Bundeskanzler Karl Nehammer
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Nehammer bei Putin

„Ergebnislose“ Reise sorgt für Kritik

Einen Tag nach dem Treffen zwischen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Opposition Kritik an der „völlig ergebnislosen“ Reise geübt. Auch Fachleute sehen in dem Besuch Nehammers keinen „erkennbaren“ Erfolg – wenn das auch nicht erwartbar war. Putin erwähnte das Treffen bei einem Termin am Dienstag hingegen gar nicht. Nehammer informierte am Dienstag den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Bundespräsident Alexander Van der Bellen über die Inhalte seines Gesprächs mit Putin.

Nehammer war der erste EU-Regierungschef, der seit Beginn des Krieges vor über sechs Wochen den russischen Präsidenten besuchte. Das Gespräch fand in Putins offizieller Residenz Nowo-Ogarjowo statt und dauerte rund eine Stunde. Nach dem Treffen sprach der Kanzler von einem „direkten, offenen und harten“ Gespräch, das einen pessimistischen Eindruck hinterlassen habe. Am Dienstag verteidigte er im ORF-Radio, ihm sei es wichtig gewesen, Putin mit den „Fakten des Krieges“ zu konfrontieren.

Der Kreml selbst äußerte sich zurückhaltend bzw. inhaltlich gar nicht zum Gespräch. „Das Treffen war nach Maßstäben der letzten Zeit nicht sonderlich lang“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Präsident Putin erwähnte den Besuch Nehammers bei einem Termin am Dienstag nicht, aber sprach davon, dass Russland vom Westen nicht isoliert werden könne.

Noch am Dienstag berichtete Nehammer Bundespräsident Alexander Van der Bellen vom Besuch, wie das Bundeskanzleramt mitteilte. Inhaltliche Details aus dem Gespräch wurden keine veröffentlicht – es war insofern interessant, als hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird, dass Nehammer den Bundespräsidenten ebenso wenig in seine Reisepläne nach Moskau eingeweiht haben soll wie seinen grünen Koalitionspartner, bevor das Ganze über die Medien bekanntwurde. Van der Bellen twitterte am Abend, Nehammer sei bei ihm in der Hofburg gewesen. „Der Friede in der Ukraine ist und bleibt unser gemeinsames Ziel“, postete der Bundespräsident.

Telefonat mit Selenskyj

Die Zusammenkunft mit Putin war auch Thema bei einem Telefonat des Kanzlers mit dem ukrainischen Präsidenten. Laut Kanzleramt betonte Nehammer dabei, das Treffen sei „kein Freundschaftsbesuch“ gewesen. Er habe das Leid, das durch den russischen Angriffskrieg entstanden sei, gegenüber Putin „in aller Deutlichkeit“ angesprochen, sagte Nehammer laut Kanzleramt. „Im Krieg gibt es nur Verlierer“, wurde der Regierungschef zitiert.

Mayer-Bohusch (ORF) zu Nehammers Putin-Visite

Andreas Mayer-Bohusch kommentiert Kanzler Karl Nehammers (ÖVP) Besuch bei Russlands Präsident Putin.

Die russischen Attacken müssten enden und Kriegsverbrechen wie in Butscha lückenlos aufgeklärt werden, zudem habe er Putin gesagt, dass die „EU-Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine in diesem Konflikt sterben“, so Nehammer laut Aussendung in dem Telefongespräch mit Selenskyj. Nehammer telefonierte am Dienstag außerdem mit US-Botschafterin Victoria Kennedy. Dabei sagte der Regierungschef, dass es „mehr denn je die Geschlossenheit des Westens als Wertegemeinschaft für Menschenrechte und Frieden“ brauche.

Viel Kritik von der Opposition

Viel Kritik erntete Nehammer von der politischen Konkurrenz. „Der Moskau-Trip war offensichtlich ein Alleingang und schlussendlich auch völlig ergebnislos“, bilanzierte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Gespräche seien wichtig, aber Nehammers Besuch bei Putin sei „überstürzt und nicht gut abgestimmt“ gewesen. Das Gespräch hätte eine Chance sein können, sei aber „völlig ergebnislos“ geblieben – kein Waffenstillstand, keine humanitären Korridore.

Die Reise habe „einzig seiner machohaften Selbstinszenierung samt Ablenkung von den notorischen innenpolitischen Kalamitäten der ÖVP“ gedient, meinte FPÖ-Chef Herbert Kickl. Es wirke, als sei Nehammer „aus der Ukraine ferngesteuert“ und nicht selbstbestimmt. Kickl vermisste Worte zu möglichen Friedensverhandlungen oder zur Zukunft der Energieversorgung, stattdessen liefere Nehammer lediglich eine „Verklärung des eigenen Auftritts mit leeren Worten“.

FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl
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Kickl kritisierte Nehammers Besuche als „machohafte Selbstinszenierung“

Vizekanzler Kogler zurückhaltend – NEOS mit Kritik

Nach wie vor äußerst zurückhaltend gaben sich die Grünen, die von den Reiseplänen des Koalitionspartners zu Putin offensichtlich aus den Medien erfahren hatten. Nach dem Treffen zwischen Nehammer und Putin sei man „zeitnah“ durch den Bundeskanzler informiert worden, hieß es aus dem Büro von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) lediglich. Zuvor hatte sich lediglich die außenpolitische Sprecherin der Partei, Ewa Ernst-Dziedzic, kritisch zum Besuch geäußert.

NEOS hatte auf Twitter kritisiert, dass Nehammer laut eigenen Angaben Putin gesagt habe, „dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben“. Die Sanktionen müssten aber vielmehr „so lange aufrecht bleiben, bis die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist“, befand NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. „Alles andere lädt Putin geradezu zu weiteren Schritten ein.“

Russland-Experte: „Sehe keinen erkennbaren Effekt“

Besonders kritisch äußerte sich der Innsbrucker Russland-Experte Gerhard Mangott zu dem Treffen. In einem Interview mit dem „Spiegel“ sagte er, dass Nehammer „nichts erreicht“ habe. „Ich sehe weder einen erkennbaren noch einen vermutbaren Effekt auf die Handlungsweisen des Wladimir Putin. Dieser Besuch hat der Ukraine und dem Westen nichts gebracht außer politische Verwerfungen innerhalb der Europäischen Union.“

NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger
APA/Georg Hochmuth
NEOS-Chefin Meinl-Reisinger übte ebenfalls Kritik am Besuch Nehammers bei Putin

Zudem wisse nur der Kanzler, ob er „wirklich so offen und hart mit Putin gesprochen“ habe, so Mangott. Zwar könne die Propaganda des Kreml ohne Fotos keine Show abziehen, dennoch sei es möglich, die Botschaft zu verbreiten, dass Putin nicht isoliert sei. Im russischen TV wurde am Abend ein kurzer Beitrag über das Treffen gezeigt, es habe wie „ein Stück Normalität trotz des Krieges“ gewirkt. „Diesen Gefallen hätte man dem Kreml eigentlich nicht tun sollen.“

Nehammer über Besuch bei Putin

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „generell keine positiven Eindrücke“ gewonnen. Das sagte Nehammer am Montagabend gegenüber Medien. Er sei ohne Erwartungen nach Moskau gefahren, sagte der Kanzler.

Ähnlich äußerte sich der ungarische Russland-Experte Zoltan Sz. Biro. Die Gespräche mit Putin hätten nur dann einen Sinn gehabt, wenn Nehammer „eine sehr sensible, vertrauliche Botschaft“ überbracht hätte. Da nach Angaben des Kanzlers jedoch ein Dolmetscher zugegen war, sei der Besuch seiner Ansicht nach „völlig sinnlos“ gewesen, so der Historiker der Budapester Corvinus-Universität.

Russische Medien zurückhaltend

In Ermangelung von Informationen aus dem Kreml berichteten Medien in Russland eher zurückhaltend über den Besuch Nehammers. „Das war die erste Reise des Vertreters eines unfreundlichen europäischen Staates in die Russische Föderation nach Beginn der Spezialoperation (Krieg, Anm.) in der Ukraine“, schrieb die Zeitung „Moskowski Komsomolez“. Nehammer sei keine „dauerhafte Figur“, schrieb die Zeitung, deren Chefredakteur Pawel Gussew seit Ende vergangener Woche auf einer EU-Sanktionsliste steht.

Die Zeitung vermied in der Berichterstattung Zitate Nehammers, in denen das Wort „Krieg“ vorkam. Das galt auch für die Tageszeitung „Iswestija“, die selektiv aus der Presseaussendung des Kanzleramts zitierte. Das Medium zitierte Experten, die auch an die österreichische Abhängigkeit von russischem Erdgas erinnerten. Die Außenpolitik von Nehammer sei balancierter als jene Deutschlands, kommentierte der Moskauer Dozent Wadim Truchatschow in der Zeitung. Der Artikel war mit „Wiener Chance“ betitelt – im Russischen eine offensichtliche Anspielung auf „Wiener Walzer“.

„Kommersant“ spielte mit der Bedeutung von „Wena“, das nicht nur die russische Bezeichnung der österreichischen Hauptstadt ist, sondern gleichzeitig auch Vene bedeutet. Neben der Geschichte der bilateralen Beziehungen und der Rolle russischer Gasimporte referierte die Zeitung ausführlicher aus der Aussendung des Bundeskanzleramts. Trotz Zensur, die die Verwendung des Begriffs „Krieg“ praktisch kriminalisiert, war dabei vom „unermesslichen Leid“ die Rede, das durch den „russischen Angriffskrieg“ entstanden sei.

„Gespräch direkt, offen und hart“

Der frühere österreichische Botschafter in Moskau, Emil Brix, erwähnte, dass es der „Versuch auf jeden Fall wert“ gewesen sei. Überraschend sei für ihn, dass Moskau dem Besuch zugestimmt habe. „Man muss natürlich sagen, inhaltlich hat es keine Fortschritte gegeben, aber das ist von keinem erwartet worden“, so Brix in Ö1.

Zuvor hatte das Bundeskanzleramt mitgeteilt, es habe sich nicht um einen „Freundschaftsbesuch“ gehandelt. Das Gespräch sei „direkt, offen und hart“ gewesen. Auch habe Nehammer die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten in der Ukraine angesprochen. „Meine wichtigste Botschaft an Putin war (…), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer.“

„Putin ist massiv in der Kriegslogik angekommen und handelt auch entsprechend“, so der Kanzler. Anfangs habe Putin den Begriff „Krieg“ nicht akzeptiert, gegen Ende des Gesprächs habe der russische Präsident jedoch sinngemäß gesagt, er hoffe, dass dieser bald ende. Das könne aber auch bedeuten, dass die Offensive in der Ostukraine rasch beginne und das für die Zivilbevölkerung brutal und heftig werden könne.