Flüssiggastanker
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Run auf Flüssiggas

Europas Bedarf stellt Markt auf den Kopf

Angesichts des Ukraine-Krieges hat sich in Europa die Nachfrage nach Flüssiggas (LNG) aus den USA vervielfacht. Dieses soll zumindest einen Teil der Gaslieferungen aus Russland ersetzen. Auf dem ohnehin höchst angespannten Markt bringt das neue Konkurrenz – und zwar mit asiatischen Staaten, die schon jetzt in hohem Maße auf Flüssiggas setzen.

Europa will den USA heuer 37 Milliarden Kubikmeter LNG abkaufen, im Vorjahr waren es 22 Milliarden. Langfristig soll die Menge sogar auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Damit könnte nach Angaben der EU-Kommission etwa ein Drittel der Gasimporte aus Russland ersetzt werden. Heuer sollen es immerhin ein Zehntel sein, wie EU und USA Ende März verkündeten. Mehrere EU-Staaten wollen nun im Eilverfahren Anlagen für die Nutzung von Flüssiggas bauen.

Dieses spielt in Europa aufgrund höherer Kosten und den Erfordernissen bei der Infrastruktur gegenüber russischem Gas aus der Pipeline eine nachrangige Rolle – so gibt es etwa nur 37 Terminals in Europa, über die das Flüssiggas überhaupt eingespeist werden kann. Wichtige Lieferanten waren bisher der weltgrößte Produzent Katar, Algerien und Nigeria, doch auch die USA haben in dem Bereich stetig an Bedeutung gewonnen.

Asiatische Staaten als große Abnehmer

Gleichzeitig haben die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren große Mengen Flüssiggas nach Asien verkauft. Zu den großen Kunden der USA gehören Südkorea, China, Indien und auch der weltgrößte Flüssiggasimporteur Japan.

In ganz Asien ist der Bedarf in den letzten Jahren gestiegen – in China hat sich der gesamte Flüssiggasbezug angesichts des starken Wirtschaftswachstums seit 2010 versiebenfacht, in Indien immerhin verdreifacht. Auch die globale Nachfrage hat in den vergangenen Jahren stark angezogen – unter anderem wegen der Abkehr von Kohle und Atomenergie, zuletzt auch wegen der wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie.

Nächtliche Ansicht der südkoreanischen Hauptstadt Seoul
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Südkorea ist derzeit der größte Abnehmer von US-Flüssiggas

USA am Limit

Mit dem Ukraine-Krieg erreicht diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt. Krux ist allerdings, dass die USA bei den Förderungen laut einer Analyse des Portals Quartz bereits an ihren Kapazitäten operiert. Angesichts dessen sei es unwahrscheinlich, dass die USA der EU mit dem neuen Deal entsprechende LNG-Mengen zur Verfügung stellen kann, ohne dass andere Abnehmer involviert werden.

Berichten zufolge sollen die USA schon Anfang Februar – also noch vor Ausbruch des Krieges – Japan angesichts seiner gut gefüllten Gasspeicher darum gebeten haben, im Fall eines Krieges Flüssiggaslieferungen aus den USA in die EU umzuleiten.

Nun sind die größten Teile der Flüssiggasexporte zwar in langfristigen Lieferverträgen gebunden, es wird aber erwartet, dass sich die Konkurrenz zwischen Europa und Asien an den kurzfristigen Märkten niederschlagen wird. Denn ein schneller Ausbau der Förderung zeichnet sich nicht ab, der Aufbau ist aufwendig und kostspielig. Unklar ist auch, wie rasch Europa tatsächlich eine entsprechende Infrastruktur für die Nutzung aufbauen kann.

Druck bei langfristigen Verträgen

Bereits vor dem Krieg sei das Angebot knapp und die Preise besonders volatil gewesen, so Analysten. Asiatische Importeure zeigen sich deswegen seit Kriegsausbruch laut Bloomberg auf den kurzfristigen Märkten zurückhaltend und würden – auf einen warmen Sommer oder einen Friedensschluss in der Ukraine spekulierend – eher auf ihre Speicher zurückgreifen. Gleichzeitig sei der Druck beim Abschluss von langfristigen Verträgen gewachsen.

Europäische Staaten zeigten sich hier unter anderem aus Gründen des Klimaschutzes zögerlicher. Flüssiggas wird in den USA meist mittels der Fracking-Methode gefördert. Dabei wird unter hohem Druck eine Flüssigkeit in den Boden gepresst, um das Gestein durchlässiger zu machen und Gas oder auch Öl fördern zu können. Kritiker warnen vor umweltschädlichen Emissionen und einer möglichen Gefährdung des Grundwassers. So will etwa der US-Bundesstaat Kalifornien Fracking ab 2024 verbieten.

Russische Energieträger bleiben Streitpunkt

Zwar läuft die Versorgung mit russischem Gas wie vereinbart, die EU-Staaten verhandeln aber weiterhin, wie es mit der Energieversorgung weitergehen soll. Mehrere Staaten sprechen sich klar gegen einen Boykott russischer Energie aus, darunter auch Österreich und Deutschland. Ihr Bezug sei derzeit alternativlos. Andererseits geht etwa EU-Ratspräsident Charles Michel davon aus, dass Strafmaßnahmen russisches Gas oder Öl betreffend an einem bestimmten Punkt notwendig sein werden.

Gleichzeitig herrscht derzeit Druck, bei den hohen Preisen genug Reserven aufzubauen. EU-Länder sollen laut einem Gesetzesvorschlag der Kommission sicherstellen, dass ihre Gasreserven dieses Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sind, und in den nächsten Jahren zu dem Stichtag zu 90 Prozent. Das soll die Gasversorgung sichern und Preisausschläge eindämmen.