Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Neuer „Tristan“

Was darf man beim heiligen Wagner?

Wenn Oper so etwas ist wie eine große Familienaufstellung, die bis zum Oberrang reicht, dann waren am Gründonnerstag im Haus am Ring alle da. Die Geneigten, Neugierigen – und auch die, die „den Tristan“ schon hundertmal gesehen haben – und dementsprechend wissen, wie es ginge. Letzteren hat die Lesart von Regisseur Calixto Bieito nicht gefallen. Für Bieito ist Wagner schlicht: Beginn der Psychoanalyse, wo Reales und Rausch nicht mehr unterscheidbar sind. Real gefeiert wurden Martina Serafin als Isolde, Andreas Schager als Tristan und Philippe „Furioso“ Jordan für die musikalische Leitung.

Inszenierungen auf den Brettern einer Oper sind bekanntlich Geschmackssache. In Wien sind sie freilich mehr: Sie sind Seismografen eines Kulturklimas, das einen Klimawandel nicht kennt – „na gut“, werden die Bewahrer sagen, „der Klimawandel bringt ja nichts Gutes, warum ihn sich also herbeiwünschen?“ Vielleicht, so könnten die Erneuerer sagen, weil sonst die Oper in Zukunft ohne Touris leer bliebe.

Ein Ausbleiben des Publikums konnte die Staatsoper am Donnerstag jedenfalls nicht beobachten. Der neue „Tristan“ brachte ein ungeheures Maß an Mobilisierung samt „Buh“-Debatte rund um die Generalprobe vor Publikum, zu der ja die geneigte Opern- und Theaterkultur sagt, dass dort Contenance statt Blockwest-Flair zu gelten habe. Es war alles aufgeheizt im Vorfeld – fast hätte man es als geschickten Marketingschachzug von Opernchef Bogdan Roscic halten können, der ja die Oper auch als höchsten Ausdruck von Kulturgeschichte, ja Philosophie, liest – und sich in diesem Fall gern am „Schopenhauerismus im besten Sinne“ erfreut. Hatte Wagner nicht selbst an die immer versagt gebliebene Geliebte Mathilde Wesendonck, der Frau seines reichen Gönners, zu seiner Ersatzhandlung, dem „Tristan“, 1859 geschrieben: „Was Furchtbares ist am Entstehen (…) Dieser dritte Akt, ich fürchte, die Aufführung wird verboten …“

Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
„Nacht der Liebe, gib Vergessen, dass ich lebe“ – Andreas Schager als Tristan und Martina Serafin als Isolde

Als die Positionen bezogen waren

Das Terrain war um 17.30 Uhr jedenfalls bestellt, alle Positionen in den Gräben, Logen und Galerien bezogen – und dann legte der Musikdirektor Jordan los. Er hatte, das wurde deutlich, wie schon vor ihm Gustav Mahler auch, „seinen“ Wagner gelesen – war also der Spiegel zu all jenen, die wussten, wie „ihr“ Wagner ginge. Und sein Wagner ging im Vorspiel in a-Moll so: langsam, mit viel Luft zum Atmen. Dann dramatisch in den expressiven Passagen. Man hätte klatschen wollen – doch man fürchtete auch um die mit Ausnahme von Rene Pape doch für Wagner-Verhältnisse sehr jungen Sängerinnen und Sänger dieses Abends. Sie mussten über dieses philharmonische Konzert von Jordan drüber.

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Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Eine Oper als große Seelenfahrt
Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Annäherung ist nur um den Preis der Zerstörung der Ordnung zu haben. Szene aus dem zweiten Akt.
Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Tristans Sehnsucht nach Isolde als Spiel im Kubrick-Format
Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Ian Paterson als Kurwenal treibt Isolde zurück an den Anfang ihres Leids
Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Ewige Annäherung, ewiger Rausch
Szene aus „Tristan und Isolde“
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Man darf hier alles reinlesen zwischen Kleist und Roland Barthes. Wenn man will.

Liebe in Reinform braucht Erlösung Richtung Unendlichkeit

Und dann im ersten Aufzug war es klar. Isoldes Rückblick, eine große Seelenfahrt nicht nur in die Vergangenheit, sondern in den Kern aller Konflikte: Da will sie jemand vermählen, just der Mann, der ihren Verlobten getötet hat, ein Frevel, wie er in den schlimmsten Mythen steht. Dagegen hilft bei Wagner nur ein Liebestrank, und wenn der Trank getrunken ist, dann verwandelt sich schon gern einmal die Welt. Die, die sich hassten, würden sich lieben – und von nichts anderem handelt diese Oper. Das heißt, sie handelt, wenn von Philosophie und Kompensation in Reinform, nämlich, dass die Liebe nur den Tod als Pendant kennt, die Rede ist. Und wer nicht lieben kann auf Erden, kann sich mit dem Sterben schwer trösten. Und so muss man eben durch einen fünfstündigen Abend, der in Entrückung endet und in der Musik seinesgleichen sucht. Noch mehr als das Vorspiel zum ersten Aufzug liebt Jordan offenkundig jenes zum dritten Akt, das sicherlich in seiner tonalen Konstruktion eines der berauschendsten Momente der Musikgeschichte darstellt.

Wieder einmal Wasserspiele

Die Seelenfahrt führt bei Bieito durchs Wasser. Tristan liegt im ersten Aufzug lange im dunklen Nass und ist wahrlich nicht zu beneiden. Für die Liebe zu Isolde wird er zahlen, frei nach dem Joseph Beuys’schen Motto: „Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung.“

Entscheidend in dieser Inszenierung sind die Scharnierfiguren: Ekaterina Gubanowa als Brangäne und der Heldenbariton Iain Paterson als Kurwenal stützen das Framing dieser Liebesgeschichte darstellerisch und sängerisch. Serafin hat als Isolde in dieser Inszenierung einen noch treibenderen Part, dieses Seelendrama voranzutreiben. Mitunter ist sehr viel Philosophie und Freud in dieser Ausdeutung im Raum. Gegen die Annäherung lässt Bieito Isolde und Tristan in zwei auf und ab gezogenen Räumen nie zueinander kommen. Beide müssen die Geschichte um sie herum von den Wänden reißen. So viel zur Ein- oder Vieldeutigkeit der Metaphorik an diesem Abend.

König Marke hatte keine Freude

Pape als König Marke wirkte sehr unbeteiligt an dem Drama, das sich vor seinen Augen vollzog. Offenkundig hat ihm die Inszenierung nicht sehr behagt – und vieles verbarg er dann unter dem braunen Trenchcoat.

Bieito wollte das Drama Wagners bewusst nicht ausdeuten, es stehen und schweben lassen. So beginnt der finale Aufzug mit einem Spiel an nackten Stellvertreterfiguren, das vom späten Stanley Kubrick geborgt war. Und „Eyes Wide Shut“, das hätten sich dann die eingefleischten Wagnerianer gern gewünscht. Leider verliert sich just das Finale ein wenig in der dramatischen Umsetzung. Was so stark mit dem Nichtdarstellen des Trunkrausches der beiden begann, endet ein wenig in einer Tischrückerei, an die der tote Tristan gelegt wird, während Isolde ihrem großen Finale zusteuert.

„Tristan und Isolde“ in der Wiener Staatsoper

Der deutsche Schauspieler Michael Degen ist im Alter von 90 Jahren gestorben.

Erlösung für Serafin und Schager

Serafin und Schager werden mit Recht gefeiert an diesem Abend. Schager zeigte bereits im ersten Akt viel von seinem Wagner-Potenzial, das ja alle großen Opernhäuser der Welt abrufen. Und Serafin hatte ohnedies wenig Pausen in diesem fünfstündigen Ritt der Ewigkeit entgegen.

Eigentlich, so muss man allen Stammhaltern sagen, wurde Wagner hier im Kern sehr ernst genommen. Seine Botschaften, die er ohnedies nicht einmal, sondern fünfzigmal an einem Abend loslässt, als das gelesen, was sie sind. Seelendrama, Überwindungsrausch, Auflösung von Realität und Sein: „So sterben wir, ungetrennt, ewig ohne End.“ Das ist halt keine schöne Liebesgeschichte. Und auch Freud wird dazu noch viele Bücher schreiben müssen, über den Eros und den Thanatos.