Anne Spiegel
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Urlaub mit Folgen

Deutsche Familienministerin Spiegel geht

Die deutsche Regierung steht vor ihrer ersten Kabinettsumbildung: Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) tritt nach eigenen Angaben von Montag zurück. Hintergrund ist ein vierwöchiger Urlaub nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021. Damals war Spiegel für Katastrophenschutz zuständige Umweltministerin des von der Flut besonders betroffenen deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz.

„Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht“, sagte die 41-Jährige laut einer Mitteilung ihres Ministeriums.

Zuvor war bekanntgeworden, dass Spiegel nur zehn Tage nach der Flut zu einem vierwöchigen Familienurlaub in Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte. In einem emotionalen Auftritt hatte Spiegel den Urlaub am Sonntagabend als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldigt. Dabei räumte sie auch ein, dass sie sich anders als ursprünglich mitgeteilt nicht aus den Ferien zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet hatte.

Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in den deutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.

Entschuldigung für Urlaub nach Flut

Familienministerin Spiegel entschuldigte sich in einem emotionalen Auftritt für ihren Urlaub kurz nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021. Damals war sie Umweltministerin in Rheinland-Pfalz.

„Es war zu viel“

„Es war zu viel, das hat uns als Familie über die Grenze gebracht.“ Mit diesen Worten benannte die Grünen-Politikerin in Berlin den Fehler, dass sie Anfang 2021 zusätzlich zum Familien- und Integrationsministerium in Rheinland-Pfalz auch die nach einem Rücktritt frei gewordene Spitze des Umweltministeriums übernommen hatte.

Ein Fehler war es nach den Worten Spiegels auch, dass „wir so lange in Urlaub gefahren sind, und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung“. Sie habe sich dazu wegen großer Belastungen der Familie entschieden – nach einem Schlaganfall ihres Mannes im März 2019 und Spuren der Coronavirus-Pandemie bei den vier Kindern.

Scholz „persönlich bewegt und betroffen“

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm Spiegels Rücktritt in einer ersten Reaktion „mit großem Respekt zur Kenntnis“. Er habe mit Spiegel „im Bundeskabinett eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet“, teilte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag mit. Das Statement der Politikerin vom Sonntagabend habe „den Bundeskanzler auch persönlich bewegt und betroffen gemacht“. Er wünsche Spiegel „nach dieser schweren Zeit für die Zukunft alles Gute“, so Hoffmann im Namen des Kanzlers.

Die Spitze der deutschen Grünen will nun „zeitnah“ über ihre Nachfolge entscheiden. Die Vorsitzende der Partei, Ricarda Lang, sagte am Rande einer Klausurtagung des grünen Vorstands, man habe „größten Respekt“ vor dem Mut Spiegels „und ihrer Klarheit“. „Anne Spiegel hat Fehler eingestanden auf eine Art und Weise, mit einer Transparenz und Offenheit, wie es sie im politischen Betrieb so nicht gegeben hat“, sagte der Kovorsitzende der Grünen, Omid Nouripour: Der Schritt zurückzutreten sei „bei aller großen Härte (…) richtig“.

Merz drängte auf Rücktritt

Unionspolitiker und Vertreter der rechten AfD hatten Spiegels Rücktritt oder ihre Entlassung gefordert. „Für Frau Spiegel waren Urlaub und das eigene Image wichtiger als das Schicksal der Menschen an der Ahr. Der Bundeskanzler muss sie entlassen“, hatte CDU-Chef Friedrich Merz am Sonntag der „Bild“-Zeitung gesagt. CSU-Generalsekretär Stephan Mayer sagte am Montag im Deutschlandfunk: „Ich glaube, auch wenn man Frau Spiegel gestern erlebt hat, ich glaube, sie tut sich selbst auch keinen Gefallen, wenn sie weiterhin darauf beharrt, im Amt zu bleiben.“

Verweis auf „Mallorca-Affäre“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verwies auf den Fall von Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU), die ihr Amt niedergelegt hatte, nachdem bekanntgeworden war, dass sie wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 mit weiteren Regierungsmitgliedern auf Mallorca – Stichwort „Mallora-Affäre“ – den Geburtstag ihres Ehemannes gefeiert hatte.

„SPD und Grüne haben sich hier in Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche moralisch sehr hoch aufgeschwungen und über Ursula Heinen-Esser gerichtet“, sagte Wüst. „Die müssen jetzt klarstellen, ob diese Ansprüche unabhängig vom Parteibuch gelten oder nur dem Wahlkampf geschuldet waren.“

Nicht erster Aufruf zum Rücktritt

Im rheinland-pfälzischen Landtag hatte die Opposition – CDU, Freie Wähler und AfD – Spiegels Rücktritt bereits seit ihrer Aussage im Landtagsuntersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe am 11. März in Mainz verlangt. Damals ging es noch nicht um den Frankreich-Urlaub. Spiegel war in die Kritik geraten, weil sie sich in einem Chat mit ihren Mitarbeitern direkt nach der Hochwassernacht um ihr politisches Image gesorgt hatte.

Dazu hatte sie im Untersuchungsausschuss des Landtags gesagt, die Hilfe für die Betroffenen im Ahrtal sei für sie von höchster Bedeutung gewesen. „Es ist absolut falsch, und ich weise entschieden zurück, dass ich irgendwann eine andere Priorität hatte.“