Ein Satellitenbild zeigt zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in Butscha
Reuters/Maxar Technologies
Massaker in Butscha

Recherchen widerlegen russische Aussagen

Russland behauptet, mit den Hunderten toten Zivilisten in der Stadt Butscha nichts zu tun zu haben – und wirft der Ukraine und dem Westen vor, die Bilder und Videos inszeniert zu haben. Internationale Experten sollen nun untersuchen, ob es sich um Kriegsverbrechen handelt. Doch schon jetzt zeigen Satellitenbilder und Recherchen mehrerer Medien, dass die Behauptungen Russlands nicht wahr sein können.

Am Montag veröffentlichte US-Satellitenbilder bestätigen, dass einige der im Kiewer Vorort Butscha gefundenen Leichen schon vor Abzug der russischen Truppen dort lagen. Die „hochauflösenden“ Bilder „bestätigen die jüngsten Videos und Fotos in sozialen Netzwerken, auf denen Leichen zu sehen sind, die seit Wochen auf der Straße liegen", sagte ein Sprecher der US-Satellitenbildfirma Maxar Technologies. Russland bestreitet die Gräueltaten und spricht von" Fälschungen“.

Auf den Satellitenbildern einer Straße in Butscha von Mitte März sind mehrere Leichen mutmaßlicher Zivilisten zu sehen, die auf oder neben der Fahrbahn liegen. An dieser Stelle hatten ukrainische Beamte nach dem Rückzug der russischen Truppen Anfang April mehrere Leichen gefunden. Davon existieren auch Videos, die in sozialen Netzwerken zirkulieren.

Satellitenbilder stimmen mit Videos überein

AFP-Fotografen hatten bei einem Besuch am Samstag rund 20 Leichen in Zivilkleidung gesehen – einige davon mit gefesselten Händen. Die Maxar-Satellitenbilder vom 19. und 21. März zeigen, dass sich bereits zu diesem Zeitpunkt mehrere Leichen auf der Jablonska-Straße in Butscha befanden.

Die „New York Times“ und die BBC verglichen die Satellitenbilder mit diversen Aufnahmen von ukrainischen Beamten und internationalen Medien und bestätigten, dass sich einige der Leichen bereits Wochen vor dem russischen Abzug in der gezeigten Position befunden hatten. Auch ein Massengrab nahe einer Kirche in Butscha ist schon auf älteren Satellitenbildern zu sehen.

Satellitenbild von Butscha
Reuters/Maxar Technologies

Falsche Zeitangaben

Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete die Bilder als „Fälschungen“: Die Leichen seien noch nicht dort gewesen, als die russischen Streitkräfte am 30. März abgezogen waren. Nur: Dass Russland am 30. abgezogen ist, wurde erst am 3. April behauptet – zugleich heißt es aus russischen offiziellen Stellen und Staatsmedien, dass erst an diesem Tag die Gräuelbilder bekanntgeworden seien. Damit wird suggeriert, die Ukraine hätte Tage Zeit gehabt, das Massaker zu inszenieren, um Propaganda in den westlichen Medien zu verbreiten.

„Soldaten des 72. ukrainischen Hauptzentrums für psychologische Einsätze führten am 4. April in einem Dorf 23 Kilometer nordwestlich von Kiew eine weitere Inszenierung von Filmaufnahmen von Zivilisten durch, die angeblich durch das gewaltsame Vorgehen der russischen Streitkräfte getötet wurden“, teilte das russische Verteidigungsministerium mit.

Tatsächlich hatte das russische Verteidigungsministerium noch am 31. März verlautet, man habe Butscha und mehrere andere Orte noch unter Kontrolle. Und mehrere kremlnahe Medien berichteten das auch noch am 1. April, wie Recherchen von „Newsweek“ und der Rechercheplattform Bellingcat zeigen. Die ersten Gräuelbilder tauchten dann bereits am 1. April auf.

Russland sieht „nur Lügen“

Russlands Duma-Präsident Wjatscheslaw Wolodin und der ehemalige russische Präsident und Putin-Vertraute Dmitri Medwedew sprachen nach den Leichenfunden in Butscha von einer „Provokation“, die darauf abziele, Russland zu diskreditieren. „Washington und Brüssel sind die Drehbuchautoren und Regisseure und Kiew der Schauspieler. Es gibt keine Fakten, nur Lügen.“

Aus dem Verteidigungsministerium hieß es zudem, ähnliche Ereignisse seien von ukrainischen Spezialkräften in Sumy, Konotop und anderen Städten organisiert worden. Das lässt Befürchtungen wachsen, was in jenen Orten, die noch nicht von der Ukraine gesichert sind, zu finden sein wird.

„Bewegte Leichen“ als Spiegelungen

Auch weitere von russischer Seite ins Treffen geführte angebliche „Beweise“ stellten sich als falsch heraus. So wurde behauptet, in Videos hätten sich die von Schauspielern dargestellten Leichen bewegt. BBC und Bellingcat entlarvten die angeblichen Bewegungen als Tropfen auf einer Kamera bzw. als Spiegelungen. Auch die russische Behauptung, die Leichenstarre habe noch nicht eingesetzt, und die Menschen seien erst nach dem russischen Abzug gestorben, wurde von der BBC mit Experten widerlegt.

„Haben auf alles geschossen, was sich bewegt“

Abgesehen von den Bildbeweisen gibt es in Butscha und anderen Orten auch viele Augenzeugen, die die Gräueltaten bestätigen. „Meine Leute wurden aus Spaß oder aus Wut erschossen“, sagte der Bürgermeister von Butscha, Anatoli Fedoruk, der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“. „Die Russen haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat: Passanten, Leute auf Fahrrädern, Autos mit der Aufschrift ‚Kinder‘. Butscha ist die Rache der Russen für den ukrainischen Widerstand.“

OHCHR-Sprecherin: Direkter Angriff auf Zivilisten

Videoaufnahmen aus Butscha und anderen ukrainischen Gebieten zeigen „alle Anzeichen“, dass Zivilisten „direkt angegriffen und direkt getötet“ wurden, so die Sprecherin des UNO-Menschenrechtsbüros (OHCHR), Liz Throssell. Es könne argumentiert werden, dass es einen „militärischen Kontext“ gebe, wenn Gebäude von Granaten, Bombardierungen und Artillerieangriffen getroffen würden. Aber es sei schwer, einen solchen Kontext zu sehen, in dem „eine Person mit einer Kugel im Kopf auf der Straße liegt oder ihre Körper verbrannt werden“, so Throssell weiter.

Weil Russland militärisch nicht weitergekommen sei, „wurde eine Safari auf Zivilisten organisiert“, sagte er. Teile der Stadt seien „in ein Konzentrationslager umgewandelt worden“, ohne Essen und Wasser. „Wer sich da rauswagte, um Nahrung zu suchen, der wurde erschossen.“

Moskau streitet das ab und behauptet, die Stadt bereits am 30. März verlassen zu haben. Russland wirft den Ukrainern Vertuschung vor. Fedoruk etwa habe in seiner ersten Nachricht am 1. April über die Befreiung Butschas die vielen Leichen noch nicht erwähnt. „Absurd“, sagte der Bürgermeister dazu dem „Corriere“. „Die Stadt war über Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Erst als wir sie befreit hatten, konnten wir sehen, was passiert ist, und die Ausmaße des Horrors begreifen. Sobald ich das gesehen habe, hab ich es erzählt.“