Buchcover Anschober und Maske
heid/ORF.at
Lehren aus der Pandemie

„Müssen dringend raus aus dem Klein-Klein“

„Nach dem Drama muss es eine Neuordnung geben.“ Das sagt Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der knapp vor Ostern mit einem Buch über seine Erfahrungen mit der Pandemie – und seiner eigenen Gesundheit – an die Öffentlichkeit geht. Und einmal mehr im Anschober-Format alles in den kommenden Wochen mit den Menschen ausdiskutieren möchte. Er sieht aber die Chance, dass die momentanen „Bedrohungen ein neues Bewusstsein schaffen“. Gerade in Österreich müsse man dringend raus aus dem „Klein-Klein“.

Eine Kurz-Abrechnung wollte er nicht schreiben, aber eine Art Befreiung von seiner Zeit als Gesundheitsminister und dem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen schon. „Eine Abrechnung mit Sebastian Kurz würde den Blick auf das Wesentliche nur verstellen“, erzählt Anschober in einem Gespräch mit ORF.at am Fuße des Wiener Küniglbergs. Anschober will mit seinen eigenen Erfahrungen, wie er beschreibt, den Blick nach vorne richten und Lehren aus der Pandemie ziehen. Denn dass alles schlecht gelaufen sei beim Managen dieser globalen Krise, sieht er nicht. Eher, dass Europa sehr wohl, wenn auch nach einem gewissen Anlauf, verstanden habe, dass man gewisse Aufgaben nur gemeinsam lösen könne. „Die Impfstoffentwicklung und -beschaffung war für mich schon Ausdruck eines gemeinsamen Kraftaktes, andernfalls wäre es nicht so schnell gegangen“, so der grüne Ex-Politiker. Aber, so sagt er auch: „Wir haben überall auf der Welt eine globale Krise, versuchen sie aber immer noch national bzw. lokal zu verändern.“

Einheitliche Maßnahmen als Vertrauensbildung

Ein ähnliches Bild ortet er in Österreich, wo die Krisenbewältigung am Anfang als gemeinsamer Kraftakt begonnen wurde – und am Ende in kleinteiligen lokalen Lösungen gestrandet sei. „Wenn jemand sieht, dass 50 Kilometer weiter Dinge ganz anders umgesetzt werden, dann stärkt das nicht gerade Einsicht und Vertrauen“, so Anschober. Dabei habe man ja verstanden, dass man die Krise nur gemeinsam lösen könne. Auch, und das zeige für ihn der Ukraine-Krieg, als eine Art Auftrag: „Es kann einem nicht gut gehen, wenn es anderen anderswo schlecht geht.“ Deshalb könnten Lösungen für große Krisen immer nur in größerem Rahmen und mit einem gemeinsamen Ansatz angegangen werden.

Talk mit Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober

Für Europa wünscht sich Anschober eine gemeinsame Niedrig-Inzidenz-Politik. „Nur wenn wir die Inzidenzen überregional gering halten, können wir eine Pandemie in den Griff kriegen“ – das bedeute für ihn auch, dass die Gesundheitsminister in Europa mehr Kompetenzen bräuchten – und es Beschlüsse für intensivierte europäische Maßnahmen geben müsse. „Wir müssen uns jetzt für den Herbst gemeinsam aufstellen“, rät Anschober, der auch daran erinnert, dass die Pandemie einfach nicht vorbei sei.

Anschober und Gerald Heidegger
ORF.at
Anschober im Gespräch: „Nach vorne schauen – eine Abrechnung mit Kurz würde nur den Blick verstellen.“

Neuaufstellung für die WHO?

Auch die WHO sollte für ihn aus den Lehren der Pandemie neu aufgestellt werden – „am besten als eine Datendrehscheibe für Entwicklungen im Pandemiegeschehen auf der Welt“. Anschober zeigt sich sicher, dass das Phänomen der Zoonosen weiter zunehmen werde, man also für weitere Szenarien gerüstet sein müsse. Der Glaube, man werde auch bei SARS-Covid verschont werden wie bei ähnlichen Grippewellen der Vergangenheit, habe sich eben als falsch herausgestellt.

Das Buch

Rudolf Anschober: Pandemia. Einblicke und Aussichten. Zsolnay, 270 Seiten, 24,70 Euro.

Buchcover Anschober Buch
Zsolnay

„Raus aus dem Klein-Klein hin zu einer europäischen Pandemiepolitik“, das möchte Anschober, der die Landes- wie die Bundespolitik, aber auch das Stakkato von Krisengipfeln kennt, als Botschaft aus seinen eigenen Erfahrungen mitnehmen. Das Wichtigste für ihn aber im Verhältnis von Politik und Bevölkerung ist: „Es müssen wieder Erfolgserlebnisse her – und Vertrauen müsse wieder geschaffen werden.“

Österreich und die Ebenen der Realpolitik

In Österreich brauche es klare Bundeskompetenzen und noch klarere Rollenaufteilungen in der Pandemiebewältigung, meint er. Befragt, ob Österreich als Weltmeister der Realpolitik, die ihren ganz eigenen Gesetzen folge, hier noch mehr Regelwerk benötige, entgegnet Anschober: Eigentlich wären die Menschen oft weiter als die Politik. Er wolle auch nicht alle Länder über einen Kamm scheren, weil es mancherorts sehr gut funktioniert habe. Anschober glaubt jedenfalls auch fest daran, dass es ein Zugehen zwischen Ländern und Wien brauche, gerade vor dem Hintergrund, dass eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern mitunter ganz andere Bedürfnisse habe als andere Teile des Landes. Dennoch sollten immer Lösungen mit Blick auf das Gesamte gefunden werden: „Was man doch an dieser Pandemie sieht, ist, dass gerade die Kleinteiligkeit auch einen ganz eigenen Populismus nach sich zieht.“

Er sei jedenfalls froh, dass sich die populistische Losung nicht erfülle, dass es einem nur dann gut gehe, wenn es anderen schlecht gehe – „das Gegenteil ist der Fall“. Durch die Bedrohungen der Gegenwart sei jetzt ein neues Bewusstsein da – und dieses gelte es zu nutzen. Auch, um zu zeigen, wie sehr die einzelnen Krisen am Ende zusammenhingen, auch damit nach ganzheitlichen Lösungen suchten. Er wolle auf seiner Lesereise jedenfalls das Gespräch suchen – und dass er dabei nicht immer nur Freunden begegnen werde, sie ihm auch bewusst. Wie sehr die Leute freilich gerade jetzt noch einmal die Pandemie im Rückblick erlesen wollen, das wird der Markstein für den Erfolg des Buches sein. Ein Anstoß für eine intensive Debatte könnte es sein.