Viktor Medvedchuk
Reuters/State Security Service
Ukrainischer Geheimdienst

Enger Putin-Vertrauter festgenommen

Der ukrainische Geheimdienst SBU hat laut Präsident Wolodymyr Selenskyj den bekannten prorussischen Abgeordneten und Geschäftsmann Viktor Medwedtschuk festgenommen. Die USA warnen unterdessen vor „intensiven und langen“ Kämpfen im Donbas im Osten des Landes.

Selenskyj veröffentlichte am Dienstag auf Telegram ein Foto von Medwedtschuk in Handschellen und gratulierte dem SBU zu seinem Einsatz. Medwedtschuk gilt als enger Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin. Selenskyj schlug Dienstagnacht in einer Rede vor, den 67-Jährigen gegen ukrainische Kriegsgefangene auszutauschen. Es sei „wichtig für unsere Sicherheits- und militärischen Kräfte, eine solche Möglichkeit in Betracht zu ziehen“, sagte der Präsident.

Medwedtschuk wird unter anderem vorgeworfen, ukrainische Militärgeheimnisse an Moskau weitergegeben zu haben. Er war im vergangenen Jahr des Hochverrats angeklagt und unter Hausarrest gestellt worden. Kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar war er untergetaucht.

Putin offenbar Patenonkel von jüngster Tochter

Der schwerreiche Geschäftsmann wurde in der Region Krasnojarsk in Russland geboren, in den 1960ern zog seine Familie in das Gebiet der heutigen Ukraine. Er zählt den russischen Staatschef zu seinen persönlichen Freunden. Medwedtschuks eigenen Angaben zufolge ist Putin Patenonkel von Medwedtschuks jüngsten Tochter. Als Abgeordneter leitete Medwedtschuk die wichtigste, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verbotene prorussische Oppositionsgruppe in der Ukraine. Die Vorwürfe gegen ihn weist er als politisch motiviert zurück.

Flucht vor russischer Großoffensive

In der Ostukraine rückt der russische Großangriff auf ukrainische Stellungen immer näher. Ihren Aufmarsch werden die Russen in einigen Tagen abgeschlossen haben. Immer mehr Menschen verlassen die Städte im Konfliktgebiet, die zunehmend zu Geisterstädten werden.

Putin hatte im vergangenen Jahr verärgert auf das Vorgehen der Behörden gegen Medwedtschuk reagiert. Dessen Festnahme wollte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nun nicht kommentieren. „Es kommen gerade viele Falschinformationen aus der Ukraine“, sagte er zu russischen Medien. „Das muss erst geprüft werden.“

USA warnen vor Kämpfen im Donbas

Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, hat indes von einer bevorstehenden Intensivierung der Kampfhandlungen im Osten der Ukraine gesprochen. „Wir glauben, dass die Russen entschieden haben, sich auf den Donbas und den Süden der Ukraine zu konzentrieren. Einheiten, die zuvor um Kiew und im Norden aktiv waren, werden für neue Operationen in diesen Regionen formiert“, sagte Kirby in einer Telefonkonferenz mit der europäischen Presse.

Die USA gingen davon aus, dass die Anfang des Jahres um die Ukraine versammelte Feuerkraft der russischen Streitkräfte zu einem großen Teil weiterhin verfügbar sei, erläuterte der Pentagon-Sprecher. Nachdem strategische Ziele in Kiew, Tschernihiw und anderen Teilen des Nordens nicht erreicht und die Russen selbst im Süden bei Mykolajiw zurückgeworfen worden seien, setzten sie nun neue Prioritäten im Osten der Ukraine. Konkret sprach Kirby von beobachteten Konvois nördlich der Stadt Isjum in der Region Charkiw sowie von Anzeichen für Nachschub im Donbas selbst.

Wehrschütz (ORF) zur Bedeutung von Mariupol

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz erläutert, weshalb die schwer umkämpfte Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine in diesem Krieg so wichtig ist.

„Weil Russland seine Feuerkraft auf einen kleineren Raum konzentriert, gibt es das Potenzial dafür, dass die Kämpfe viel intensiver und länger werden“, sagte Kirby. Ob Russland damit militärischen Erfolg haben wird, werde sich weisen. Die Ukrainer würden sich jedoch tapfer verteidigen.

Über 400 Leichen in Butscha entdeckt

Im Kiewer Vorort Butscha ist die Zahl der nach dem Abzug russischer Truppen gefundenen Leichen weiter gestiegen. „Wir haben 403 Tote, die bestialisch gefoltert, ermordet wurden“, sagte Bürgermeister Anatolij Fedorok. Der Chef der Kleinstadt mit ehemals rund 36.000 Einwohnern und Einwohnerinnen erwartet noch weitere Leichenfunde.

Der Generalstaatsanwaltschaft zufolge haben französische Fachleute der Gendarmerie und des medizinischen Dienstes der französischen Armee ihre Arbeit aufgenommen. „Die gesammelten Beweise werden in den nationalen Ermittlungen genutzt und ebenfalls an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben“, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa. Mit einem mobilen Labor zur DNA-Analyse sollen die Fachleute 15 Tage in dem Ort bleiben.

Kiew: Weitere Gespräche mit Moskau

Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland gehen indes einem Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge weiter. Die Verhandlungen seien hart, würden aber fortgesetzt, sagte Mychailo Podoljak. Russland wolle mit seinen öffentlichen Äußerungen Druck ausüben. Zuvor hatte Russlands Präsident Putin gesagt, die Gespräche befänden sich in einer Sackgasse. Die Ukraine halte in Istanbul getroffene Vereinbarungen nicht ein.

OPCW besorgt über möglichen Chemiewaffenangriff

Die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) zeigt sich „besorgt“ angesichts der Berichte über einen möglichen russischen Chemiewaffenangriff in der Ukraine. Die OPCW beobachte die Lage in der Ukraine genau, teilte die Organisation mit. In den vergangenen Wochen hätten Medien bereits vom Beschuss von Chemiewerken in der Ukraine berichtet.

Beide Seiten hätten sich zudem gegenseitig „den möglichen Missbrauch giftiger Chemikalien“ vorgeworfen, hieß es. Die OPCW verweist darauf, dass sich Russland und die Ukraine als Mitgliedsstaaten der Organisation verpflichtet hätten, „niemals chemische Waffen zu entwickeln, herzustellen, zu erwerben, zu lagern, weiterzugeben oder einzusetzen“.