wunderschöne Harmonien und eine erstaunliche Eingängigkeit. Der Musik fehlt es trotz der radiotauglichen Note keineswegs an Eindringlichkeit.

Manche von Oskas Liedern – darunter „Starstruck“, das ebenfalls hier zu finden ist – wurden bereits mehr als eine Million Mal bei Spotify abgespielt. Bei den diesjährigen Amadeus Austrian Music Awards ist sie gleich doppelt nominiert, nämlich in den Rubriken „Alternative“ sowie „Live Act des Jahres“. Zuletzt konnte man Oska im Rahmen des Ukraine-Benefiz-Konzerts auf dem Wiener Heldenplatz live bewundern.

Clemens Bäre solo mit Folk-Balladen

Mit ihr auf der Bühne stand dort auch der Gitarrist Clemens Bäre, der selbst das Soloprojekt doppelfinger verfolgt, mit dem er diesen März sein Debütalbum „by design“ veröffentlichte. In seinen akustischen Folk-Balladen widmet sich der Österreicher Themen wie mentaler Gesundheit („seasonal affective disorder“) und der Sehnsucht nach Zufluchtsorten („place to go“). Instrumentiert ist das meist mit Akustikgitarre, oft auch – ganz in alter Folk-Tradition – mit Mundharmonika. Auf Songs wie „seasonal affective disorder“ hört man auch ein Cello (gespielt von Lukas Lauermann).

Die Musik von doppelfinger wirkt unmittelbar und lebt von einer besonderen Intimität. Und obwohl er sich in seinen Texten düsteren Themen widmet, wirken seine Lieder doch zu keiner Zeit hoffnungslos. Hier fühlt man sich etwa an den Indie-Helden Sufjan Stevens und sein großes Album „Carrie & Lowell“ (2015) erinnert, aber auch an die Solowerke der New Yorker Musikerin Adrianne Lenker: Wie die beiden Acts meistert auch doppelfinger den schmalen Grat zwischen lyrischer Schwere und musikalischer Leichtigkeit und legt so ein grandios konzipiertes und toll produziertes Debüt vor.

20-mal Experimentierfreude

Neues gibt es auch von der eben erwähnten Singer-Songwriterin Lenker, konkret von ihrem Brooklyner Indie-Folk-Quartett Big Thief. Nach vier Alben, die in den letzten Jahren zahlreiche Bestenlisten schmückten, folgte diesen Februar Album Nummer fünf.

Die Frontfrau der Band „Big Thief“, Adrianne Lenker
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Adrianne Lenker ist die Frontfrau des New Yorker Indie-Folk-Quartetts Big Thief

Unter dem kryptischen Titel „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“ hat dieses allerhand musikalische Ausflüge zu bieten: Da klingt mal Country-Folk („Spud Infinity“) an, mal Art-Rock („Blurred View“), mal der gewohnte Indie-Folk („No Reason“). Der Experimentierfreude wurde auf dem 20 Songs starken und 80 Minuten langen Doppelalbum keine Grenze gesetzt. Besonders heraus sticht etwa „Little Things“, ein treibender Indie-Rock-Track, der klangtechnisch an die frühen 90er erinnert.

Zweites Platte als Vermächtnisalbum

Ihr musikalisches Handwerk beherrscht auch die Band Black Country, New Road aus dem britischen Cambridgeshire. Das junge Kollektiv veröffentlichte erst 2021 das gefeierte Debüt „For the First Time“, auf dem Post-Punk, Jazz und Experimental-Rock zusammenfanden. Im Februar dieses Jahres folgte dann schon das Zweitwerk.

„Ants from Up There“ ist eine logische Weiterentwicklung geworden und hat einen merklich wärmeren Sound zu bieten. Das Repertoire wurde um Einflüsse aus Art-Rock, Post-Rock und Barock-Pop erweitert. Der Gesang von Frontman Isaac Wood wirkt kathartisch und erinnert an wichtige Indie-Stimmen der 2000er Jahre wie Win Butler (Arcade Fire) und Conor Oberst (Bright Eyes), ist auf der Platte aber leider zum letzten Mal zu hören.

Wenige Tage vor der Albumeröffentlichung ist Wood aus Gründen der psychischen Gesundheit aus der Band ausgetreten, wie es in einem Statement von Black Country, New Road heißt. Die bereits geplante Tour wurde zunächst abgesagt; vor ein paar Tagen wurde allerdings verkündet, dass die Band trotz des Abgangs touren wird. Mit „Ants from Up There“ hat die vormals siebenköpfige Formation jedenfalls wohl eines der Alben des Jahres abgeliefert. Es besticht durch einen ureigenen Sound und einen Reichtum an Highlights.

Eines von ihnen ist die schwelgerische und gleichzeitig krachige Art-Rock-Nummer „Concorde“, deren Text, inspiriert vom gleichnamigen Überschallflugzeug, unerreichbare Ziele und mentale Gesundheit verhandelt. Von Rosalia bis Black Country, New Road erweist sich das bisherige 2022 als musikalische Blütezeit, die für Freundinnen und Freunde verschiedenster Genres einen ansprechenden Frühlingssoundtrack bereithält.