Britischer Premierminister Boris Johnson
Reuters/Uk Parliament/jessica Taylor
„Partygate“-Affäre

Johnson muss sich erklären

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist die „Partygate“-Affäre um verbotene Lockdown-Partys des britischen Premiers Boris Johnson in Großbritannien wochenlang in den Hintergrund gerückt. Johnson konnte sich als Außenpolitiker in Szene setzen, auch ein Besuch in Kiew lenkte von der Affäre ab. Doch nun ist „Partygate“ zurück auf Londons politischer Agenda.

Bereits die Osterfeiertage bescherten Johnson keine Ruhe – vielmehr waren die Entwicklungen wohl Vorboten auf kommende Woche: So musste die Downing Street am Wochenende einen Bericht mit schwerwiegenden Vorwürfen dementieren, wonach Johnson bei einem von der Polizei untersuchten Anlass die Feierei in seinem Amtssitz initiiert, Kollegen versammelt und Getränke eingeschenkt haben soll.

Am Dienstag, wenn das britische Parlament aus der Osterpause zurückkehrt, wird im Unterhaus eine Erklärung des Regierungschefs erwartet. Johnson hatte in der vergangenen Woche wegen einer der Partys einen Strafgeldbescheid der Polizei erhalten. Damit gilt er als erster amtierender Premierminister, der gegen das Gesetz verstoßen hat. Dennoch hatte der 57-Jährige einen Rücktritt ausgeschlossen.

Abstimmung über Verstoß gegen Kodex?

Und bei dieser Linie will Johnson auch bleiben, wie sich abzeichnet: Berichten zufolge will er bei seiner Erklärung im Parlament argumentieren, dass es derzeit wichtigere Themen – wie den Ukraine-Krieg oder die Krise um gestiegene Lebenshaltungskosten – gebe und dass sich seine Kolleginnen und Kollegen darauf statt auf vergangene Partys konzentrieren sollten.

Menschen demonstrieren mit Schildern gegen Boris Johnson
APA/AFP/Tolga Akmen
Protestierende, darunter der bekannte Brexit-Aktivist Steve Bray (l.), am Rande einer Demo am 13. April in der Downing Street

Doch ganz so einfach dürfte sich der Premierminister nicht aus der Affäre ziehen können: So gilt es durchaus als möglich, dass der Sprecher des Unterhauses, Lindsay Hoyle, eine Abstimmung über die Frage zulässt, ob Johnson an ein Komitee verwiesen werden soll, das darüber befindet, ob er gegen den sogenannten ministeriellen Kodex (Ministerial Code) verstoßen hat – eine Art Verhaltenskodex für Mitglieder der Regierung.

„Gesetzesbrecher im Amt des Premierministers“

Drastische Worte fand zuletzt der britische Regierungshistoriker Peter Hennessy. Mit seinem Verhalten habe Johnson habe den Kodex regelrecht „zerfetzt“, man befinde sich in der schwersten Verfassungskrise unter Beteiligung eines Premierministers, wie Hennessy in BBC Radio 4 sagte. Er fragte sich, wieso sich irgendjemand im öffentlichen Leben an Regeln halten sollte, wenn es der Premierminister nicht tue.

„Der Premierminister hat seinen Platz in der britischen Geschichte als erster Gesetzesbrecher im Amt des Premierministers besiegelt“, so Hennessy – er sei es nicht mehr wert, der Königin oder ihrem Land zu dienen. Johnsons Parteikollege Jacob Rees-Mogg, seines Zeichens auch für „Regierungseffizienz“ zuständig, sprang dem Premierminister zur Seite. Er zog Hennessys Einschätzung in Zweifel – es sei sehr schwer zu erkennen, dass er „die hohe Messlatte der absichtlichen Irreführung des Parlaments“ überschritten habe, so Rees-Mogg.

Misstrauensvotum unwahrscheinlicher geworden

Die „Partygate“-Affäre hatte Johnson monatelang immens unter Druck gesetzt. Auch etliche Abgeordnete aus seinen eigenen Reihen forderten öffentlich seinen Rücktritt. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ist ein Misstrauensvotum gegen den Premier jedoch unwahrscheinlicher geworden. Einige scharfe Kritikerinnen und Kritiker sind seitdem zurückgerudert. Weitere Strafgelder für Johnson könnten jedoch folgen.