Personen halten Poster des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in der nähe das saudischen Konsulats in Istanbul
AP/Emrah Gurel
Khashoggi-Mord

Türkei gibt Verfahren an Saudi-Arabien ab

Das Verfahren zur Aufklärung des Mordes an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi (Dschamal Chaschukdschi) ist de facto beendet. „Wir haben entschieden, den Fall an Saudi-Arabien zu übergeben“, teilte ein Gericht in Istanbul am Donnerstag mit. Dort haben die 26 Beschuldigten wenig zu befürchten. Die Klägerseite kündigte Berufung an.

Die türkische Justiz verhandelte den Fall seit Juli 2020. In dem Verfahren in Istanbul waren 26 saudische Staatsbürger in Abwesenheit angeklagt, darunter ein Ex-Berater des Kronprinzen und der ehemalige Vizegeheimdienstchef.

Der 59-jährige Regierungskritiker Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet worden. Er hatte dort einen Termin zur Vorbereitung der Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz, einer türkischen Staatsbürgerin. Nach offiziellen Angaben aus der Türkei und den USA wartete in der Vertretung ein 15-köpfiges Kommando aus Saudi-Arabien, ermordete ihn, zerstückelte seine Leiche und ließ die Überreste verschwinden.

Bild einer Überwachungskamera zeigt Jamal Khashoggi
AP/Petros Giannakouris
Die letzte Aufnahme des Getöteten stammt von einer Überwachungskamera

Hinweise auf Verantwortung des Kronprinzen

Ein US-Geheimdienstbericht kam zu dem Schluss, dass der De-facto-Herrscher Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed bin Salman, Khashoggis Ermordung abgesegnet habe. Auch eine UNO-Sonderberichterstatterin fand entsprechende Hinweise. Riad wies das zurück und versicherte, die saudi-arabischen Täter hätten auf eigene Faust gehandelt. Bei einem Prozess in dem Land wurden fünf Staatsbürger zum Tode verurteilt und drei weitere zu Gefängnisstrafen. Die Todesstrafen wurden später in Haftstrafen umgewandelt.

Der Mordfall hatte international für Empörung gesorgt und die ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und der Türkei belastet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte seinerzeit Riad für den Tod des Journalisten verantwortlich, ohne jedoch direkt den Kronprinzen Mohammed zu beschuldigen.

Anfang dieses Jahres hatte Erdogan dann jedoch seinen ersten Besuch in dem Königreich seit dem Mord an Khashoggi angekündigt. Die Türkei, die sich in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, bemüht sich seit einigen Monaten um eine Annäherung an Saudi-Arabien. Beobachter hatten bereits vermutet, der Fall könne zugunsten einer Verbesserung der Beziehungen hintangestellt werden.

Hatice Cengiz, die Verlobte des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, gibt vor einem Gerichtsgebäude in Istanbul Interviews
APA/AFP/Ozan Kose
Cengiz legte Berufung gegen die Gerichtsentscheidung ein und betonte, sie werde nicht aufgeben

„Mörder ermitteln gegen sich selbst“

Khashoggis Verlobte kündigte am Donnerstag Berufung gegen die Gerichtsentscheidung an. „Wir werden hier nicht von einer Familie regiert“, sagte Cengiz mit Blick auf die Monarchie in Saudi-Arabien. „Wir haben ein Justizsystem, das auf die Beschwerden der Bürger reagiert: Deshalb werden wir Berufung einlegen.“

In Saudi-Arabien hätten die Schuldigen schließlich nichts zu befürchten. „Wie kann man sich vorstellen, dass die Mörder gegen sich selbst ermitteln?“, so Cengiz. Einer ihrer Anwälte, Gökmen Baspinar, sagte, die Entscheidung, den Fall an Saudi-Arabien zu verweisen, laufe „dem Gesetz zuwider“ und stelle „eine Verletzung der türkischen Souveränität“ dar. „Die saudi-arabischen Behörden haben den Prozess schon abgeschlossen und beschlossen, zahlreiche Verdächtige freizusprechen.“

Christian Mihr von der Organisation Reporter ohne Grenzen sagte bereits im Vorfeld der Entscheidung, die Türkei würde damit den Fall willentlich zurück in die Hände derer geben, die Verantwortung für ihn trügen. Ein voriges Verfahren zu dem Mord in Saudi-Arabien nannte Mihr „eine juristische Farce“, die keinen rechtsstaatlichen Standards genügt habe. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnes Callamard, zitierte ein türkisches Sprichwort: „Man vertraut das Lamm nicht dem Wolf an.“