Bundeskanzler Karl Nehammer
APA/BKA/Dragan Tatic
Nehammer in Moskau

Gespräch mit Putin „direkt, offen und hart“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist Montagnachmittag mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin zusammengetroffen. Es habe sich nicht um einen „Freundschaftsbesuch“ gehandelt, teilte das Bundeskanzleramt im Anschluss mit. Das Gespräch sei „direkt, offen und hart“ gewesen, so Nehammer. Auch habe er die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten in der Ukraine angesprochen.

„Meine wichtigste Botschaft an Putin war (…), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer“, so Nehammer laut Mitteilung des Bundeskanzleramtes. Nehammer hatte als erster EU-Regierungschef seit Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar Moskau besucht.

Die Begegnung fand in Putins Residenz in Nowo-Ogarjowo bei Moskau statt, berichtete die staatliche russische Agentur TASS. Von russischer Seite waren weder Bilder des Treffens noch Informationen für die Medien von russischer Seite im Anschluss geplant, wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der dpa sagte. Die von ORF.at verwendeten Bilder wurden von einem Fotografen des Bundeskanzleramtes gemacht.

Sanktionen, „solange Menschen sterben“

Die Reise nach Russland sei für ihn „eine Pflicht“ gewesen, unterstrich der Bundeskanzler. „Eine Pflicht aus der Verantwortung heraus, nichts unversucht zu lassen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken.“

Kanzler Nehammer zu Gespräch in Moskau

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Montag den russischen Machthaber Wladimir Putin getroffen. Eine heikle und national wie auch international durchaus kritisch gesehene Mission.

Er wies darauf hin, dass er „die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen“ und betont habe, „dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen sind. Ich habe Präsident Putin auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben.“ Nehammer hatte erst am Wochenende die Ukraine besucht und dabei auch die Stadt Butscha bei Kiew besichtigt, wo nach Abzug der russischen Truppen zahlreiche Leichen von getöteten Zivilpersonen gefunden worden waren.

Brüssel und Berlin: Treffen abgesprochen

Die Reaktionen im Vorfeld des Treffens waren zurückhaltend ausgefallen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei über die geplante Reise Nehammers telefonisch informiert worden, sagte der EU-Kommissionsvertreter in Österreich, Martin Selmayr, am Montag. „Wir sind sicher, dass der österreichische Bundeskanzler die Vor- und Nachteile dieser Reise gut abgewogen hat“, sagte Selmayr.

Gemischte Reaktionen auf Moskau-Besuch

Die Außenministerinnen und Minister der EU haben sich heute in Luxemburg getroffen, um über das weitere Vorgehen im Ukraine-Krieg zu beraten. Nachdem letzte Woche das mittlerweile fünfte Sanktionspaket beschlossen wurde, geht es nun um neue Waffenlieferungen. Im Vorfeld hat der Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) beim russischen Präsidenten Wladimir Putin für Aufregung gesorgt.

Auch Berlin wurde im Vorfeld informiert, wie eine Sprecherin des deutschen Kanzlers Olaf Scholz sagte. Scholz begrüße das Treffen, man unterstütze alle diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine, hieß es. Auch für die Ukraine sei der Besuch nicht überraschend gekommen, er sei schon länger vorbereitet gewesen, berichtete ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz im Ö1-Mittagsjournal.

Der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, sagte, er hoffe auf Resultate. Derzeit sei Putin aber sehr stark auf die russische Offensive in der Ostukraine fokussiert. Chymynez sagte, es sei sehr wichtig gewesen, dass der Kanzler selbst in der Ukraine alles gesehen habe, die Schrecken, die Kriegsverbrechen der russischen Armee.

Kritik aus Litauen

An Nehammers Initiative gab es auch Kritik im Ausland. „Ich glaube nicht, dass Putin ansprechbar ist“, sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis. Er forderte westliche Politiker auf, lieber in die Ukraine zu reisen.

Laut dem finnischen Außenminister Pekka Haavisto waren die Erwartungen an das Treffen Nehammers mit Putin nicht sehr hoch. „Die Reise bezieht sich vor allem auf die Friedensbemühungen und auf die humanitäre Situation. Natürlich ist es wichtig, dass die Kontakte aufrecht bleiben, aber sehr hohe Erwartungen scheint Österreich nicht zu haben“, so Haavisto.

Kogler: „Könnte Versuch wert sein“

Im Vorfeld der Reise hatte sich der Koalitionspartner zurückhaltend gegeben. Vorausgesetzt, die Reise sei mit der EU abgestimmt, „könnte es einen Versuch wert sein“, so Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in einer schriftlichen Stellungnahme. „Klipp und klar ist: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine muss sofort gestoppt, Kriegsverbrechen vollumfänglich aufgeklärt und humanitäre Korridore verlässlich geschaffen werden.“

Kritik kam von der außenpolitischen Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic: „Nein, ich kann einen Besuch bei Putin nicht gutheißen. Das hat mit Diplomatie nichts zu tun. Das ist auch kein akkordierter Fahrplan für Verhandlungen. Putin wird das für seine Propaganda nutzen“, twitterte sie. Die Grünen dürften von Nehammers Reise aus den Medien erfahren haben.

Skepsis bei Opposition

Skeptisch gab sich die SPÖ. „Dialog zu führen und mit allen im Gespräch zu sein ist wichtig, aber genauso wichtig ist auch, ein klar definiertes Ziel für dieses Gespräch mit Putin zu haben und innerhalb der EU gut abgestimmt zu sein“, sagte SPÖ-Europasprecher und -Vizeklubchef Jörg Leichtfried.

Die Strategie der Regierung seit Kriegsbeginn sei weder nachhaltig noch durchdacht, kritisierte FPÖ-Chef Herbert Kickl, dessen Freiheitliche als traditionell russlandfreundlich gelten. „Erst die Sanktions-Einpeitscherei, dann das überfallsartige Ramponieren der Neutralität, dann die mit der Neutralität in Widerspruch stehenden Solidaritätsbesuche bei Selenskyj und Klitschko – und jetzt geht’s plötzlich nach Moskau“, so Kickl.

Nehammers Besuch dürfe nicht dazu führen, dass Österreich den gemeinsamen europäischen Weg verlasse, sagte NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger. Insgesamt bestehe die Sorge, dass das Treffen Putin letztlich mehr nutzt als der Ukraine. „Schließlich kam es schon vor, dass sich Österreichs Politiker vor den russischen Propagandakarren spannen ließen“, sagte die NEOS-Vorsitzende.

Schallenberg: „Keine verlorene Stimme“

Hinter den Kanzler stellte sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP): „Jede Stimme, die Putin verdeutlicht, wie die Realität außerhalb der Mauern des Kremls wirklich aussieht, ist keine verlorene Stimme“, so Schallenberg. Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußerte sich bisher nicht zur Reise des Kanzlers. In der Präsidentschaftskanzlei wollte man Nehammers Besuch vorerst nicht kommentieren.

Experten sehen Chancen und Gefahren

Russland-Experten zeigten sich uneins bei der Bewertung von Nehammers Moskau-Reise. Der Historiker Stefan Karner sprach von einer historischen Chance. Russland sei unverrückbar ein Nachbar Europas, und man müsse alle Chancen nutzen, um den Gesprächsfaden intakt zu halten, sagte der Gründer und ehemalige Leiter des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Der österreichische Kanzler habe nicht genug Gewicht in Europa, um etwas zu bewegen, sagte dagegen der an der Uni Innsbruck tätige Russland-Experte Gerhard Mangott in der ZIB2 am Sonntag. Das wisse man auch in Moskau. Das von Nehammer genannte Ziel eines Waffenstillstands werde von der Ukraine von Beginn an gefordert. Es gebe keinen Grund, warum Putin das auf Vermittlung Nehammers machen sollte. Auch der Zeitpunkt dieser Reise sei unglücklich angesichts dessen, dass Russland gerade einen Großangriff in der Ostukraine vorbereite.

Der frühere österreichische Botschafter in Moskau, Emil Brix, sieht die Reise vor allem als „Schritt von russischer Seite“, sagte er den „Salzburger Nachrichten“. „Die Russen wissen ganz genau, dass Österreich nicht die EU-Linie bestimmen kann, sie wissen ganz genau, wie gering unsere außenpolitische Macht ist. Aber es ist zumindest ein Zeichen, dass man das Gespräch prinzipiell sucht“, so der ehemalige Spitzendiplomat und Leiter der Diplomatischen Akademie Wien.