Russische Botschaft in Talllinn
APA/AFP/Raigo Pajula
„Europäische Initiative“

Ausweisungen nach Berichten aus Butscha

Nach dem Massaker an Zivilisten in Butscha haben am Montag mehrere EU-Länder mit der Ausweisung von russischen Diplomaten reagiert. Deutschland weist 40 „unerwünschte Personen“ aus, auch Frankreich will nach Insiderinformationen über 30 Diplomaten ausweisen. Paris sprach von einer „europäischen Initiative“. Moskau stellte eine „harte Reaktion“ in Aussicht.

Die in Deutschland zu „unerwünschten Personen“ erklärten russischen Diplomaten arbeiten nach Angaben aus Berlin alle den Geheimdiensten ihres Landes zu. „Wir haben 40 Personen ausgewählt, die wir den russischen Nachrichtendiensten zurechnen“, so Innenministerin Nancy Faeser am Montagabend. „Wir haben entschieden, dass diese 40 Personen nun schnellstens unser Land verlassen müssen“, fügte sie hinzu. Das sei „ein weiterer konsequenter Schritt gegen die russische Führung, die einen entsetzlich brutalen Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führt“.

„Der Botschafter der Russischen Föderation wird Litauen verlassen müssen“, erklärte unterdessen Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis. Er verwies auf den russischen Angriff auf die Ukraine sowie „die Gräueltaten der russischen Streitkräfte in verschiedenen besetzten ukrainischen Städten, einschließlich des schrecklichen Massakers von Butscha“.

Medwedew nennt Ausweisungen „sinnlos“

Am Abend kündigte der frühere russische Präsident, Dmitri Medwedew, eine harte Reaktion an. „Es wird symmetrisch und destruktiv für die bilateralen Beziehungen sein“, schrieb der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates in seinem Telegram-Kanal. Die Ausweisung von Diplomaten als Druckmittel sei eine Gepflogenheit, die „sinnlos“ sei und „ins Leere“ führe.

„Die unbegründete Reduzierung des diplomatischen Personals der russischen Vertretungen in Deutschland wird den Raum für die Aufrechterhaltung des Dialogs zwischen unseren Ländern verengen, was zu einer weiteren Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen führen wird“, schrieb die russische Vertretung in Deutschland auf Telegram.

Biden fordert „Kriegsverbrecherprozess“

US-Präsident Joe Biden forderte einen „Kriegsverbrecherprozess“ und kündigte weitere Sanktionen gegen Russland an. Biden bezeichnete den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag erneut als „Kriegsverbrecher“ und die Vorkommnisse in Butscha als „Kriegsverbrechen“, die einen „Kriegsverbrecherprozess“ nach sich ziehen müssten. Zunächst müssten aber zusätzliche Informationen gesammelt werden.

Russische Streitkräfte seien nach Aussagen des Pentagon-Sprechers John Kirby „offensichtlich“ für die Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha verantwortlich. Gleichzeitig gab das Pentagon zu, dass es noch nicht sicher ist, welche Einheiten genau in dem Gebiet eingesetzt worden sind.

„Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt, dass russische Kräfte für die Gräueltaten in Butscha verantwortlich sind“, so Kirby bei einer Pressekonferenz. „Wer genau – welche Einheiten, ob es Auftragnehmer oder Tschetschenen sind –, können wir im Moment nicht sagen. Aber wir bestreiten sicher nicht, dass diese Gräueltaten stattgefunden haben und von den Russen verübt wurden.“

Prozess vor internationalem Gericht „unwahrscheinlich“

Der ehemaliger Vizepräsident am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH), Cuno Tarfusser, sagte in der ZIB2 am Montagabend, dass es „unwahrscheinlich“ sei, dass sich der Verantwortliche für den Krieg in der Ukraine vor einem internationalen Gericht müsse. Im Hinblick auf den Krieg in Europa sagte er aber auch: „Was heute unwahrscheinlich ist, kann morgen wahrscheinlich sein.“ Obwohl Russland die internationalen Gerichte nicht anerkennt, verteidigte er die Ermittlungen – diese könnten die Bewegungsfreiheit von Betroffenen stark einschränken, so Tarfusser.

Tarfusser über Butscha

Der ehemaliger Vizepräsident am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH), Cuno Tarfusser, sprach in der ZIB2 über die Ereignisse in Butscha.

Frankreich und GB für schärfere Strafmaßnahmen

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte am Montag ebenso wie die britische Außenministerin Liz Truss härtere Strafmaßnahmen gegen Russland. Diesmal solle man auch Öl und Kohle aus Russland ins Visier nehmen, sagte Macron. Auch Japan und die deutsche Bundesregierung bekannten sich zu weiteren Maßnahmen.

Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck lehnte allerdings ein sofortiges Energieembargo gegen Russland weiter ab. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sprach sich am Montag im Ö1-Mittagsjournal gegen ein Embargo für russisches Gas aus. „Wir haben immer gesagt bei Sanktionen, dass sie diejenigen treffen sollen, auf die man abzielt, und nicht auf uns zurückfallen sollen als Bumerang“, so Schallenberg. Das wäre bei Gaslieferungen der Fall.

Brunner: Mit Deutschland einig

Österreich stehe bei der Frage zu 100 Prozent an der Seite Deutschlands, sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) vor einem Treffen der Euro-Gruppe am Montag in Luxemburg. Sanktionen seien nur sinnvoll, wenn sie einen selbst nicht mehr träfen als den zu Treffenden, so Brunner. Man müsse einen kühlen Kopf bewahren, besonders bei einem Gasembargo. Mittelfristig sei das Ziel, unabhängiger zu werden. „Aber es wäre unrealistisch zu sagen, dass wir von heute auf morgen umstellen könnten.“ Stattdessen schlug Brunner vor, die Liste von sanktionierten Personen und Organisationen auszuweiten.

Die EU-Kommission schließt ein Embargo für russische Energieimporte nach Angaben ihres Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis nicht aus. „Was die Europäische Kommission betrifft, ist nichts vom Tisch“, sagte Dombrovskis am Rande des Treffens der Euro-Gruppe. Die Kommission arbeite bereits am nächsten Sanktionspaket, und er hoffe, dass sich die Mitgliedsstaaten auf ehrgeizige nächste Schritte bei Sanktionen einigen könnten, sagte der lettische Politiker. „Es ist klar, dass wir als Europäische Union mehr machen müssen, um diesen Krieg und diese Gräueltaten zu stoppen.“

Strafzoll als Lösung?

Eine Analyse des Sachverständigenrates Conseil d’Analyse Economique, der dem Büro des französischen Regierungschefs unterstellt ist, kam unterdessen zum Schluss, dass ein spürbarer EU-weiter Zoll auf russische Energieimporte wirksamer sei als ein komplettes Einfuhrverbot. Ein Strafzoll von 40 Prozent würde die Einfuhrmengen um etwa 80 Prozent senken, hieß es in der am Montag veröffentlichten Stellungnahme. Die verbleibenden 20 Prozent würden an die Länder gehen, die am stärksten von den russischen Lieferungen abhängig seien. Dazu zählt neben Österreich, das 80 Prozent seines Gases aus Russland bezieht, etwa das EU-Schwergewicht Deutschland.