Bundeskanzler Karl Nehammer
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Nehammer bei Putin

„Hartes“ Gespräch, bescheidenes Ergebnis

Bundeskanzler Karl Nehammer hat bei seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „generell keine positiven Eindrücke“ gewonnen. Das erklärte er am Montagabend bei einer Videokonferenz, nachdem er als erster EU-Regierungschef seit Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar Moskau besucht hatte. Der Schritt war umstritten, die Resonanz entsprechend durchmischt, der Effekt des laut Kanzleramt „direkten, offenen und harten“ Gesprächs bescheiden.

Im Kreml verzichtete man auf Erläuterungen zum Gespräch, von dem es selbst keine Bilder gibt. „Das Treffen sei nach Maßstäben der letzten Zeit nicht sonderlich lang gewesen“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow laut der russischen Nachrichtenagentur TASS. Zu Inhalten könne er vorerst nichts bekanntgeben. Auch auf österreichischen Wunsch gab es keine gemeinsamen Bilder und kein gemeinsames Pressestatement.

Putin habe Russisch gesprochen und sei ins Deutsche gedolmetscht worden, sagte Nehammer. Lediglich kurze Passagen seien in deutscher Sprache geführt worden. „Der Tisch war nicht so lange, wie wir ihn aus dem Kreml kennen, er war aber lang“, erläuterte Nehammer seinen Abstand zu Putin. Die Initiative zur Moskau-Reise sei von ihm ausgegangen, sagte er, und zwar schon während die Reise in die Ukraine geplant wurde.

Spitzendiplomat Lehne zur Kanzler-Mission

Stefan Lehne, einer der erfahrensten österreichischen Diplomaten überhaupt, zuletzt bis 2011 Politischer Direktor im Außenministerium und jetzt Experte bei der Denkfabrik Carnegie Europe in Brüssel, kommentiert die Moskau-Reise von Bundeskanzler Karl Nehammer.

„Überschätzung der Vermittlungskapazität Österreichs“

„Wenn man die Übersetzungen dazu nimmt, dann haben sie sehr kurz gesprochen“, kommentierte der ehemalige österreichische Diplomat Stefan Lehne Montagabend in der ZIB2. Er glaube, dass Putin und Nehammer der Gesprächsstoff langsam ausgegangen und keine echte Kommunikation vorhanden gewesen sei, sagte der Experte.

Auf die Frage, was der Besuch gebracht habe, sprach Lehne von einer „Überschätzung der Vermittlungs- und Brückenbaukapazität Österreichs“. Vermitteln sei äußerst schwierig und setze voraus, „dass man bei beiden Seiten voll akzeptiert wird als Vermittler, das ist in diesem Fall manifest nicht der Fall, Österreich ist ein EU-Staat, verhängt Sanktionen gegen Russland, kommt deshalb, glaube ich, für Russland als Vermittler nicht infrage“.

Der Kanzler habe recht, wenn er sagt, nichts tun sei keine Option, aber was jetzt notwendig wäre, seien Sanktionen und auch militärische Unterstützung für die Ukraine. Lehne: „In beiden Bereichen hat Österreich Schwierigkeiten, im einen wegen der Abhängigkeit von russischem Gas, in dem anderen wegen unserer Neutralität (…), das ist ein Teil der Motivation, warum der Bundeskanzler diesen Schritt unternommen hat, aber es ist natürlich ein Schritt mit relativ bescheidener Wirkung.“

Olexander Scherba zum Kanzler-Besuch bei Putin

Olexander Scherba, der von 2014 bis 2021 ukrainischer Botschafter in Wien war, zeigt sich tief enttäuscht über den Besuch von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei Russlands Präsident Putin.

Ukrainischer Ex-Botschafter in Wien „enttäuscht“

Scharfe Kritik an dem Besuch Nehammers kam in der ZIB2 von Olexander Scherba, der von 2014 bis 2021 ukrainischer Botschafter in Wien war. „Ich glaube, Putin weiß ganz genau, wie er seine Propaganda, diesen Krieg, diesen Besuch verkaufen wird, nämlich, noch ein österreichischer Kanzler, noch ein Politiker aus dem Westen kommt zu mir, um etwas mir, dem großen Strategen, zu verkaufen. Und mittlerweile ist er kein großer Stratege, er ist der Verlierer dieses Krieges und er ist der blutverschmierte Diktator, und immer noch kommen die Pro-Europäer zu mir.“ Er sei schlicht enttäuscht, sagte Scherba.

Nehammer: „Keine zukunftsfrohen Aussichten“

Es sei wichtig gewesen, den russischen Präsidenten unter vier Augen mit den Schrecken des Krieges zu konfrontieren, sagte dagegen Nehammer. Auf seine Botschaft, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu einem persönlichen Gespräch bereit sei, habe es von Putin „keine Reaktion“. Generell sei Russland offenbar dabei, eine Offensive in der Ostukraine im Gebiet der russischen Separatistengebiete vorzubereiten.

Der Kanzler sprach von einem Bedarf für humanitäre Korridore, die der Zivilbevölkerung die Flucht erlaube. „Ich habe Putin darauf hingewiesen, dass er mit seiner Armee die Verantwortung für die Sicherheit der Korridore trägt.“ Putin sei schließlich auch derjenige, der die Invasion vornehme. Er habe aber „keine zukunftsfrohen Aussichten“, sagte Nehammer.

„Putin massiv in Kriegslogik angekommen“

„Putin ist massiv in der Kriegslogik angekommen und handelt auch entsprechend“, so der Kanzler. Anfangs habe Putin den Begriff „Krieg“ nicht akzeptiert, gegen Ende des Gesprächs habe der russische Präsident jedoch sinngemäß gesagt, er hoffe, dass dieser bald ende. Das könne aber auch bedeuten, dass die Offensive in der Ostukraine rasch beginne und das für die Zivilbevölkerung brutal und heftig werden könne.

ZIB-Korrespondent Paul Krisai aus Moskau

Es gibt zu diesem Treffen keinerlei offizielle Stellungnahme aus dem Kreml – warum nicht? ZIB-Korrespondent Paul Krisai berichtet aus Moskau.

Der russische Präsident setze offenbar darauf, einen allfälligen Dialog über die ins Stocken geratenen Verhandlungen in der Türkei fortzusetzen, sagte Nehammer. „Er hat nach wie vor Zutrauen in die Istanbuler Friedensgespräche.“ Es sei wichtig, dass es neben all dem Irrsinn der Gewalt einen Raum gibt, wo trotz allem Gespräche stattfinden können. Er werde in den nächsten Tagen auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sprechen.

„Gespräch direkt, offen und hart“

Zuvor hatte das Bundeskanzleramt mitgeteilt, es habe sich nicht um einen „Freundschaftsbesuch“ gehandelt. Das Gespräch sei „direkt, offen und hart“ gewesen. Auch habe er die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten in der Ukraine angesprochen. „Meine wichtigste Botschaft an Putin war (…), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer.“ Die Begegnung fand in Putins Residenz in Nowo-Ogarjowo bei Moskau statt, berichtete die staatliche russische Agentur TASS.

Sanktionen, „solange Menschen sterben“

Die Reise nach Russland sei für ihn „eine Pflicht“ gewesen, unterstrich der Bundeskanzler. „Eine Pflicht aus der Verantwortung heraus, nichts unversucht zu lassen, um eine Einstellung der Kampfhandlungen oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken.“

Er wies darauf hin, dass er „die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen“ und betont habe, „dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen sind. Ich habe Präsident Putin auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben.“ Nehammer hatte erst am Wochenende die Ukraine besucht und dabei auch die Stadt Butscha bei Kiew besichtigt, wo nach Abzug der russischen Truppen zahlreiche Leichen von getöteten Zivilpersonen gefunden worden waren.

Zweifel an gemeinsamer EU-Außenpolitik

Die Reaktionen im Vorfeld des Treffens waren zurückhaltend ausgefallen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei über die geplante Reise Nehammers telefonisch informiert worden, sagte der EU-Kommissionsvertreter in Österreich, Martin Selmayr, am Montag. „Wir sind sicher, dass der österreichische Bundeskanzler die Vor- und Nachteile dieser Reise gut abgewogen hat“, sagte Selmayr.

An der generellen Struktur der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU äußerte Ex-Diplomat Lehne in der ZIB2 Zweifel: „Es ist ja nicht so, dass da irgendjemand sagt: Karl, lass’ das! Sondern das wird höflich angehört und im Grunde genommen auch die Leute, die skeptisch sind, werden sich nicht zu ihrer Skepsis offen bekennen. Es ist leider so, dass es keine klare Führung gibt in der gemeinsamen Außenpolitik, dass im Grunde genommen jeder Regierungschef machen und lassen kann, was er will, und deshalb ist dieses ganze Instrument einfach nicht besonders effektiv.“