Er sei „sehr friedlich“ nach schwerer Krankheit eingeschlafen, sagte seine Frau Rita Nitsch. Nitsch wurde am 29. August 1938 in Wien geboren. Seine Kindheit war geprägt von den Wirren des Krieges. Nur wenige Monate, bevor er das Licht der Welt erblickte, kam es zum „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland.
Der Vater fiel im Krieg, Nitsch wurde von seiner Mutter alleine großgezogen. „Ich habe in diesem Alter schon wirklich Todesangst gehabt und begriffen, was es heißt, zu sterben, die Wohnung zu verlieren und kein Zuhause zu haben. Ich glaube schon, dass diese dramatische Situation etwas bei mir hinterlassen hat“, wird Nitsch darüber in einem Katalogtext zitiert.

Bibelumschlag als Diplomarbeit
Nach einem Abschluss an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt war Nitsch ab 1957 zunächst Gebrauchsgrafiker am Technischen Museum. Kurz darauf entstanden aber bereits die ersten Malaktionen. Bereits seine ersten Arbeiten zeugten vom Interesse an religiösen Themen, mit denen er sich zeit seines Lebens beschäftigen sollte.
Hermann Nitsch ist tot
Hermann Nitsch ist im Alter von 83 Jahren verstorben. Seine Schüttbilder sind ein weltweit bekanntes Markenzeichen seines Schaffens.
Ursprünglich wollte er sogar Kirchenmaler werden, seine Diplomarbeit war etwa ein Bibelumschlag. Bereits früh entstand auch seine Idee für das Orgien-Mysterien-Theater – prägend für alles, was danach kommen sollte: Nitsch verfolgte bis zuletzt einen allumfassenden Ansatz, bei dem er Text, Musik, Malerei und Performance gesamthaft verknüpfte.
Blut, Eingeweide und Tierkadaver
In den 60er Jahren wurde er dank der damit zusammenhängenden Aktionen, die zunächst noch mit Farbe, sukzessive aber mit Blut, Eingeweiden und Tierkadavern vonstattengingen, zum Mitbegründer des Wiener Aktionismus. Nitsch brach – wie auch seine Mitstreiter Günther Brus, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler – mit seiner Kunst Tabus und sah sich alsbald mit harscher Kritik, Anfeindungen und Inhaftierungen konfrontiert. Doch während die Öffentlichkeit zum Teil mit Unverständnis auf Nitsch reagierte, stellten sich auch erste große Erfolge ein.
So nahm er in der Folge an der documenta in Kassel teil, stellte in New York und London aus und verfolgte weiter konsequent seine Vision des Gesamtkunstwerks. Seine in Wien in der Öffentlichkeit abgehaltene Aktionsarbeit führte in den frühen 1960er Jahren zu ständigen Konfrontationen mit den Behörden und mehrwöchigen Gefängnisaufenthalten, die Nitsch 1968 veranlassten, nach Deutschland zu übersiedeln.
Während Nitsch in Österreich noch geschmäht wurde, feierte er international bereits große Erfolge mit seinem Orgien-Mysterien-Theater, das eine Art Urdrama der Welt darstellen sollte. Neben den USA und Deutschland führte Nitsch während der 1970er Jahre in vielen europäischen und nordamerikanischen Städten Aktionen durch. 1971 kaufte Nitsch das niederösterreichische Schloss Prinzendorf, das in Folge der persönliche und künstlerische Lebensmittelpunkt von Nitsch wurde.
2005 mit Großem Österreichischem Staatspreis geehrt
Den Kauf machte ihm seine zweite, später nach einem Unfall verstorbene Frau Beate möglich. Im Schloss wurden zahlreiche Aktionen des Orgien-Mysterien-Theaters aufgeführt, und dort kam es 1998 auch zum legendären Sechs-Tage-Spiel, das der Künstler selbst als Höhepunkt seines Schaffens ansah. Die Veranstaltung führte zu einem enormen Medienrummel und sorgte für viel Erregung.
TV-Hinweis
Der ORF ändert sein Programm und zeigt am Dienstag um 22.35 Uhr in ORF2: „Das Universum des Hermann Nitsch“.
Dennoch schaffte es Nitsch, der sich davor schon als Opernausstatter und Regisseur versucht hatte und in der Folge auch immer wieder als Komponist in Erscheinung trat, trotz aller Kritik stets seinen eigenen Idealen treu zu bleiben.
Auszeichnungen wie der Österreichische Kunstpreis für bildende Kunst (1984) sowie der Große Österreichische Staatspreis für bildende Kunst (2005) sind nur zwei von vielen Ehrungen für einen Künstler, dem schon zu Lebzeiten zwei Museen (in Mistelbach und Neapel) gewidmet waren. Am Donnerstag wird zudem in der Venediger Oficine 800 eine Ausstellung zu seiner 20. Malaktion 1987 eröffnet. Dessen ungeachtet ließen seine Aktionen bis zuletzt noch Kritiker und Tierschützer auf die Barrikaden steigen – Proteste wie in den 90er Jahren gibt es allerdings nicht mehr.
Umstritten und verehrt: Der Wiener Aktionist Hermann Nitsch
Kunst war für Nitsch eine religionsähnliche Tätigkeit. Für seine theatralischen Malaktionen musste er sogar ins Gefängnis. Die Orgien-Mysterien-Theater zählen zu seinem Lebenswerk.
Spätes Highlight in Bayreuth
Einer der letzten großen Höhepunkte im Schaffen von Nitsch fand sich 2021 bei den Bayreuther Festspielen. Nitsch wurde eingeladen, eine konzertante Version von Richard Wagners „Die Walküre“ szenisch zu begleiten. Nitsch hat für jeden der drei Akte eine umfangreiche Malaktion konzipiert. Ein großer Teil der bei den drei Aufführungen in Bayreuth entstandenen Werke wurde später in der Ausstellung „Hermann Nitsch. Bayreuth Walküre“ im nitsch museum Mistelbach gezeigt – mehr dazu in noe.ORF.at.
Erst vor wenigen Tagen folgte schließlich die Ankündigung, dass das im Vorjahr coronavirusbedingt abgesagte Sechs-Tage-Spiel nun in diesem Sommer in Prinzendorf stattfinden hätte sollen. Konkret wurden für 30. und 31. Juli die ersten beiden Tage angekündigt. Es sei „Nitschs ausdrücklicher Wunsch, dass sein Werk nun endlich umgesetzt wird“, teilte Rita Nitsch in einer Aussendung mit. „Das haben wir ihm versprochen.“
1998 wurde das Sechstagespiel erstmals aufgeführt. „Das ist ein ‚Work in Progress‘ und es wird eigentlich nie fertig“, sagte Nitsch dazu einmal im Interview mit noe.ORF.at. Dass Nitsch nichts von Altersmilde hielt, machte er rund um seinem 80. Geburtstag deutlich. „Ich mag es mir im Alter nicht zu bequem machen – auch künstlerisch nicht.“ Er versuche, alle Sinne anzusprechen und Debatten zu entfachen. „Ich will streitbar bleiben, auch im hohen Alter“, sagte Nitsch damals.
„Wahrhaft einzigartiger Künstler“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen reagierte auf das Ableben des Künstlers. Die heimische Kunst sei um eine ihrer auch international bedeutendsten Persönlichkeiten ärmer. Er habe die heimische Kunstwelt neu definiert: „Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss.“
„Heute hat uns ein wahrhaft einzigartiger Künstler verlassen“, reagierte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer auf den Tod von Nitsch. Mit den Orgien-Mysterien-Spielen habe er die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert. Besonders beeindruckt habe sie „seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik“.
Würdigungen für Gesamtwerk
Als „große Freude und Ehre“ bezeichnete die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Nitsch „in vielen Gesprächen und Zusammentreffen begegnet zu sein“: „Er war eine schillernde, zuweilen auch polarisierende und umstrittene, aber immer spannende Künstlerpersönlichkeit von weltweiter Bedeutung.“
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) würdigte einen „großartigen Universalkünstler“, Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer Nitschs „vielfältige Auseinandersetzung mit Kunst, Ästhetik, Religion und Philosophie“. Von einem „Gesamtkünstler zwischen Aktionismus, Ritus, Mysterium und Literatur“ sprach die grüne Kultursprecherin Eva Blimlinger.