Russischer Arbeiter an einer Gaspipeline
Reuters/Stoyan Nenov
Energieabhängigkeit

Embargo als großes Dilemma der EU

„Wer schnell hilft, hilft doppelt“, lautet die Weisheit, die seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine oft bemüht wird. Gerade bei den Energieimporten aus Russland befindet sich Europa da freilich in einer Zwickmühle, wie auch das deutsche Forschungsinstitut Ifo nun konstatiert. Man brauchte mehr Zeit, um Alternativen zu finden. Zeit, die nicht vorhanden ist, will man den Angriffskrieg nicht weiter finanzieren.

Das Ifo-Institut bezog sich bei seiner Einschätzung am Freitag auf die Ölimporte aus Russland. „Einerseits würde mehr Zeit der EU die Möglichkeit geben, sich besser vorzubereiten, indem sie alternative Energiequellen organisiert, die Nachfrage senkt und auch die Logistik der Energieströme innerhalb der EU und in den einzelnen Ländern optimiert“, so die Expertin Karen Pittel.

Ein Ölembargo dürfe aber auch nicht ewig aufgeschoben werden. „Denn mehr Zeit würde es Russland erlauben, andere Abnehmer zu finden, während die Einnahmen aus der EU weiter fließen.“ Außerdem würden die Anreize in den Staaten der Europäischen Union verringert, sich auf einen Stopp der russischen Energieversorgung vorzubereiten.

Öl, Gas, Kohle – alles davon liefert Russland in unterschiedlichem Ausmaß an den Westen. Engpässe bei allen dreien Energiequellen gleichzeitig zu bewältigen – die Ukraine verlangt von ihren westlichen Unterstützern ja einen völliges Energieembargo –, sei freilich eine Herausforderung, so Pittel.

Unterschiedliche Abhängigkeiten

Bis zu eine Milliarde Euro fließt täglich in die russische Kriegskasse durch den Energiehandel mit Europa. Ein Embargo würde aber nicht nur Russlands Wirtschaft schwer schädigen, sondern auch jene der westlichen Länder, eine schwere Rezession könnte gar die Folge sein, wenn unbedacht gehandelt würde.

Die EU beschloss bereits für den Sommer ein Kohleembargo gegen Russland. Manche EU-Staaten bauen aber derzeit weiterhin auf Öl und Gas. Im vergangenen Jahr deckte die EU rund 40 Prozent ihres Gas- und ein Viertel ihres Erdölbedarfs mit Importen aus Russland. Ein völliger Verzicht erscheint daher kurz- und mittelfristig unmöglich, auch wenn dieser Russland freilich empfindlicher treffen würde als das Kohleembargo.

Grafik zeigt Daten zur Gas- und Ölförderung der OMV
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: OMV

Mehr als ein Drittel der deutschen Ölimporte etwa stammen aus Russland. Länder wie Österreich hängen hingegen stark am russischen Gashahn. Österreich bezieht dagegen inzwischen kaum noch Öl aus Russland, wie die OMV am Donnerstag bekanntgab. „Der Bezug von Öl aus Russland war immer sehr gering, mit Kriegsbeginn haben wir es durch anderes Öl vom Markt ersetzt“, sagte ein OMV-Sprecher zur APA. Laut Daten der Statistik Austria und des Fachverbandes der Mineralölindustrie stammten 2021 nur 7,8 Prozent bzw. 596.000 Tonnen der österreichischen Öleinfuhren aus Russland.

Österreich bei Ölembargo gesprächsbereit

Die Bundesregierung kann sich daher auch ein Ölembargo vorstellen. „Es ist jetzt einmal die Kohle dabei beim Embargo, natürlich auch Öl wird diskutiert. Bei Kohle und Öl sind wir durchaus gesprächsbereit. Beim Gas weniger, weil wir eben sehr abhängig sind vom russischen Gas auch und deswegen sind wir hier zurückhaltender“, sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) am Freitag zum ORF.

Frühes Ende für Gasheizungen

Laut einem neuen Gesetzesentwurf dürfen bereits ab 2023 in Neubauten keine Gasheizungen mehr eingebaut werden. Ursprünglich war das Ende für Erdgas bis 2040 vorgesehen. Der Gesetzesentwurf sei derzeit noch in Verhandlung.

Auch technisch wäre ein Ölembargo leichter durchzuführen, da die Importe nicht so stark von bestehenden Pipeline-Verbindungen abhängen. Zudem, so das Ifo, könnten Ölimporte auch leichter durch andere Quellen ausgeglichen werden. Für Österreich und andere Länder bleibt daher das Gas der Knackpunkt.

Forscher für schnelles Handeln

Aus gutem Grund forderten am Donnerstag vier führende Wirtschaftsforscher, darunter der Chef des heimischen Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“), die Abhängigkeit vom russischen Gas jetzt zu reduzieren. „Notfallpläne zu beschließen, die erst bei Knappheit greifen, reicht nicht. Jede Kilowattstunde Gas, die nun eingespart wird, mildert die möglichen Unbilden eines späteren Embargos“, schrieben sie.

Analyse der Energieversorgung in Österreich

ORF-Politikreporter Peter Fritz spricht unter anderem über einen möglichen Boykott von russischem Gas.

Schon jetzt seien die Preise für fossile Brennstoffe, vor allem Erdgas, deutlich höher als vor einem Jahr. Zudem bestehe immer die Möglichkeit, dass Moskau selbsttätig die Ausfuhren in den Westen stoppt. Auch wenn es kein Embargo von EU-Seite gebe, müsse man nun die Zeit nutzen, um bei Unternehmen und Privatkunden eine Verhaltensänderung zu unterstützen.

Lektion aus den 1970er Jahren

Als Beispiel nannten die vier Forscher die Ölkrise 19745/75. Nach dem drastischen Anstieg des Ölpreises „ließ Deutschland es zu, dass die Benzinpreise im Einklang mit den Ölpreisen in Rotterdam anstiegen. Damit kam das Land um vieles besser durch die Krise als die USA mit ihrem Preisstopp. Die damaligen Preiserhöhungen veranlassten private Haushalte und Unternehmen, ihren Energiebedarf deutlich zu reduzieren.“ Doch die Lektion von 1974 scheine vergessen. Der Staat solle nicht versuchen, die Preisänderungen mit Subventionen auszubügeln, „sondern notfalls die Einkommenswirkungen mit anderen Maßnahmen zu kompensieren“ – sprich: ärmere Haushalte zu unterstützen.

Jede Maßnahme müsse aber auf europäischer Ebene koordiniert und gemeinsam umgesetzt werden, da die Volkswirtschaften zu eng miteinander verflochten seien.