Russische Panzer bei Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
Waffenruhe in Ukraine

„Vielleicht in einigen Wochen“

Laut UNO gibt es derzeit kaum Aussichten auf einen baldigen Waffenstillstand in der Ukraine. Es zeichne sich keine Waffenruhe am Horizont ab, sagte am Montag UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths. Vielleicht ändere sich das in einigen Wochen, so Griffiths, der im Moment aber selbst „Verhandlungen im klassischen Sinn“ vermisst.

Wie es nun weitergeht, hänge vom weiteren Kriegsverlauf – und von Gesprächen, die mit Hilfe der Türkei geführt würden – ab. Die UNO will mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Einrichtung einer „humanitären Kontaktgruppe"unter Beteiligung der Ukraine und Russlands diskutieren. Die Türken seien – was weitere Verhandlungsmöglichkeiten angeht – "am nächsten dran“, so Griffiths. Die geplante Reise in die Türkei muss Griffiths aber verschieben. Er ist mit dem Coronavirus infiziert.

Griffiths wurde zudem von UNO-Chef Antonio Guterres damit beauftragt, in der Ukraine die Möglichkeit eines „humanitären Waffenstillstands“ auszuloten. Große Hoffnung auf einen Erfolg der Mission gab es allerdings auch bei Guterres von Anfang an nicht. Vielmehr scheine eine Waffenruhe zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich, wie der UNO-Chef am Mittwoch bei einer Pressekonferenz sagte.

Rauch über Rubischne
APA/AFP/Ronaldo Schemidt
Kiew: Russische Offensive im Osten hat begonnen

Kiew: Offensive im Osten begonnen

Gegen eine baldigen Waffenstillstand sprechen auch die jüngsten Entwicklungen an den Kriegsschauplätzen in der Ukraine. Im Osten des Landes haben russische Truppen nach Angaben aus Kiew am Montag den erwarteten Großangriff gestartet. Mit der Offensive im Osten wurde nach inzwischen mehr als sieben Wochen Krieg bereits seit Tagen gerechnet. Dafür hatten sich die russischen Truppen nach Moskaus Darstellung aus dem Großraum Kiew zurückgezogen.

Der Generalstab der ukrainischen Armee berichtete am Montagabend von „Anzeichen des Beginns der Offensive“, insbesondere in den Gebieten um die Großstädte Charkiw und Donezk. Schwere Gefechte gab es auch in der Region Luhansk.

Russische Großoffensive in Ostukraine

Sechs Personen wurden bei Angriffen auf die ukrainische Stadt Lwiw getötet. Auch andere Großstädte waren Ziel russischer Attacken: Eine seit Tagen erwartete Großoffensive im Osten der Ukraine hat nach Angaben aus Kiew offenbar begonnen.

Nach Angaben des ukrainischen Gouverneurs Serhij Hajdaj haben russische Streitkräfte etwa die Kontrolle über die Kleinstadt Kreminna übernommen. Es gebe Straßenkämpfe, eine Evakuierung sei nicht mehr möglich. „Jede Stunde verschlechtert sich die Situation.“ In Kreminna sollen von 18.000 Einwohnerinnen und Einwohnern vor dem Krieg noch etwa 4.000 ausharren.

Mariupol weiter umkämpft

Auch in Mariupol – einer Stadt mit einst mehr als 400.000 Einwohnerinnen und Einwohnern – gingen die Kämpfe weiter. Der ukrainische Generalstab berichtete von Raketen- und Bombenangriffen. Dabei kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz. Der Aufforderung zur Kapitulation folgten die Ukrainer nicht. Regierungschef Denys Schmyhal kündigte im US-Sender ABC einen Kampf „bis zum Ende“ an. Außenminister Dmytro Kuleba warf Russland vor, Mariupol dem Erdboden gleichmachen zu wollen. Dort sollen sich in einem Stahlwerk mehrere tausend ukrainische Kämpfer verschanzt haben – und sich zudem zahlreiche Zivilisten aufhalten.

Rauch über Stahlwerk in Mariupol
Reuters/Alexander Ermochenko
In Mariupol haben sich die letzten ukrainischen Verbände in einem Stahlwerk verschanzt

Tote in westukrainischer Stadt Lwiw

Ziel der Angriffe ist aber auch der Westen: In der Stadt Lwiw gab es nach Angaben der Behörden erstmals Todesopfer durch russische Raketen – mindestens sechs. Bei dem Raketenangriff auf die 720.000-Einwohner-Stadt gab es außer den Toten zahlreiche Verletzte, darunter nach Angaben des Bürgermeisters auch ein Kind.

Berichtet wurde von vier oder fünf Einschlägen. Es sollen auch zivile Gebäude wie ein Reifenservice und ein Hotel getroffen worden sein. Die Altstadt von Lwiw ist Weltkulturerbe. Moskau bestätigte am Abend die Angriffe. Dabei sei auch ein Logistikzentrum mit Waffen aus dem Westen zerstört worden.

EU: „Willkürliche“ Angriffe auf zivile Ziele

Die Angriffe auf Lwiw und andere Städte der Westukraine verdeutlichten, „dass kein Teil des Landes von den sinnlosen Angriffen des Kreml verschont bleibt“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Brüssel.

Rauch über Lwiw
Reuters/Roman Baluk
Borrell nach Angriff auf Lwiw: „Kein Teil des Landes von sinnlosen Angriffen“ sicher

Großstädte würden "weiterhin wahllos angegriffen. Das führe zu einer „Zerstörung zivilen Lebens und ziviler Infrastruktur“, so Borrell, der Russland erneut „willkürliche“ Bombenangriffe auf zivile Einrichtungen vorwarf. „Kriegsverbrechen dürfen nicht ungestraft bleiben“, so Borrell: „Russland muss die Feindseligkeiten sofort und bedingungslos einstellen und all seine Streitkräfte und militärische Ausrüstung aus der Ukraine abziehen.“

Putin zeichnet „Butscha-Brigade“ aus

Russlands Präsident Wladimir Putin verlieh indes jener Brigade, die hinter den Kriegsverbrechen in der Stadt Butscha stehen soll, einen Ehrentitel. Putin unterzeichnete am Montag nach Angaben des Kreml ein Dekret, mit dem die 64. motorisierte Infanteriebrigade den Ehrentitel einer „Garde“ erhält. Die Auszeichnung wurde mit „Heldentum und Tapferkeit, Entschlossenheit und Mut“ der Mitglieder begründet.

Der Kreml machte keine Angaben dazu, wo sich die Angehörigen der Brigade derzeit aufhalten oder wo sie stationiert waren. Auch nähere Angaben zu ihren Aufgaben wurden nicht gemacht.

Hunderte Leichen untersucht

Die Ukraine hatte der russischen Armee und vor allem der 64. Brigade vorgeworfen, in der Stadt Butscha nahe Kiew ein Massaker an Zivilistinnen und Zivilisten verübt zu haben. Nach dem Abzug der russischen Truppen waren auf den Straßen von Butscha getötete Männer in ziviler Kleidung gefunden worden, von denen einige an den Händen gefesselt waren. Nach Angaben von regionalen Behörden wurden in Butscha mittlerweile über 400 Leichname geborgen.

Auch in der von der Ukraine ebenfalls zurückeroberten Stadt Irpin wurden nach Abzug der russischen Soldaten etliche Leichen gefunden. Ukrainische Ermittler haben in Irpin bisher 269 Leichen untersucht, sagte ein Polizeibeamter am Montag laut „Guardian“.

Die Stadt, die vor dem Krieg etwa 62.000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte, war einer der Hauptschauplätze der Kämpfe mit den russischen Truppen, bevor sich diese aus den nördlichen Regionen der Ukraine zurückzogen, um ihre Offensive im Osten zu verstärken.