Polizisten während der Räumung des Protescamps in Wien-Donaustadt
ORF/Julia Korponay-Pfeifer
Stadtstraße

Weiteres Protestcamp in Wien geräumt

Die Polizei hat am Dienstag in Wien-Donaustadt das letzte Protestcamp gegen die geplante Stadtstraße geräumt. Es kam zu mehreren Festnahmen. Die ASFINAG hatte die Polizei nach eigenen Angaben davor ersucht, das Camp in der Hirschstettner Straße zu räumen, „um die Bautätigkeiten ohne Gefährdung von Personen fortsetzen zu können“. „LobauBleibt“-Aktivistinnen und -Aktivisten und die Umweltschutzorganisationen übten heftige Kritik. Lob kam vonseiten der FPÖ und der ÖVP.

„Mittlerweile wurde das gesamte Areal geräumt, und es befinden sich keine Personen mehr am Gelände“, teilte die Wiener Polizei am Nachmittag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit. Polizeisprecherin Barbara Gass bestätigte das der APA wenig später: 25 Aktivistinnen und Aktivisten wurden ihr zufolge wegen diverser Verwaltungsübertretungen vorübergehend festgenommen.

Das Ganze sei „weitgehend friedlich“ vonstattengegangen, Delikte nach dem Strafgesetzbuch, etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt, nach aktuellem Wissensstand nicht gesetzt worden.

„Die Situation war nicht ungefährlich“

Seitens der Aktivistinnen und Aktivisten hieß es am Nachmittag, es wären die letzten Protestierenden vom Gelände gebracht worden. Zwei Personen seien mit Hilfe eines Baggers aus einem Erdloch geholt worden. „Die Situation war nicht ungefährlich“, berichtete „LobauBleibt“-Sprecherin Anna Kontriner. Zum Glück sei nichts passiert. „Der Widerstand ist ungebrochen“, sagte sie.

Aktivistinnen und Aktivisten hätten mittlerweile eine unweit des geräumten Camps gelegene Baustelle in der Anfanggasse besetzt, teilte Kontriner mit. Die Polizei konnte das vorerst nicht bestätigen. Laut Kontriner fanden sich 100 Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Gelände, einer ehemaligen Wiese, die planiert wurde, ein und nahmen Baufahrzeuge in Beschlag, wie in sozialen Netzwerken veröffentlichtes Bildmaterial zeigte.

„Bürgermeister Ludwig muss endlich einsehen, dass wir unräumbar sind und seine klimazerstörende Autobahnpolitik niemals hinnehmen werden“, so Lucia Steinwender, Sprecherin von „LobauBleibt“, nach der Neubesetzung der Baustelle. „Lässt er uns räumen, kommen wir wieder, bis er endlich Ernst macht mit der Umsetzung des Klimafahrplans und den WienerInnen nicht länger ins Gesicht lügt.“ Für den Abend kündigten „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ und die „LobauBleibt“-Bewegung einen Protest vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße an.

Räumung begann am Vormittag

Laut Polizeisprecherin Gass sagte die Exekutive gegen 10.00 Uhr die behördliche Auflösung der Versammlung durch und forderte die Aktivistinnen und Aktivisten auf, das Gelände zu verlassen. Nach Ablauf einer gewissen Frist startete man die zwangsweise Räumung. Gass zufolge rechneten die Einsatzkräfte mit etwa 15 bis 20 Demonstrierenden „im Aktionsraum“. Allerdings war diese Schätzung mit großer Unsicherheit behaftet. Der Exekutive standen nur Luftaufnahmen zur Verfügung.

Auf dem Gelände hatten die Protestierenden nicht nur Holzhütten errichtet, sondern auch Erdhöhlen gegraben. Letzteres erschwerte das Vorgehen der Polizei. Die Aktivisten aus den Erdhöhlen zu entfernen gestaltete sich insofern schwierig, als mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden musste, da im Falle zu starker Erschütterungen die Gefahr bestand, dass das Erdreich nachgab.

Die Polizei bei der Räumung eines Protestcamps von Umweltschützern in Wien-Donaustadt
APA/Tobias Steinmaurer
Großeinsatz der Polizei

Die Polizei ging nach Informationen der APA schließlich dergestalt vor, dass händisch nach Protestierenden gegraben wurde. Eine Aktivistin berichtete der APA, es befänden sich zur Unterstützung der Polizei auch Bauarbeiter auf dem Gelände – mehr dazu in wien.ORF.at . Im Einsatz waren rund 400 Beamtinnen und Beamte, unter anderem die WEGA.

Kein Zutritt für Medienvertreter

Medienvertretern blieb der direkte Zugang zum Protestcamp verwehrt. Die Hirschstettner Straße war mit Polizeiabsperrungen blockiert, ein beachtliches Aufgebot der Exekutive ließ auch zwei Dutzend Protestierende nicht passieren, die sich vor den Gittern eingefunden hatten und die daher eine spontane Kundgebung mit Gitarrenbegleitung abhielten.

Auch etliche Securitys der ASFINAG waren im Einsatz, die nach Darstellung der ASFINAG ein Baubüro beschützt hätten, in dem sich kritische Infrastruktur befinde. Securitys waren aber auch auf der gesperrten Autobahnabfahrt zugegen und mit ihren gelben Warnwesten gut im Umkreis des abgeriegelten Protestcamps zu sehen.

ASFINAG verweist auf vertragliche Verpflichtungen

Lena Schilling, die Sprecherin von „LobauBleibt“, hatte zuletzt noch mit einer Räumung im März gerechnet. Die ASFINAG, der die betroffenen Baustellen gehören, hatte das in der vergangenen Woche dementiert und betont, weiterhin auf Dialog zu setzen.

Nun wies die ASFINAG darauf hin, dass man die Bautätigkeit aufgrund von vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Stadt Wien fortsetzen müsse. „Eine verhältnismäßige und deeskalierende Vorgehensweise im Sinne des Dialogs der vergangenen Monate“ sei dabei ein zentrales Anliegen. „Ein umsichtiges Vorgehen und ein respektvoller Umgang mit den Aktivistinnen und Aktivisten waren und sind uns wichtig“, sagte ASFINAG-Sprecherin Petra Mödlhammer. Auch Gass sagte, dass man so deeskalierend wie möglich vorgehen wolle.

Im Übrigen sei die Neugestaltung der bereits bestehenden Anschlussstelle Hirschstetten auf der Südosttangente (A23) ein „Umbau“, kein „Neubau“. Gewährleistet werde dadurch auch, dass der tägliche Stau im Ampelbereich der Hirschstettner Straße reduziert werde und damit auch die Lärm- und Abgasbelastung für die Anrainerinnen und Anrainer abnehme. Die Wiederaufnahme der Arbeiten an dieser „Bestandsbaustelle“ sei dem Ende der Winterpause geschuldet, hieß es von der ASFINAG weiter, ab Ende März beginne man im städtischen Bereich wie jedes Jahr wieder mit den vorgesehenen Tätigkeiten.

SPÖ Wien: Gewessler für Räumung verantwortlich

Seitens der Stadt Wien wollte man die Räumung nicht kommentieren. Diese sei „Angelegenheit der ASFINAG“, wie es aus dem Büro von Verkehrssprecherin Ulli Sima (SPÖ) hieß. „Nicht die Stadt Wien, sondern die ASFINAG und damit die für diese zuständige grüne Verkehrsministerin ist für die heutige Räumung der besetzten Stadtstraßenbaustelle verantwortlich“, so SPÖ-Verkehrsausschussvorsitzender Erich Valentin in einer Aussendung. Ob Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Vorfeld das Gespräch mit den Protestierenden gesucht hat, sei „nicht bekannt“.

Es sei „erfreulich, dass die ASFINAG und damit die Verkehrsministerin ihren Verpflichtungen nachkommt und ihren Teil des Stadtstraßenprojekts umsetzt“, so Valentin. Gewessler habe im Zuge ihrer Evaluierung „bekanntlich grünes Licht für die Gemeindestraße gegeben“. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) wollte sich am Rande einer Pressekonferenz zur Räumung nicht konkret äußern. „Die Stadtstraße muss kommen“, sagte er unter Verweis auf vertragliche Verpflichtungen. Nun gelte es, die Gegner des Projekts „in bestmöglichem Diskurs“ zu überzeugen.

Global 2000 beklagt „rückständige Verkehrspolitik“

Kritik kam von Global 2000 und Greenpeace. „Die Räumung unterstreicht erneut die rückständige Verkehrspolitik der Stadt Wien in der Donaustadt. Nach Absage des Lobau-Tunnels wäre es nur logisch, die Pläne der Stadtstraße zu prüfen und dem tatsächlichen Bedarf anzupassen“, kritisierte Agnes Zauner, Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation.

„Wieder wird mit einer Übermacht an Polizei völlig unverhältnismäßig überreagiert, wieder wird versucht, die warnenden Stimmen der Jugend mundtot zu machen. Ausgerechnet am Tag, nachdem der Weltklimabericht die dramatischen Folgen der fehlgeleiteten Klima- und Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte in unmissverständlichen Worten aufgezeigt hat, ist diese Räumung an Zynismus kaum zu überbieten“, sagte Klara Maria Schenk, Klima- und Verkehrsexpertin bei Greenpeace Österreich, in einem Statement.

„Historischer Fehler“: Grünen-Sprecher kritisiert Ludwig

Bürgermeister Ludwig halte wider besseres Wissen am klimafeindlichen Projekt seiner Stadtautobahn fest, „damit erzwingt er jetzt auch die Räumung des zweiten Klimacamps. Das wird sich als historischer Fehler erweisen“, sagte der Klimaschutzsprecher der Grünen, Lukas Hammer. Die ASFINAG sei zur Herstellung des Anschlusses zur A23 vertraglich verpflichtet und müsse dieser Aufforderung der Stadt Wien nachkommen, nur diese könnte das absagen.

FPÖ und ÖVP zufrieden

Zustimmung kam hingegen vom FPÖ-Verkehrssprecher im Wiener Rathaus, Anton Mahdalik – die verzögerten Bauarbeiten hätten einen Schaden von über 22 Mio. Euro für die Steuerzahler verursacht. Die Ortsteile Aspern, Breitenlee, Essling, Neu-Essling, Hirschstetten und Stadlau würden durch diese Entlastungsstraße insgesamt über 40.000 Autos weniger pro Tag und somit ein deutliches Minus an Lärm-, Abgas- und Feinstaubbelastung verzeichnen. Über 100.000 Menschen könnten so ab 2025 „im wahrsten Sinne des Wortes aufatmen“.

Auch die ÖVP gab sich zufrieden – mit der Räumung sei die „rechtswidrige Besetzung endlich beendet“ worden. Nun müssen die rechtsstaatlich zugesicherten Baumaßnahmen vorangetrieben werden, es darf keine Zeit mehr verloren werden“, sagte die Wiener ÖVP-Verkehrssprecherin und Gemeinderätin Elisabeth Olischar.

Das Protestcamp auf einer Baustelle in der Hausfeldgasse, die im Eigentum der Stadt Wien ist, wurde bereits am 1. Februar geräumt. Im Zuge eines stundenlangen Einsatzes wurden insgesamt 48 Personen vorläufig festgenommen, der Großteil nach dem Verwaltungsstrafgesetz.