UNO-Generalsekretär Antonio Guterres
APA/AFP/Getty Images/Michael M. Santiago
Ukraine-Krieg

UNO-Chef will nach Moskau reisen

Um eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg zu erreichen, will UNO-Generalsekretär Antonio Guterres einen neuen diplomatischen Anlauf starten. Konkret will er sowohl nach Kiew als auch nach Moskau reisen. Es müssten „dringende Schritte“ zur Herstellung von Frieden in der Ukraine herbeigeführt werden.

Guterres habe Briefe an die UNO-Vertretungen Russlands und der Ukraine geschickt, wie am Mittwoch bekanntwurde. „In diesen Briefen bat der Generalsekretär Präsident (Wladimir) Putin, ihn in Moskau zu empfangen, und Präsident Wolodymyr Selenskyj, ihn in Kiew zu empfangen“, sagte Sprecher Stephane Dujarric in New York. Der UNO-Chef hatte zuletzt mehrfach eine Waffenruhe im Ukraine-Krieg gefordert.

Eine Feuerpause böte Zivilisten und Zivilistinnen die Gelegenheit, umkämpfte Gebiete zu verlassen, sagte er. Gleichzeitig könnten Hilfsorganisationen lebensrettende Unterstützung in besonders betroffenen Regionen wie Mariupol, Cherson und Donezk leisten. UNO-Sprecher Dujarric zufolge gab es nach der Übergabe der Briefe keine Reaktion aus den beiden Ländern.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und der russische Präsident Wladimir Putin
APA/AFP/Alexey Nikolsky
Guterres will Russlands Staatschef in Moskau treffen – ob Putin den UNO-Generalsekretär einlädt, ist fraglich (Bild aus 2019)

Die Vereinten Nationen wollten den Vorstoß des Generalsekretärs zunächst nicht als offiziellen Mediationsversuch darstellen. Er folgte jedoch auf immer lauter werdende Rufe aus dem UNO-Apparat nach einer aktiveren Rolle von Guterres in dem Konflikt. Fraglich bleibt dabei, ob Putin mit dem UNO-Chef sprechen will: Angesichts von dessen deutlicher Verurteilung des Angriffskrieges herrscht Funkstille zwischen der UNO-Zentrale in New York und dem Kreml.

Evakuierung in Mariupol gescheitert

Russland intensivierte unterdessen seine Angriffe in der Ostukraine und will den Fall der Stadt Mariupol erzwingen. Das russische Militär beschoss nach eigenen Angaben in der Nacht auf Mittwoch 1.053 ukrainische Militärstandorte. Dabei seien 106 Geschützstellungen zerstört worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Aus der seit Wochen belagerten Stadt Mariupol konnten Dutzende Zivilisten und Zivilistinnen in Sicherheit gebracht werden.

Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Weretschschuk warf dem russischen Militär vor, sich nicht an die für die Evakuierung von Mariupol vereinbarte Feuerpause gehalten zu haben. Zudem wären Busse der Russen nicht zu den vereinbarten Zeiten an den Übergabestellen erschienen, an denen die Flüchtlinge in ukrainische Busse und Krankenwagen umsteigen sollten. Am Donnerstag solle es einen neuen Versuch geben, Menschen in Sicherheit zu bringen.

Ukrainische Panzer in der Donezk-Region
Reuters/Serhii Nuzhnenko
In Mariupol ist eine erneute Evakuierung gescheitert

Besonders gespannt ist die Lage weiter um das Stahlwerk Asow-Stahl, in dem sich nach russischen Angaben rund 2.500 ukrainische Kämpfer und ausländische Kombattanten verschanzt haben sollen. Nach ukrainischen Angaben sollten sich dort auch noch rund 1.000 Zivilisten aufhalten. Das russische Verteidigungsministerium teilte am Abend mit, dass niemand über den Korridor das Stahlwerk verlassen habe. Die Kämpfer waren zuvor aufgefordert worden, die Waffen niederzulegen und sich in russische Gefangenschaft zu begeben. Das lehnten sie ab.

Lieferung von schweren Waffen gefordert

Unterdessen traf EU-Ratspräsident Charles Michel überraschend zu einem Besuch in Kiew ein. Der ukrainische Präsident Selenskyj betonte bei dem Treffen: „Sanktionen, Waffen, die EU-Mitgliedschaft und Geld – das ist das, was wir heute brauchen.“ Auch seien unverzüglich neue Sanktionen gegen Russland notwendig. Selenskyj rief zudem zu einem völligen Energieembargo auf – einschließlich eines Importstopps für Erdöl und Erdgas.

Gerade angesichts der nun einsetzenden Materialschlacht in der Ostukraine hatten westliche Staaten wie die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich am Dienstag verabredet, der Ukraine auch schwerere Waffen zu liefern. Norwegen kündigte an, hundert Luftabwehrraketen vom Typ Mistral zu liefern. Die Waffen seien bereits verschifft worden, teilte das norwegische Verteidigungsministerium mit.

US-Präsident Joe Biden wird Insidern zufolge in den kommenden Tagen ein weiteres Militärhilfepaket für die Ukraine ankündigen. Es werde in etwa den gleichen Umfang wie das in der vergangenen Woche aufgelegte 800-Millionen-Dollar-Paket haben, sagten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen. In der Zwischenzeit wurden neue US-Sanktionen gegen Russland erlassen. Ziel sei die Handelsbank Transkapitalbank, heißt es auf der Website des Finanzministeriums. Auch der Oligarch Konstantin Malofejew sowie Dutzende weitere Personen seien betroffen. Zudem werde das Unternehmen Bitriver, das sich auf Kryptowährungen spezialisiert hat, mit Strafmaßnahmen belegt.

EU-Ratspräsident besuchte Borodjanka

Michel fuhr gemeinsam mit der ukrainischen Vizepremierministerin Olha Stefanischyna nach Borodjanka. „Die Geschichte wird nicht die Kriegsverbrechen vergessen, die hier begangen wurden“, schrieb Michel in einem weiteren Tweet mit Fotos, auf denen er neben zerbombten Gebäuden zu sehen ist. Das rund 30 km vom Kiewer Zentrum entfernt liegende Städtchen war von den russischen Streitkräften durch Beschuss weitgehend zerstört worden, zahlreiche Zivilisten starben.

Hilferuf aus Mariupol

In der schwer umkämpften ukrainischen Stadt Mariupol befinden sich derzeit noch rund 100.000 Zivilisten. Nun sollen einige davon durch einen humanitären Korridor in Sicherheit gebracht werden. Auch ukrainische Soldaten hoffen auf eine Evakuierung.

Präsident Selenskyj meinte nach dem Ende März erfolgten Abzug der russischen Truppen, die Gräueltaten in Borodjanka seien „noch schrecklicher“ gewesen als jene im nahe gelegenen Butscha. Dort waren offenbar zahlreiche Zivilisten von den Russen erschossen und ihre Leichen auf der Straße liegen gelassen worden.

Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine am 24. Februar haben bereits mehrere Staats- und Regierungschefs Selenskyj in Kiew besucht, darunter auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell waren vor rund eineinhalb Wochen nach Kiew gereist, um der Ukraine die Unterstützung der Europäischen Union im Kampf gegen die russische Invasion zu bekräftigen.