Deutscher Kanzler Olaf Scholz
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Deutschland

Streit um Waffenexporte eskaliert

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat sich die Debatte über Waffenlieferungen in Deutschland ständig verschoben. Nach dem von den Grünen eingeforderten klaren Nein zu Waffenexporten in Spannungsgebiete ging die deutsche Regierung kurz nach der russischen Invasion zur Lieferung defensiver Waffen über. Die Forderung der Ukraine nach schweren Waffen spaltet die Koalition aus SPD, FDP und Grünen jedoch aktuell mehr denn je.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) verteidigte in einem am Freitag veröffentlichten „Spiegel“-Interview erneut seine Position, keine schweren Waffen in die Ukraine zu liefern. Die Möglichkeiten der deutschen Bundeswehr aus ihrem Arsenal seien weitgehend erschöpft – was noch verfügbar sei, werde aber geliefert. „Wir werden sie so ausrüsten, dass ihre Sicherheit garantiert ist. Und wir stehen als Garantiemacht zur Verfügung“, sagte der SPD-Politiker. „Einen Diktatfrieden, wie er Putin lange vorgeschwebt hat, wird es nicht geben.“

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte, ohne Deutschland namentlich zu nennen, jenen Staaten „Heuchelei" vorgeworfen, die seinem Land keine schweren Waffen zur Abwehr der russischen Aggression liefern wollen, obwohl sie dazu in der Lage wären. In Hinblick auf die internationale Kritik entgegnete Scholz, dass der Ukraine nur Gerät helfe, das ohne langwierige Ausbildung eingesetzt werden könne. „Das geht am schnellsten mit Waffen aus ehemaligen sowjetischen Beständen, mit denen die Ukrainer gut vertraut sind“, so Scholz.

Schwere Waffen

Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa legte 1990 Obergrenzen für die Anzahl schwerer Waffensysteme fest und nannte dabei fünf Kategorien: Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber.

Ringtausch mit anderen NATO-Ländern geplant

In dem Zusammenhang verwies er auf den Ringtausch mit anderen EU- und NATO-Ländern wie etwa Slowenien, das Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine liefert und dafür wiederum von Deutschland Hilfe für Ersatz bekommen soll. „Da geht es um Panzer, da geht es um Schützenpanzer, da geht es um unterschiedliche Möglichkeiten, die einzelne Länder abzugeben haben. Da sind wir momentan im Gespräch, und das geht jetzt auch sehr schnell“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv.

„Es geht um die nächsten Tage“, sagte sie mit Blick auf die Zeitschiene. Aus eigenen Beständen könne die Bundeswehr allerdings nichts liefern. „Die Bundeswehr ist in einer Situation, in der sie leider keine Waffen abgeben kann, wenn ich die Landes- und Bündnisverteidigung weiter gewährleisten will, und das will ich und das werde ich auch. Dazu bin ich meinen NATO-Partnern gegenüber auch verpflichtet“, so die SPD-Politikerin.

Ein ukrainischer T72-Panzer
Reuters/Valentyn Ogirenko
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa soll Slowenien eine größere Stückzahl seiner T-72-Kampfpanzer an die Ukraine abgeben

Koalitionspartner fordern mehr

Wegen der zögerlichen Haltung rund um die Lieferung schwerer Waffen wird nicht nur in Kiew, sondern auch in der Ampelkoalition selbst die Kritik immer lauter. Die deutsche Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderte etwa mehr Tempo bei Entscheidungen über Waffenlieferungen an die Ukraine. „Russland macht keine Pause mit den schrecklichen Angriffen, bis wir uns hier sortiert haben“, so Strack-Zimmermann im ZDF-„Morgenmagazin“.

Die FDP will auf ihrem bevorstehenden Bundesparteitag ein Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen ablegen und damit ein Zeichen gegen die als zu zögerlich empfundene Haltung des Koalitionspartners SPD setzen. Auf Antrag des Parteivorstands soll der Parteitag am Wochenende die Forderung nach einer „deutlichen Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung hochwirksamer Waffen an die ukrainische Armee“ beschließen, wie aus einem Entwurf hervorgeht.

Und auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter bezeichnete den Ringtausch im „Handelsblatt“-Interview als nicht ausreichend. „Denn es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Krieg lange dauert – und für einen langen Krieg wird das alte Sowjetmaterial aus der Slowakei nicht ausreichen“, so Hofreiter. Deswegen sei es dringend nötig, die Ukraine auch mit westlichen schweren Waffen wie gepanzerte Fahrzeuge zu beliefern.

Modernisierte T-72 Panzermodelle in Kiew
Reuters/Valentyn Ogirenko
Das aus der Sowjetzeit stammende Waffensystem T-72 wird vom ukrainischen Heer bereits eingesetzt und erfordert kaum Zusatzausbildung

Baerbock weist Kritik zurück

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) wies bei einem Treffen mit dem litauischen Außenminister Gabrielius Landsbergis Vorwürfe, Deutschland mache zu wenig, zurück. Die deutsche Regierung habe die Ukraine von Anfang an mit dem unterstützt, was lieferbar gewesen sei. Die NATO könne nur erfolgreich sein, wenn sie gemeinsam agiere.

Es sei zudem wichtig, dass die Lieferungen abgestimmt seien und jedes Land das tue, was es tun könne. Einen Bericht, wonach der deutsche Kanzler eine Wunschliste der Ukraine nach schweren Waffen zusammengestrichen habe, dementierte die Ministerin. Die Existenz einer solchen Liste sei ihr nicht bekannt.

Baerbock auf Solidaritätstour

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ist derzeit auf Solidaritätstour in Litauen, Lettland und Estland. Da die Staaten Sorgen haben, ins Visier des russischen Präsidenten zu gelangen, sichert ihnen Baerbock deutschen Beistand zu.

Opposition bringt Antrag in Bundestag ein

Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit einem Antrag im Deutschen Bundestag die deutsche Regierung zu Bewegung in der Frage von Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine drängen. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sagte am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“ auf die Frage, ob die Drohung mit dem Antrag und namentlicher Abstimmung Bestand habe, die Union habe sich dazu entschieden und bringe den Antrag ein.

Es gebe eine klare parlamentarische Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen. Grüne und FDP seien offensichtlich mehrheitlich, wenn nicht sogar vollständig dafür, auch in der SPD gebe es dafür gewichtige Stimmen. Die Union befürworte das seit Wochen.

„Deutschland kann liefern“, betonte Wadephul. Das müsse im Bundestag geklärt werden. Wenn die Frage der Impfpflicht eine Gewissensentscheidung gewesen sei, dann sei es diese Frage erst recht. Den von der deutschen Bundesregierung geplanten Ringtausch sieht Wadephul als unzureichend an. „Das ist eine Ausrede nach der anderen. Das ist zu wenig und zu spät“, sagte er.

Krieg hat Grenzen bei NATO-Partnern verschoben

Die Ukraine hat allen westlichen NATO-Ländern Wunschlisten vorgelegt. Als unstrittig gilt, dass von der ursprünglichen Liste an Deutschland nach Absprache mit der Bundesregierung einige schwere Waffensysteme gestrichen wurden. Das habe verschiedene Gründe, heißt es in Regierungskreisen: Gestrichen wurde etwa der Leopard-1-Panzer oder Gepard-Flugabwehrkanonenpanzer – auch wenn deutsche Rüstungsfirmen wie Rheinmetall sie anboten. Mal sei fehlende Munition bei Herstellern der Grund gewesen, mal die Erkenntnis, dass komplexe Waffensysteme nicht so einfach bedienbar sind.

In der Waffenexportdebatte haben sich auch für NATO-Partner die Grenzen verschoben. Die USA und Großbritannien etwa haben sich erst angesichts der nun großen russischen Offensive entschieden, schwere Waffen wie Artillerie zu liefern. Panzer stehen dort nicht auf der Lieferliste. US-Präsident Joe Biden hatte zudem klargemacht, dass er zumindest bisher die Lieferung osteuropäischer MIG-29-Kampfjets an die Ukraine nicht unterstütze, um eine Ausweitung des Konflikts auf die NATO zu verhindern.

Scholz: Alles tun, um Atomkrieg zu verhindern

Einen Frieden in der Ukraine hält Scholz nur bei einem Rückzug der russischen Truppen für möglich. „Es muss einen Waffenstillstand geben, die russischen Truppen müssen sich zurückziehen“, so Scholz im „Spiegel“-Interview. Eine Friedensvereinbarung müsse es möglich machen, dass sich die Ukraine selbst verteidigen könne. Maßgabe bleibe in dem Konflikt für ihn, dass die NATO nicht Kriegspartei werde: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem Dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben“, betonte Scholz.