Nie wieder „Weiberl“

Später Ruhm für Margot Pilz

Margot Pilz war die Hälfte ihres Lebens „Hausfrau und Mutter“, wie sie selbst sagt – und drehte als Pionierin der feministischen Avantgarde den Spieß um: So ist es bei Pilz eine Göttin, die Eva erschafft – und tabuloses Altern thematisierte sie mit einer Aktion in einer goldenen Windel. In der Kunstszene war sie längst bekannt, doch der Durchbruch mit eigener Galeristin kam erst mit über 80 Jahren.

„Früher, da war ich ein richtiges Weiberl“, sagt Pilz im Interview mit ORF.at. Doch das sollte sich ändern, wenn auch erst Jahrzehnte später. Heute gilt sie als eine der Pionierinnen der österreichischen Konzept- und Medienkunst. Geboren wurde Pilz 1936 in Haarlem, in den Niederlanden, ihre Mutter war eine jüdische Wienerin.

Die Familie floh im Zweiten Weltkrieg nach Indonesien. Nach einer kurzen unbeschwerten Zeit wuchs sie während der Gräuel des indonesischen Unabhängigkeitskrieges auf. Mit nur sieben Jahren wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter von den japanischen Besatzern in ein Internierungslager auf der Insel Java verschleppt. Sie überlebten nur knapp.

Mit Donna Summer durch die Clubs

Zurück in Europa zog sie mit 18 Jahren für ihre Ausbildung als Fotografin nach Wien, wo sie an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt studierte und auf einer Künstlerparty ihrem späteren Ehemann begegnete: „Er war ein fescher Kerl, er hat mir gefallen, also haben wir geheiratet.“

Gemeint ist der Bildhauer Fritz Pilz, durch ihn lernte sie die Kunst-, Kultur- und Modeszene Wiens kennen. Sie selbst war in der Werbebranche als Fotografin unterwegs, arbeitete für Armani und Wiener Innenstadtboutiquen. Auf Eigeninitiative entstand eines ihrer bekanntesten Porträts: die mit Schmuck behangene Donna Summer. Pilz lernte die spätere Discoqueen kennen, als diese für das Musical „Hair“ in der Stadt war. Gemeinsam zog man um die Häuser, danach entstanden die Fotos im Studio von Pilz.

„Unfassbar, was wir uns haben gefallen lassen“

Dennoch war ihr Alltag von typischen Frauenaufgaben der damaligen Zeit geprägt: kochen, Mutter sein, Haushalt managen und stets den Ehemann um Erlaubnis fragen. „In Österreich lief die gesamte Bürokratie über die Männer. Wenn ich etwas brauchte, musste mein Mann unterschreiben. Unfassbar, was wir Frauen uns haben gefallen lassen!“, erinnert sich Pilz.

Viel später verarbeitete sie diese Unsichtbarkeit künstlerisch, unter anderem mit dem „Hausfrauendenkmal“, einer Installation aus benutzten Bettlaken. Eines jedenfalls sollte sie sich bald nicht mehr gefallen lassen: die nächtlichen Ausflüge ihres Mannes in die Betten anderer Frauen. Sie erklärte ihre Ehe kurzerhand für „offen“, feierte ebenso ausgelassene Partys und genoss ihr Leben mit zahlreichen Liebhabern.

Literaturhinweis

Nina Schedlmayer: „Art Biography. Margot Pilz. Leben. Kunst.“ Leykam, 224 Seiten, 24,90 Euro.

Festnahme als Initialzündung

1978 war Pilz 42 und beim dritten Frauenfest in Wien zugegen. Zivilpolizisten gingen aggressiv gegen die Teilnehmerinnen vor. Die Frauen wehrten sich, auch Pilz wurde festgenommen. Auf der Dienstelle fragte sie ein Polizist, warum sie sich nicht ein Beispiel an anderen Frauen nehme? „Meine Frau macht das viel gscheiter, die sagt ‚ja, ja‘ und macht dann was anderes“. Das wäre doch die viel bessere Möglichkeit, Dinge zu erreichen. Doch Pilz wollte ihre Wut nicht länger unterdrücken, dieses Erlebnis ist die Initialzündung ihrer künstlerischen Laufbahn.

Mit geballter Faust sagte sie ab nun als Künstlerin der Ungleichheit den Kampf an. Sie entwickelte Fotoserien wie die „Sekundenskulpturen“ – übrigens lange vor Erwin Wurms berühmten „One Minute Sculptures“. Pilz trat dem feministischen Künstlerinnennetzwerk IntAkt (Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen) bei, dessen Ehrenmitglied sie heute ist. Gemeinsam hinterfragten sie Frauenbilder genauso wie gesellschaftliche Strukturen, die Männer begünstigen und Frauen benachteiligen.

Inselsehnsucht für Stadtmenschen

Eine ihrer liebsten Arbeiten, so sagt sie, ist auch heute noch „Kaorle am Karlsplatz“, eine Kunstintervention im öffentlichen Raum. Während der Wiener Festwochen 1982 ließ sie auf dem Platz in Wien Tonnen an Sand aufschütten. Dazu eine Palme, Liegestühle und ein künstlicher Wal. Voila: Europa hatte seinen ersten Stadtstrand, und das bereits lange, bevor so etwas hip wurde. Für die Kunstkritikerin Nina Schedlmayer, die auch ihre Biografie verfasste, ist das bereits ein Vorläufer der „Relational Aesthetics“, einer Kunstrichtung, die sich erst in den 1990ern entwickelte.

TV-Hinweis

Die Dokumentation „Sichtbar, stark und selbstbewusst – Die Revolution der Frauen über 50“, mit Margot Pilz als einer der Protagonistinnen, ist in der 3sat-TvThek abrufbar.

In den 1980er und 1990er Jahren beschäftigte sich die Künstlerin mit der damals neuen Medienkunst, experimentierte in ihren Arbeiten mit Video und Computer. Auch das Thema Umwelt griff sie früh auf, etwa 1991 mit der Installation „Delphi Digital“ auf der Linzer Ars Electronica. Darin integriert war ein solarbetriebenes Terminal mit Chatfunktion. Wer Fragen zu Umweltthemen hatte, konnte diese eintippen und bekam Antwort aus dem frühen Internet. Wohlgemerkt zu einer Zeit, als das Smartphone für die meisten nur ein futuristisches Hirngespinst war.

Tabulos altern

Alter, Sexualität, die Veränderung des eigenen Körpers: Damit beschäftigt sich Pilz seit den 2000er Jahren. In ihrer letzten Performance in der Kunsthalle Krems dekonstruierte sie mit Elan, Witz und Offenheit das Tabu „Inkontinenz im Alter“. Dafür ließ sie sich extra eine goldene Windel von Studierenden der Universität für angewandte Kunst anfertigen.

Schonungslos zeigt sie sich auf ihren Fotoarbeiten nackt, faltig und mit Sehnsucht nach vergangener Jugendlichkeit. „Schön zu sein, war mir immer wichtig, jetzt im Alter genauso. Nur heute kostet mich das viel mehr Kraft und erfordert Disziplin“, gesteht Pilz.

Zu ihren täglichen Routinen gehört daher neben Nordic Walking auch das ORF-TV-Training „Fit mit Philipp“. Besonders viel Energie verschafft ihr die Freude, nun endlich als Künstlerin gewürdigt zu werden. 2015 widmete ihr das MUSA eine Einzelschau, eine große Personale war kürzlich in der Kunsthalle Krems zu sehen, einige ihrer Arbeiten hängen im Belvedere 21 und seit ein paar Jahren wird sie von einer Galerie vertreten.

Mit Vielfältigkeit zum späten Erfolg

Pilz’ Werk ist vielfältig. Genau das könne ein Grund für ihren späten Erfolg sein, meint Kunstkritikerin Schedlmayer: „Der Kunstmarkt verlangt häufig Wiedererkennbarkeit, ein Label. Wenn man mal Foto, Performance, dann digitale Kunst und plötzlich wieder Keramik macht, dann wird’s schwierig. Als sie wichtige Teile ihres Werks schuf, war Medienkunst oder Fotografie gerade nicht angesagt, sondern Malerei. Und wahrscheinlich liegt schon ein Grund in ihrem Geschlecht.“ Tatkräftig verfolgt Pilz weiterhin ihre Mission: Tabus brechen, Unsichtbares ans Tageslicht bringen und aufrütteln.