Ungarisches Parlament
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Rechtsstaatsmechanismus

EU startet Verfahren gegen Ungarn

Als erster EU-Mitgliedsstaat muss sich Ungarn einem Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit stellen. Das kann zu einer Kürzung von EU-Mitteln führen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Dienstag an, dass die EU-Kommission den ersten Schritt des Rechtsstaatsmechanismus umsetzen werde. Die ungarischen Behörden seien bereits informiert.

„Bei Ungarn, wir haben uns sehr klar ausgedrückt, ist das Problem Korruption“, sagte von der Leyen. Man sei derzeit nicht in der Lage, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Im EU-Parlament erntete von der Leyen für ihre Ankündigung Applaus. Damit Ungarn tatsächlich EU-Mittel gekürzt werden, bedarf es im letzten Schritt noch der Zustimmung von mindestens 15 der EU-Staaten mit 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Vorher hat Budapest mehrfach die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

Der EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft. Er soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geldern droht. Blockiert sind von der EU-Kommission etwa die Mittel aus dem CoV-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ für Polen und Ungarn – ebenfalls wegen Zweifeln an der rechtsstaatlichen Verwendung.

Von der Leyen im EU-Parlament
AP/Jean-Francois Badias
Von der Leyen kündigte den ersten Schritt des Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn an

„Könnte schon zu spät sein“

Die EU-Parlamentarier und -Parlamentarierinnen machen schon seit Längerem Druck auf die EU-Kommission, den Rechtsstaatsmechanismus einzuleiten. Wegen der Zögerlichkeit der Kommission wurde sie sogar vom EU-Parlament vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt. Das Verfahren läuft noch. Entsprechend positiv wurde im EU-Parlament nun dieser Schritt vom Dienstag aufgenommen.

„Für Ungarns Demokratie könnte es aber schon zu spät sein“, so der deutsche Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Die EU-Kommission habe den richtigen Zeitpunkt für ein konsequentes Vorgehen gegen Orban um Jahre verpasst. Auch die Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament, Monika Vana, bezeichnete den Schritt als „längst notwendig“. Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sprach von einer „guten Nachricht für die Demokratie in Europa“.

Ungarn spricht von „Fehler“

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban könnte sich in seinem Kurs allerdings bestärkt fühlen. Seine rechtsnationale FIDESZ gewann bei der Parlamentswahl am Sonntag deutlich. Die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erreichte Orban zum vierten Mal in Folge. Nach dem Wahlsieg Orbans sei ein weiterer Missbrauch von EU-Geldern in Ungarn zu befürchten, sagte die SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath. Die EU-Kommission habe „viel zu lange zugeschaut“ und sei „definitiv mit schuld an der Situation“.

Die ungarische Regierung beschuldigte Brüssel, „einen Fehler zu begehen“. Orbans Kabinettschef Gergely Gulyas forderte die Europäische Kommission am Dienstag auf, „die ungarischen Wähler nicht dafür zu bestrafen, dass sie bei der Wahl am Sonntag, die von der Regierungspartei deutlich gewonnen wurde, keine Meinung nach dem Geschmack von Brüssel geäußert haben“.

Hahn: Kein „Freibrief“ für Polen

Im Februar hatte der EuGH Klagen von Ungarn und Polen gegen den Rechtsstaatsmechanismus zurückgewiesen. Dadurch wurde der Weg für die EU-Kommission frei, diesen Mechanismus einzuleiten. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn hatte schon in einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ zuvor diesen Schritt angekündigt. Für Polen sehe er derzeit keine Anwendungsmöglichkeit, da es sich dort um Probleme innerhalb des Justizsystems handle.

Hahn legte auch Wert auf Trennung zwischen der Solidarität Polens mit ukrainischen Flüchtlingen und dem Rechtsstaatskonflikt. „Die Leistung insbesondere Polens bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ist ohne Abstriche anzuerkennen, aber das kann nicht heißen, dass es rechtsstaatlich einen Freibrief erhält.“